Nordkorea versucht seit einigen Jahren sein Satelliten-Programm voranzutreiben und intensivierte diese Bemühungen in den letzten Monaten. Missglückten Starts stehen Vorwürfe der Spionage gegenüber. Elisabeth Suh, wissenschaftliche Mitarbeiterin bei der Stiftung Wissenschaft und Politik, erklärt Nordkoreas Satelliten-Programm, die politischen Hintergründe und mögliche Konsequenzen.

Eine Analyse
Dieser Text enthält eine Einordnung aktueller Ereignisse, in die neben Daten und Fakten auch die Einschätzungen von Stefan Matern sowie ggf. von Expertinnen oder Experten einfließen. Informieren Sie sich über die verschiedenen journalistischen Textarten.

Die sozialistische Diktatur Nordkorea versucht seit einigen Jahren, ihr Satelliten-Programm voranzutreiben und sorgt damit immer wieder für Aufruhr. Zwar kündigt das Regime in Pjöngjang seine Starts an, doch die internationalen Reaktionen fallen zumeist harsch aus.

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Ende Mai 2023 war Pjöngjang mit einem Aufklärungssatelliten gescheitert und nur wenig später, Ende August, funktionierte auch der zweite Versuch, einen Spionagesatelliten in die Erdumlaufbahn zu schießen, nicht. Dem Bericht staatlicher Medien nach hatte die Rakete "Malligyong-1" aufgrund eines technischen Problems mit dem Antriebssystem einen Fehlstart.

Ende November 2023 hatte das Regime schließlich Erfolg und nach Angaben der nordkoreanischen Raumfahrtbehörde den Satelliten wie vorgesehen in seiner Umlaufbahn platziert. Die USA hatten Nordkorea im Zuge dessen den Bruch von UN-Resolutionen vorgeworfen. Südkorea ging davon aus, dass es sich bei den Satelliten um militärische Überwachungssatelliten handelte.

Im Mai 2024 war dann eine Trägerrakete bereits kurz nach dem Start explodiert. Die Meldungen eines totalitären Regimes sind bis zu einem gewissen Grad immer unzuverlässig. Die Wissenschaftlerin Elisabeth Suh von der Stiftung Wissenschaft und Politik erklärt jedoch im Gespräch mit unserer Redaktion, dass Nordkorea wohl tatsächlich zwei erfolgreiche Starts hinter sich gebracht habe.

"Nordkorea hat in den Jahren 2016 und 2023 jeweils eine Weltraumrakete erfolgreich gestartet und vermutlich jeweils einen Satelliten in die Erdumlaufbahn gebracht. Allerdings soll der Satellit von 2016 'natürlicherweise' im Sommer 2023 zerfallen sein. Also hat Nordkorea vermutlich nur noch einen einzigen funktionierenden Satelliten in der Erdumlaufbahn."

Was darf Nordkorea eigentlich? So ist die internationale Rechtslage

Doch wozu dann eigentlich der ganze Aufruhr möchte man fragen. Denn, wie die Expertin erklärt, seien Spionage-Satelliten und die friedliche Nutzung des Weltalls zunächst einmal erlaubt: "Der einzige internationale Vertragstext, der mir zum Themenbereich Weltall geläufig ist, ist der Outer Space Treaty für die friedliche Nutzung und Nicht-Militarisierung des Weltraums."

Die Vereinten Nationen (UN) würden sich aber um eine tiefergehende Regelung der Nutzung des Weltalls und der Erdumlaufbahn einsetzen. Gerade in letzterer befinden sich die militärisch und zivil genutzten Satelliten. Deshalb hat die UN mit der Resolution 76/231 der Generalversammlung eine Arbeitsgruppe für jene Thematik ins Leben gerufen.

Aufgrund der internationalen Regelungen sollten Nordkoreas Aktivitäten zunächst auch nicht als Provokation gesehen werden. Sie könnten im Gegenteil, so die Expertin Suh, zur Stabilisation der Lage beitragen. Da die USA und Südkorea groß angelegte Militärübungen durchführen, könnten eigene Satelliten dem Regime in Pjöngjang dabei helfen, diese Übungen nicht als Vorbereitung eines Angriffs misszuverstehen.

"Aber dafür bräuchte es ein ganzes Netzwerk von modernen Satelliten, die Aufklärungsdaten in Echtzeit zur irdischen Zentrale senden und die dort schnell ausgewertet werden können", stellt Suh klar. Die Wahrscheinlichkeit des Erwerbs, der Stationierung und der kontinuierlichen Funktionstüchtigkeit eines solchen Netzwerkes seien auf absehbare Zeit – zumal ohne Unterstützung – unwahrscheinlich.

