Abseits der Regierung werden wichtige Entscheidungen von der rot-schwarzen Sozialpartnerschaft getroffen. Daran wird auch die neue Koalition nicht viel ändern können.
Wahre Macht zeigt sich bisweilen in Details mit sperrigem Namen. Zum Beispiel dem "Bauarbeiter-Urlaubs- und Abfertigungsgesetz". Vor der Sommerpause des Parlaments wurde es angepasst, damit Bauarbeiter mehr Freizeit und mehr Geld am Konto haben.
Eigentlich werden Gesetze von einem Minister vorbereitet und dann von der Regierung abgesegnet. Ehe die neue Regelung im Nationalrat beschlossen wird, haben die Sozialpartner – also die Kammern und der Gewerkschaftsbund (ÖGB) – die Möglichkeit, sich dazu zu äußern und den Regierenden Änderungsvorschläge zu unterbreiten. Dann kommt die Gesetzesvorlage in den Nationalrat.
In diesem Fall war es umgekehrt. Die Regierung hatte mit der Novelle praktisch nichts zu tun. Das neue Gesetz wurde von ÖGB und Wirtschaftskammer ausverhandelt. Dann brachte der Gewerkschafter und SPÖ-Abgeordnete Josef Muchitsch das Gesetz im Sozialausschuss des Nationalrates ein. "Das ist eine Sozialpartnereinigung", erklärte er.
Debatte? Fehlanzeige, die Sache war längst abseits der Politik geklärt. Wenig später wurde die Novelle im Parlament beschlossen.
Muchitsch vertrat eigene Interessen
Das ist ein Fall von vielen, der den Einfluss der Sozialpartner in der österreichischen Politik zeigt. Muchitsch, der die Novelle einbrachte, war zu diesem Zeitpunkt nicht nur Vorsitzender des wichtigen Sozialausschusses im Parlament.
In Personalunion war er auch Chef der Bauarbeiter-Gewerkschaft und Chef der "Bauarbeiter-Urlaubs-und Abfertigungskasse" – also jener Institution, die mit dem neuen Gesetz mehr Geld zum Auszahlen bekommen sollte.
Der mächtige Parlamentarier hat das also Gesetz für seine Klientel selbst eingebracht. Nur NEOS-Abgeordeter Gerald Loacker stieß sich damals am Interessenskonflikt Muchitschs. Er erinnert sich: "Die Abgeordneten von FPÖ und Team Stronach konnten nicht verstehen, warum ich ein Problem damit habe. Ich solle mich nicht darüber aufregen, wenn ein Gewerkschafter seine Arbeit macht."
Das Beispiel zeigt, wie abseits des Parlaments und abseits der Ministerien Politik gemacht wird.
Weltweit ein einzigartiges System
Vor allem während der rot-schwarzen Koalition war es üblich, dass weitreichende Entscheidung über die Zukunft des Landes zwischen Vertretern der ÖVP-nahen Wirtschaftskammer sowie von Arbeiterkammer und ÖGB (beide SPÖ-nahe) ohne öffentliche Diskussion paktiert werden. In den meisten anderen EU-Ländern wäre das undenkbar.
Das österreichische System der Sozialpartnerschaft ist weltweit ziemlich einzigartig. Es geht zurück auf die Nachkriegszeit, als sich Arbeitnehmer und Arbeitgeber auf ein gütliches Miteinander verständigten: Die Standesvertretungen vereinbarten, wichtige Entscheidungen im Konsens zu treffen, um den sozialen Frieden zu gewährleisten.
Dieses System funktionierte gut. Anders als etwa in Deutschland braucht es in Österreich keinen Mindestlohn, weil kollektive Gehaltserhöhungen abseits des Parlaments zwischen Arbeitgeber- und Arbeitnehmervertretern ausverhandelt werden.
Beide Seiten riefen die Ihren traditionell zur Mäßigung im Sinne des guten Einvernehmens auf. Klassenkampf? Nicht mit dem ÖGB. Heute noch ist in Österreich von Streiksekunden die Rede: Es ist eine absolute Ausnahme, dass Arbeitnehmer aus Protest die Arbeit niederlegen.
