Zunächst herrscht Chaos, als im Libanon zeitgleich Hunderte kleiner Funkempfänger explodieren. Die Regierung in Beirut macht Israel für die offenbar koordinierte Aktion verantwortlich.

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Mit der zeitgleichen Explosion hunderter Pager ist der pro-iranischen Hisbollah-Miliz im Libanon am Dienstag ein schwerer Schlag zugefügt worden. Experten sehen in dem beispiellosen Vorfall einen Coup des israelischen Geheimdienstes gegen die schiitische Miliz und ihre Unterstützer in Teheran. Nach Angaben der libanesischen Regierung wurden mindestens neun Menschen getötet und etwa 2800 weitere verletzt, darunter auch der iranische Botschafter in Beirut.

Die Hisbollah bevorzugt aus Sicherheitsgründen die Nutzung von Pagern, die eine eigene Funkfrequenz nutzen, statt mit Handys Gefahr zu laufen, dass ihre Kommunikation zurückverfolgt, abgehört oder blockiert wird. Experten vermuten, dass Israel die nun explodierten Funkmeldeempfänger der Hisbollah bereits vor ihrer Lieferung an deren Mitglieder manipulierte, um sie alle am selben Tag zu einer bestimmten Uhrzeit zur Explosion zu bringen.

Pager mit Sprengsätzen versehen?

Aus dem Umfeld der Hisbollah erfuhr die Nachrichtenagentur AFP, dass die explodierten Pager erst kürzlich importiert wurden. Die Hisbollah hatte demnach tausend dieser Geräte erhalten, die "an der Quelle sabotiert" worden seien.

Um neue Pager mit Sprengsätzen zu versehen, "hätte Israel Zugang zur Lieferkette dieser Geräte gebraucht", sagt der in Brüssel ansässige Militär- und Sicherheitsexperte Elijah Magnier. Der israelische Geheimdienst habe also offenbar "den Produktionsprozess infiltriert, eine explosive Komponente und Fernzündemechanismen in die Pager eingebaut, ohne Verdacht zu erregen".

Laut Magnier könnte es sich bei dem Anbieter der Pager sogar um ein Unternehmen gehandelt haben, das der israelische Geheimdienst eigens dafür aufgebaut hat.

Experte: Möglicherweise mit Funksignal zur Explosion gebracht

Charles Lister von der US-Denkfabrik Middle East Institute sagt: "Das war mehr als Lithium-Batterien, die außer Kraft gesetzt wurden." Vielmehr sei höchstwahrscheinlich an der Batterie eine kleine Menge Plastiksprengstoff eingebaut worden, das durch einen Telefonanruf oder ein Funksignal zur Explosion gebracht werden konnte.

"Der Mossad hat die Lieferkette infiltriert", schlussfolgert Lister mit Blick auf den israelischen Geheimdienst. Für den in Dubai ansässigen Analysten Riad Kahwaji steht fest, dass eine Fabrik in Israels Besitz "diese Sprengsätze hergestellt und geliefert hat, die heute explodiert sind".

Überhitzen eher weniger wahrscheinlich

Der ehemalige CIA-Analyst Mike DiMino von der US-Denkfabrik Defense Priorities kommentierte im Onlinedienst X unter Berufung auf Bilder von den Verletzungen im Libanon, ein "sehr kleiner Sprengsatz" in den Pagern und nicht das Überhitzen der Batterie sei die wahrscheinlichste Explosionsursache. "Das war einer klassischer Sabotage-Einsatz", schreibt DiMino - und dessen Vorbereitung habe wahrscheinlich "Monate, wenn nicht Jahre" gedauert.

Das "Wall Street Journal" berichtete unter Berufung auf mit der Angelegenheit vertraute Kreise, die manipulierten Pager seien Teil einer neuen Lieferung gewesen, die die Hisbollah erst vor ein paar Tagen erhalten habe. Die libanesische Miliz hat Israel bereits "für diese sündhafte Aggression" verantwortlich gemacht. Israel, das sich generell nicht zu Aktionen der Sicherheitsbehörden außerhalb des Landes äußert, hat dies bislang weder bestätigt noch dementiert.

Unklar ist auch, ob die koordinierten Explosionen einen tatsächlichen Krieg zwischen Israel und der Hisbollah auslösen - zusätzlich zum Gaza-Krieg, der nach dem beispiellosen Angriff ausgebrochen war, den die mit der Hisbollah verbündete radikalislamische Palästinenserorganisation Hamas am 7. Oktober 2023 verübt hatte.

Pager-Explosion schwerer Schlag für Hisbollah

In jedem Fall stellen die Pager-Explosionen einen schweren Schlag für die Hisbollah dar. Sollte Israel dahinter stecken, hat es damit gezeigt, dass seine Macht bis in die Hosentaschen der Hisbollah-Mitglieder reicht.

Mit der Tötung des Hisbollah-Militärchefs Fuad Schukr bei einem Luftangriff am 30. Juli hatte Israel bereits bewiesen, dass es sich genaue Informationen über den Aufenthaltsort eines mächtigen Hisbollah-Anführers verschaffen kann. Nur einen Tag später wurde der Hamas-Chef Ismail Hanija bei einem Besuch in Teheran durch einen Sprengsatz getötet, den Israel dort schon Wochen zuvor platziert haben soll.

Der Verteidigungsexperte Pierre Servent ist der Ansicht, dass der israelische Geheimdienst mit den Pager-Explosionen im Libanon seinen Ruf wiederhergestellt hat, der unter dem Versagen der israelischen Sicherheitsbehörden bei dem Angriff vom 7. Oktober sehr gelitten hatte. "Die Reihe von Einsätzen in den vergangenen Monaten markiert ihr großes Comeback, mit dem Bedürfnis nach Abschreckung und einer Botschaft: 'Wir haben versagt, aber wir sind nicht tot'." (afp/bearbeitet von cgo)

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