Denn Nordkorea gilt international als isoliert. Lediglich China und Russland konnten in der Vergangenheit zumindest teilweise als Verbündete der Diktatur bezeichnet werden. Die Beziehung zu Russland reicht bis in den Kalten Krieg zurück, wobei gerade Michael Gorbatschows Anerkennung Südkoreas einen Bruch darstellte. Unter Putin nahmen die Beziehungen wieder an Fahrt auf, als Nordkorea auch die völkerrechtswidrige Annexion der Volksrepubliken Donezk und Luhansk anerkannte und Munition für Moskaus Angriffskrieg in der Ukraine an Russland exportierte.

Im Gegenzug könnte Putin, wie bei den Treffen mit Kim Jong-un und im neuen Partnerschaftsvertrag versprochen, Nordkorea unter anderem bei seinem Satelliten- und Weltraumraketenprogramm helfen. China wiederum gilt als nahezu einziger Handelspartner der kommunistischen Diktatur. Sowohl Russland als auch China hatten Nordkorea aber bereits wegen seines Atomprogramms kritisiert.

Nordkorea-Expertin erklärt: Das ist das eigentliche Problem der Raketen-Starts

In jenem militärischen Kontext liegt auch die eigentliche Provokation der Satellitenstarts, erklärt Elisabeth Suh: "Das politische Problem liegt in den technischen Ähnlichkeiten beim Antrieb von Weltraumraketen und Interkontinentalraketen: Deshalb steht die Unterstützung bei Weltraumraketen auch unter internationalen Sanktionen, da zuvor befürchtet wurde, dass Nordkorea beim Bau von Weltraumraketen auch den Bau von Langstrecken- oder Interkontinentalraketen erlernen könnte."

Es gebe Spekulation, dass Pjöngjang den Bau solcher militärischen Langstreckenraketen unter dem Deckmantel von Weltraumraketenprogrammen bis 2016 versucht habe. Erfolgreich seien aber lediglich der Bau, Start und Test von Interkontinentalraketen seit dem Jahr 2017 gewesen. Diese könnten, so Elisabeth Suh, auch das Festland der USA erreichen.

"Diese Interkontinentalraketen unterscheiden sich jedoch deutlich von vorherigen Programmen für Langstreckenraketen und Weltraumraketen, die Nordkorea zwischen 1998 und 2016 getestet bzw. gestartet hatte. Stattdessen wird ein umgekehrtes Lernen vermutet, dass nämlich die Motoren, die in der neuen Serie von Interkontinentalraketen seit 2017 genutzt werden, auch im neuen Modell von Weltraumraketen, die Nordkorea in 2023 und 2024 gestartet hatte, eingebaut sind."

Die große Angst der internationalen Gemeinschaft: Raketen mit Atomsprengköpfen

Die USA, Südkorea und Japan hatten den Raketenstart im Mai 2023 auch vor allem vor diesem Hintergrund verurteilt und dem Regime in Pjöngjang vorgeworfen, die Technologie stehe in direktem Zusammenhang mit dem Programm ballistischer Raketen. Gleichermaßen hatten die USA den Start im November 2023 als Verstoß gegen die Resolutionen des Sicherheitsrates verurteilt.

Der Vorgang, so die Sprecherin des Nationalen Sicherheitsrates des Weißen Hauses, Adrienne Watson, könne "die Sicherheitssituation in der Region und darüber hinaus destabilisieren." Die große Angst der internationalen Gemeinschaft: Nordkorea könnte diese Raketen mit Atomsprengköpfen bestücken.

Nordkorea wiederum sieht die Aggression aufseiten der USA und ihrer Verbündeten als Quelle der Instabilität und wirft diesen eine feindselige Politik vor. Das Atom- und Satellitenprogramm wird vom Regime in Pjöngjang als Teil seiner Verteidigungsstrategie geframet. Diese Behauptung und die grundlegende Ausrichtung Nordkoreas, das das Staatsgebiet Südkoreas beansprucht und sich als einzig legitime Regierung auf der Halbinsel versteht, stehen im Widerspruch zur internationalen Gemeinschaft.

Expertin zu Lage auf koreanischer Halbinsel: Neuer sicherheitspolitischer Tiefpunkt

Die Nordkorea-Expertin Elisabeth Suh vermutet, dass Nordkorea mit seinen Satelliten vor allem Südkorea, Japan und das US-Militär in Nordostasien ausspionieren wolle. "Von Interesse wären natürlich auch US-Stützpunkte auf Guam, Hawaii und dem US-Festland, aber das wären sehr, sehr große Gebiete und entsprechend die Abdeckung mit Satelliten sehr, sehr aufwändig." Wie technisch ausgefeilt die Satelliten aber wirklich sind, wüssten wir leider nicht, erklärt die Forscherin.