Schattenseiten der "Nebenregierung"
Das System hat freilich auch seine Kehrseiten. Denn die "Nebenregierung" – wie die Sozialpartnerschaft gelegentlich genannt wird – zwingt nicht selten Regierung und Parlament ihren Willen auf.
Vertreter von Wirtschafts-, Landwirtschafts- und Arbeiterkammer sowie des ÖGB sitzen in zahlreichen wichtigen Gremien des Landes, wo sie über Zukunftsfragen wie die Sicherung der Pensionen ebenso entscheiden wie etwa über den Datenschutz. Angelegenheiten also, die mit der Standesvertretung wenig bis nichts zu tun haben.
Auch die Sozialversicherung wird von Vertretern der Kammern und des ÖGB geführt. In der Praxis bedeutet das, dass es rote Kassen gibt, die von Vertretern der Arbeiterkammer und der Gewerkschaft geleitet werden. Und schwarze Kassen, die von Vertretern der Wirtschafts- bzw. Landwirtschaftskammer geführt werden. An der Spitze des Hauptverbandes wechseln sich Rote und Schwarze ab.
Woran Schwarz-Blau nicht rütteln kann
An diesem System wird auch eine schwarz-blaue Regierung in absehbarer Zeit nicht rütteln können. Auch wenn die Koalition einige Kassen zusammenlegt, wird sie an der "Selbstverwaltung" der Kassen durch die Sozialpartner kaum im Grundsatz rütteln.
Denn auch in der "Neuen Volkspartei" von Sebastian Kurz bilden Vertreter von Wirtschafts- und Landwirtschaftskammer eine massive Front – die sich gegen eine Beschneidung ihrer Macht zur Wehr setzen.
Schon jetzt hat der ÖVP-Wirtschaftsflügel vorsorglich Protest gegen Pläne zur Abschaffung der Pflichtmitgliedschaft in den Kammern angemeldet.
Die Pflichtmitgliedschaft sei eine "zutiefst liberale Idee", die auf die bürgerliche Revolution von 1848 zurückgehe, stellte der designierte Wirtschaftskammer-Chef Harald Mahrer unlängst klar. Er werde um diese "kämpfen".
Es ist schwer vorstellbar, dass Mahrers Wirtschaftskammer-Funktionäre im ÖVP-Klub einer Abschaffung zustimmen. Und ohne die Wirtschaftskämmerer hat Kurz keine Mehrheit.
Die wahre Macht der Sozialpartner
Hier zeigt sich die wahre Macht der Sozialpartner: Sie sind in den Parlamentsklubs von SPÖ und ÖVP so stark vertreten, dass es gegen ihren Willen praktisch keine Mehrheit gibt.
"Ja es gibt eine Nebenregierung", sagt der Politologe und Meinungsforscher Peter Hajek. "Die Sozialpartner sind eine politische Macht in diesem Land."
Hajek weiter: "Man spricht darüber, dass Burschenschafter die FPÖ dominieren, obwohl deren Anteil in der Bevölkerung gering ist. Das gleiche könnte man aber auch über Landwirte sagen. Der Einfluss des ÖVP-Bauernbundes in der Politik ist exorbitant höher als es der Anzahl der Bauern in der Gesamtbevölkerung entsprechen würde."
Ist die Macht der rot-schwarzen Sozialpartner also unabhängig von der aktuellen Regierung einzementiert? Davon ist zumindest Experte Hajek überzeugt. "Sowohl SPÖ als ÖVP werden von den Kammern getragen. Wenn man diese Strukturen verändern möchte, dann geht das nur über ein Persönlichkeitswahlrecht."
Pointiert ausgedrückt: Mit einem Wahlrecht, bei dem Kammervertreter nicht automatisch für SPÖ und ÖVP in den Nationalrat einziehen, weil für ein Mandat einzig die Anzahl der Vorzugsstimmen zählt – und nicht die Reihung am Listenplatz.
Aber wie realistisch ist es, dass es in absehbarer Zukunft zu einem solchen Systemwechsel kommt? Es müsste jedenfalls im Nationalrat beschlossen werden. Und dort geht nichts gegen die Vertreter der Sozialpartner.
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