Im Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern besteht kaum eine Aussicht auf dauerhaften Frieden. Auf beiden Seiten haben derzeit Politiker das Sagen, die wenig Kompromissbereitschaft zeigen.

Ein Interview

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Die USA haben ihre Botschaft in Ost-Jerusalem eröffnet, kurz darauf sterben an der Grenze zwischen Israel und dem Gaza-Streifen bei Unruhen Hunderte Menschen.

Die vergangene Woche hat erneut gezeigt, wie verfahren und gefährlich die Situation im Nahen Osten ist - und wie weit ein tragfähiger Frieden weg ist.

Die Politikwissenschaftlerin Margret Johannsen erklärt im Interview, wie es doch zur Aussöhnung zwischen Israelis und Palästinensern kommen könnte.

Frau Johannsen, in den 1990er Jahren waren die Friedensverhandlungen zwischen Israelis und Palästinensern schon weit vorangeschritten. Was ist seitdem schiefgelaufen?

Margret Johannsen: 1993 und 1994 gab es Verhandlungen zwischen Israel und der palästinensischen Befreiungsorganisation PLO über eine Vereinbarung, die den Krieg ablösen sollte. Diese Verhandlungen haben die schwierigen Fragen aber vertagt: Was soll aus den Flüchtlingen und was aus den Siedlern in den besetzten Gebieten werden? Was aus Jerusalem? Stattdessen hat man versucht, eine palästinensische Autonomie herzustellen - vielleicht in der Erwartung, dass sich Vertrauen bilden würde, mit dem man diese schwierigen großen Fragen klären kann. Doch dieses Vertrauen ist nicht entstanden.

Warum nicht?

Die Israelis siedelten weiter und signalisierten den Palästinensern damit, dass sie deren Hoffnungen auf einen intakten Staat mit zusammenhängenden Gebieten nicht teilten. Die Palästinenser haben darauf reagiert - und zwar gerade diejenigen, die an den Verhandlungen gar nicht beteiligt waren: die Hamas und der islamistische Dschihad, die weiterhin zu Gewalt gegriffen haben. Dem haben sich dann weitere Organisationen angeschlossen, auch in der Konkurrenz um Zustimmung im palästinensischen Volk. Man hatte Land gegen Frieden tauschen wollen – und hat im Grunde Landnahme gegen Terror getauscht.

Die Zweistaatenlösung mit einem palästinensischen Staat neben Israel war lange das realistischste Friedensszenario. Gilt das noch?

Es wäre zumindest die humanste und vernünftigste Lösung, weil die Mehrheit der Bevölkerung es dafür hält. Auf beiden Seiten. Wenn man ins Kleingedruckte schaut, kann man natürlich Zweifel hegen, dass die Anhänger der Idee alle Konsequenzen mittragen würden. Was würde das zum Beispiel für Jerusalem bedeuten oder für die 500.000 Siedler im palästinensischen Gebiet? Der Begriff Zweitstaatenlösung übertüncht diese offenen Konflikte.

Welche Szenarien sind noch denkbar?

Eine Überlegung ist ein gemeinsamer Staat für beide Nationen. Auf beiden Seiten der Bevölkerung findet der Vorschlag aber keine Zustimmung. Die Israelis befürchten mit Recht, dass in so einem Staat der jüdische Charakter verloren gehen würde. Die Palästinenser wiederum haben jahrzehntelang für einen eigenen Staat gekämpft, hohe Opfer gebracht und können sich deswegen schwer von der Vorstellung verabschieden, einen eigenen Staat zu haben.

Der Historiker Michael Wolffsohn hat die Idee einer Bundesrepublik ins Gespräch gebracht.

Es gibt für diese föderalen Modelle in der Welt viele Beispiele, auch wenn die nicht immer problemlos funktionieren. Es gibt Klippen, aber verschiedenste Möglichkeiten sie zu umschiffen. Eine Idee ist zum Beispiel, dass das Jüdisch-Sein oder Palästinensisch-Sein nicht mehr an den Boden geknüpft ist: Man würde die Kontrolle über ein Territorium und die Staatsangehörigkeit also entkoppeln. Eine zweite Möglichkeit würde darin bestehen, die Kontrolle der Territorien beizubehalten, sie aber nicht an undurchlässigen Grenzen festzumachen. Eine dritte Möglichkeit hat vor einigen Jahren der Philosoph Sari Nusseibeh ins Gespräch gebracht. Er hat gesagt: Es ist wichtiger für uns, dass wir gut leben können als dass wir alle Staatsbürgerrechte haben.