Generell sei die Informationslage zu Nordkorea dürftig. Internationalen NGOs (Nicht-Regierungsorganisation; Anm. d. Red.) sei der Zutritt seit 2020 verboten und nur ausgewählte Personen aus China und Russland dürften das Land betreten. Insgesamt könne man von einem neuen sicherheitspolitischen Tiefpunkt sprechen, so die Wissenschaftlerin Suh: "Die Müll-Luftballons von nordkoreanischer Seite, die Propaganda-Lautsprecher auf südkoreanischer Seite, Pjöngjangs ständige Kriegsrhetorik, Raketentests und Militärübungen sowie Seouls konfrontative Rhetorik und vermehrt publik gemachte Militärübungen illustrieren, wie angespannt die Lage zwischen den beiden Koreas ist. Beide Koreas rüsten massiv auf und wechseln sich mit konfrontativen Tönen ab, um die eigene Überlegenheit durch Risikobereitschaft und militärische Fähigkeiten zu demonstrieren – eine riskante Spirale, die im Konflikt eskalieren könnte."

So hoch ist das Risiko einer Eskalation

Weil Südkorea – anders als Nordkorea, China und die USA – das Waffenstillstandsabkommen von 1953 zur Beendigung des Koreakrieges nie unterzeichnet hat, befänden sich die beiden Staaten faktisch noch im Koreakrieg, erläutert die Expertin. Obwohl keines der beiden Länder ein rationales Interesse an einer Eskalation haben könne, bestehe auch deshalb stets ein gewisses Risiko einer aktiven Kriegsführung. "Nordkorea wäre Südkorea – und den USA – militärisch unterlegen und ein Nuklearwaffeneinsatz würde erst recht, wie es der amerikanische Verteidigungsminister Lloyd Austin ausgedrückt hat, das ‘Ende des Regimes‘ bedeuten", stellt Suh klar.

Wie realistisch eine tatsächliche Eskalation des Konflikts ist, lässt sich nicht sagen. Doch Elisabeth Suh analysiert: "Das Risiko eines erneuten Konfliktausbruchs aufgrund einer nicht-intendierten Eskalation besteht vor allem, wenn die Dichte an politischen Spannungen und militärischen Aktivitäten auf der koreanischen Halbinsel weiter zunimmt und so auch die theoretische Wahrscheinlichkeit von Unfällen oder Fehlern bei der Interpretation der Aktivitäten der gegnerischen Seite wächst."

Darum kündigt Nordkorea seine Raketenstarts an

Die Minimierung des Risikos einer nicht-intendierten Eskalation des Konfliktes erklärt dabei auch, warum Nordkorea stets vorab über die geplanten Raketen- und Satellitenstarts informiert: "Nordkorea testet seine Langstreckenraketen oft mit manipulierter Flugbahn, um zwar den Wiedereintritt der Raketen zu üben aber dabei das Risiko zu minimieren, dass die Rakete gegnerisches Territorium überfliegt oder dort sogar landet", erklärt Suh dazu. Die Manipulation der Flugbahn, die in der Fachsprache als "lofted trajectory" bezeichnet wird, werde allerdings bei Weltraumraketen nicht genutzt. "In diesem Fall hat Nordkorea ein Eigeninteresse daran, die Nachbarschaft vorzuwarnen, dass es eine Weltraumrakete – und keine mit nuklearem Sprengkopf bestückte Langstreckenrakete – gestartet hat."

Doch eine Entspannung der von der Expertin beschriebenen, unübersichtlichen Lage ist bislang nicht in Sicht. Erst Ende Juli hatte Nordkorea erneut Müllballons in den Süden geschickt. Südkorea wiederum droht laut der Nachrichtenagentur Yonhap mit einer Erhöhung der Zahl der Lautsprecher in den Grenzregionen zur Propaganda-Beschallung. Anfang August präsentierte das Regime von Machthaber Kim Jong-un laut der staatlichen Nachrichtenagentur KCNA dann in einer Zeremonie in der nordkoreanischen Hauptstadt Pjöngjang 250 neue Abschussrampen für taktische Kurzstreckenraketen. Zu alldem gesellen sich Spekulationen über Kims Gesundheitszustand und seine mögliche Nachfolgerin: Der Geheimdienst Südkoreas, NIS, geht davon aus, Kims Tochter Ju Ae werde auf eine Führungsrolle vorbereitet.

"Pjöngjang bringt Kim Ju Ae offensichtlich bei, als gesetzliche Erbin aufzutreten", kommentierte der südkoreanische Parlamentsabgeordnete Lee Seong Kweun laut Spiegel. Welchen Einfluss diese potenzielle Änderung in der Führungsebene der Diktatur auf das Verhältnis zu Südkorea haben wird, bleibt abzuwarten.

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