Jedem vierten Palästinenser in Gaza droht laut UN der Hungertod. Eine mit großer Mühe verabschiedete Resolution soll nun die Wende bringen. Doch nicht nur der UN-Chef stört sich an dem, was nicht im Text steht. Ein Überblick der Nacht und Ausblick auf den Tag.

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Der Kompromiss im Weltsicherheitsrat für eine entscheidende Erweiterung der humanitären Hilfe für etwa zwei Millionen Notleidende im Gazastreifen stößt auf ein geteiltes Echo. Neben einer Erleichterung darüber, dass das mächtigste UN-Gremium angesichts des grenzenlosen Leids der palästinensischen Bevölkerung nicht vollends blockiert ist, herrschte auch weit verbreitete Skepsis über die Qualität des Beschlusses.

UN-Generalsekretär António Guterres sagte, es sei "unverzüglich noch viel mehr nötig", um den Menschen im Gazastreifen zu helfen. Auch eine Reihe von Ländern im Rat hatte sich nach der Abstimmung enttäuscht über den verwässerten Text gezeigt, dessen Annahme sie trotzdem für nötig hielten. Das Papier fordert Israel unter anderem auf, "unverzüglich einen sicheren und ungehinderten humanitären Zugang" in den Gazastreifen zu ermöglichen.

Kritiker der Resolution stören sich vor allem daran, dass eine Forderung nach einem Aussetzen der Gewalt auf Druck der USA aus dem Papier gestrichen wurde. "Ein humanitärer Waffenstillstand ist die einzige Möglichkeit, den dringenden Bedürfnissen der Menschen in Gaza gerecht zu werden und ihren anhaltenden Alpträumen ein Ende zu setzen", sagte Guterres dazu. Der 74-jährige Portugiese ließ dabei keinen Zweifel daran, dass Israel aus seiner Sicht Teile der Gaza-Hilfe blockiert.

Emiratische Botschafterin Lana Nusseibeh: "Nicht perfekt"

Die Verhandlungsführerin der Resolution, die emiratische Botschafterin Lana Nusseibeh, nannte den Text "nicht perfekt" und betonte ebenfalls die Notwendigkeit einer Waffenruhe. Auch China äußerte deshalb Enttäuschung. Offen bleibt auch, wie viel Einfluss die Resolution tatsächlich haben wird. Trotz ihrer völkerrechtlichen Verbindlichkeit dürften die Konsequenzen für Israel bei Zuwiderhandlung überschaubar sein.

Die 15 Mitglieder des Sicherheitsrates hatten tagelang um die Resolution gerungen und eine Abstimmung immer wieder verschoben, um ein drohendes Veto der USA zu verhindern. Washington hatte sich zwischenzeitlich bereits auf eine Ablehnung festgelegt, um die Interessen seines Verbündeten Israel zu schützen. Massive Zugeständnisse der Unterhändler verhinderten ein Scheitern des Beschlusses jedoch in letzter Sekunde. Insgesamt stimmten schließlich 13 der 15 Länder für den Text, neben den USA enthielt sich auch Russland. Der britische Außenminister David Cameron sprach von einem "schwierigen Prozess".

UN-Koordinator für schnelle Hilfslieferungen

Neben der Streichung einer Passage, die skrupellose Angriffe auf Zivilisten verurteilt, kam der Rat den USA in der umstrittenen Frage nach der Kontrolle der Hilfsgüter entgegen. Die Resolution verlangt hier, dass ein UN-Koordinator eingesetzt und mit der Überprüfung der Güter beauftragt wird, die über alle verfügbaren Grenzübergänge in den Gazastreifen fließen sollen. Die Vereinten Nationen wollen diese Stelle Kreisen zufolge noch in diesem Jahr besetzen.

In einer früheren Version der Resolution hatte es geheißen, die Vereinten Nationen sollten das exklusive Recht haben, die Lieferungen zu inspizieren. Diese Formulierung fehlt im angenommenen Text. Israel will die Kontrolle aus Angst vor geschmuggelten Waffen nicht abgeben.

"Israel wird die gesamte humanitäre Hilfe für Gaza weiterhin aus Sicherheitsgründen inspizieren", schrieb Außenminister Eli Cohen auf der Plattform X. Er betonte, sein Land werde den Krieg fortsetzen "bis alle Geiseln freigelassen sind und die Hamas im Gazastreifen eliminiert ist". Gazastreifen am Rande der Hungerkatastrophe

Als Folge der israelischen Kriegsführung der vergangenen zehn Wochen ist die humanitäre Situation der mehr als zwei Millionen Menschen im Gazastreifen dramatisch. Eine aktuelle UN-Studie kommt zu dem Schluss, dass in dem abgeriegelten Küstenstreifen 577.000 Menschen in die schwerwiegendste Kategorie des Hungers fallen. Im gesamten Rest der Welt zusammen gibt es dagegen gegenwärtig 129.000 Menschen, die ähnlich bedroht seien. Fast alle Menschen im Gazastreifen leiden unter Hunger oder Vertreibung. Israel hatte den Gazastreifen nach der grausamen Terrorattacke der islamistischen Hamas vom 7. Oktober abgeriegelt und angegriffen.

Widerstand der USA

Die US-Regierung hatte bei der Verhandlungen auch intern mit sich gerungen. Sicherheitsratskreisen zufolge waren führende Diplomatinnen und Diplomaten bereits deutlich früher zu einer Enthaltung bereit, die den Weg für eine Resolution frei gemacht hätte. US-Präsident Joe Biden legte sich demnach jedoch auf ein Veto fest. Erst direkte Verhandlungen von US-Außenminister Antony Blinken mit arabischen Amtskollegen und weitere Zugeständnisse änderten die Haltung Bidens.

In den vergangenen Wochen waren zwei ähnliche Resolutionsentwürfe am Widerstand der USA gescheitert. Washington hatte sich stets hinter Israel gestellt und angegeben, dass Vorstöße per Resolution die laufenden diplomatischen Bemühungen vor Ort gefährden könnten. Bislang hat der Weltsicherheitsrat nur vor einigen Wochen eine völkerrechtlich bindende Resolution mit humanitärem Fokus zu dem Konflikt verabschiedet. Die UN-Vollversammlung hat dagegen schon zweimal per Resolution ein Ende der Gewalt gefordert. Die Resolutionen dieses Gremiums sind allerdings nicht bindend, sondern gelten eher als symbolisch.

Was heute wichtig wird

Die israelischen Streitkräfte wollen ihre Bodenoffensive in der Hamas-Hochburg Chan Junis fortsetzen und ihre Kontrolle über den Norden des Gazastreifens festigen. Zugleich bereiteten sich die Soldaten auf die Ausweitung der Operationen auf andere Gebiete im Gazastreifen vor, wobei der Schwerpunkt auf der südlichen Region liegt, wie Militärsprecher Daniel Hagari sagte. (dpa/vit)

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