Was würde das bedeuten?

Er meinte: Sollen die Israelis alles annektieren, was sie haben wollen. Dann leben wir in einem Staat, der von Israel beherrscht ist und haben keine staatsbürgerlichen Rechte in dem Sinne, dass wir wählen dürfen. Aber wir leben dann nicht mehr unter Besatzungsrecht und werden gewaltlos in einer Bürgerbewegung dafür kämpfen, unsere Bürgerrechte langfristig zu erringen. Das ist anstrengend. Aber Gewalt ist auch anstrengend und mit hohen Opfern verbunden.

All diese Modelle würden aber von beiden Seiten viel Kompromissbereitschaft erfordern.

In der Tat. Auf beiden Seiten geht die Entwicklung eher in die andere Richtung. Israel entwickelt sich in rasantem Tempo hin zu einer illiberale Demokratie. Die Versuche, demokratische Rechte und den Obersten Gerichtshof einzuschränken, nehmen zu. Regierungschef Benjamin Netanjahu braucht für seine Koalition die ultraorthodoxen und die nationalreligiösen Kräfte, die keine Kompromisse zulassen wollen.

Und bei den Palästinensern?

Bei der PLO hat es immer einen relativ hohen Realismus und eine hohe Kompromissbereitschaft gegeben. Inzwischen durchzieht aber eine Mischung aus Verzweiflung und Resignation die Bevölkerung, auch wegen der Eliten. Diese Eliten sind zum Teil hoch problematisch.

Warum?

Die Autonomieregierung der Westbank kooperiert mit Israel im Sicherheitsbereich, genießt dafür Privilegien und bereichert sich. Sie hat im Grunde genommen ein Interesse daran, dass die Verhältnisse bleiben, wie sie sind. Im Gaza-Streifen wiederum macht die Hamas einen Spagat, seit sie dort 2007 die Macht übernommen hat. Sie ist auf der einen Seite Regierungspartei, auf der anderen Seite hat sie ihre Befreiungsrhetorik aufrechterhalten. Zur Zeit ist es so, dass die palästinensischen Herrschenden im Gaza-Streifen und in der Westbank kein ausgeprägtes Interesse daran zeigen, sich zu versöhnen. Doch ohne eine Versöhnung werden die Palästinenser auch nicht mit Israel über ein Ende der Besatzung verhandeln können.

Das klingt so, als ob es bis auf Weiteres beim Status Quo bleiben wird.

Ja, beim politischen Status Quo. Aber eigentlich kann man nicht von einem Status Quo sprechen, weil das israelische Siedlungsprojekt in der Westbank ja weitergeht.

Gäbe es überhaupt Akteure, die Israelis und Palästinenser wieder zu Verhandlungen bringen könnten?

Die USA unter der jetzigen Regierung scheiden da eher aus. Die Ägypter bemühen sich, die Spaltungen der Palästinenser zu überwinden. Die Europäische Union wiederum ist wirtschaftlich gesehen für Israel enorm wichtig. Bisher hat die EU dieses "Ass" aber leider nicht genutzt.

Was könnte die EU tun?

Immerhin verlangt das Assoziationsabkommen zwischen Israel und der EU, auf dessen Grundlage im Warenverkehr viel niedrigere Zölle als der Regelsatz gelten, dass Israel das Völkerrecht achtet. Die EU hätte die Möglichkeit, Einfluss zu nehmen und aus dieser wirtschaftlichen Stärke auch eine politische Einflussmöglichkeit machen.

Dr. Margret Johannsen ist Politikwissenschaftlerin am Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg. Sie hat verschiedene Bücher und Aufsätze zum Thema veröffentlicht – zum Beispiel "Der Nahost-Konflikt. Eine Einführung".
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