Der Iran hat sich erstmals im Zusammenhang mit dem Gaza-Krieg direkt eingemischt: In der vergangenen Woche verübte er Angriffe auf den Irak, Syrien und Pakistan. Begründung: Die "Achse des Widerstands" sei angegriffen worden. Worum handelt es sich bei dem militanten Netzwerk, das von Teheran aus geführt wird? Experte Tobias Fella erklärt, welches Kalkül des Iran dahintersteckt.

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Es war ein Angriff, der rund um den Gaza-Krieg aufhorchen ließ: Der Iran hat in der vergangenen Woche den Irak, Syrien und Pakistan attackiert. Im Visier des Mullahs: Angeblich ein "Spionagehauptquartier" des israelischen Auslandsgeheimdienstes Mossad sowie eine "Versammlung antiiranischer Terrorgruppen".

Die Lage in Nahost ist ziemlich verworren: Bei den jetzigen Attacken handelt es sich um den ersten Angriff, der direkt vom Iran aus im Zusammenhang mit dem Gaza-Krieg erfolgt. Zuvor hatten bereits lokale Verbündete des Irans US-Stützpunkte attackiert, worauf Washington wiederum mit Vergeltungsschlägen reagierte.

Angriffe auf "Achse des Widerstands"

Dass Teheran sich jetzt direkt einschaltet, dürfte folgenden Grund haben: Im Zuge des Nahostkonflikts hat Israel in den letzten Wochen mehrere hochrangige Gegner ausgeschaltet – darunter auch den Hisbollah-Kommandeur Wissam al-Tawil und den iranische General Sejed-Rasi Mussawi.

Die jüngsten Angriffe, so die Begründung des iranischen Regimes, seien deshalb eine Reaktion auf die Angriffe auf die "Achse des Widerstands". Damit gemeint ist ein Netzwerk aus Verbündeten des Irans, das aus substaatlichen Akteuren besteht. Wichtigster Akteur ist die libanesische Hisbollah, es zählen aber auch die Hamas, der palästinensische Islamische Dschihad, Huthi-Rebellen im Jemen sowie irakische und syrische Milizen dazu.

Antiwestliche und antiisraelische Ideologie

Sie alle eint: Eine antiwestliche und antiisraelische Weltanschauung. "Die Achse des Widerstands ist ein zentrales Element der iranischen Militärstrategie", erklärt Politikwissenschaftler Tobias Fella. Teheran gehe davon aus, dass es starken Gegnern wie den USA und Israel bei einer direkten Konfrontation auf dem Schlachtfeld unterliegen würde.

Eine symmetrische Konfrontation wolle der Iran daher unbedingt vermeiden. Dazu setze er neben eigenen Raketen, Marschflugkörpern und Drohnen auf ein Bündnis von substaatlichen Akteuren, mit denen der Iran seine Ziele verfolgt, die Achse des Widerstands. "Das strategische Ziel Irans ist die Hegemonie in der Region, also Vormacht", sagt Fella.

Einflussgewinn nach 2003 und 2011

Der Iran habe seinen Einfluss in den letzten beiden Jahrzehnten in Mittleren und Nahen Osten massiv ausgebaut. "Mit dem Sturz Saddam Husseins im Jahr 2003 haben die Amerikaner einen großen Feind Irans beseitigt, sodass Teheran im Nachbarland seinen Fußabdruck vor allem aufgrund des Nachkriegschaos stark vergrößern konnte. Im Arabischen Frühling ab 2011 ist dann Ägypten als Regionalmacht ausgefallen und ein Machtausbau in Syrien gelungen", erläutert Fella. Für den Politikwissenschaftler steht darum für Iran heute nicht mehr so sehr im Vordergrund, wie man auf eine Militärinvasion der USA reagieren würde, sondern wie man sein Atomprogramm vor Luftangriffen der USA oder Israels schützt oder auf solche Angriffe reagiert.

Aufgabe der Mitglieder der "Achse des Widerstands" sei es, iranische Interessen abseits einer direkten Involvierung Teherans durchzusetzen und zugleich zum Abschreckungspotential des Iran beizutragen. "Iran möchte nur im Notfall aus der ersten Reihe agieren und greift entsprechend gerne auf die Achse des Widerstands zurück, die auch dazu dient, Signale an die Feinde Irans zu senden", so der Experte. Sie diene damit nicht nur als ein militärisches Instrument, sondern auch als Kommunikationswerkzeug.

Geld kommt aus Teheran

Im Gegenzug unterstützt der Iran seine Partner finanziell und militärisch – so auch die Hamas.

Zwar hatte der Iran nach dem Überfall auf Israel durch die Hamas am 7. Oktober dementiert, beteiligt gewesen zu sein, Fachleute betonten jedoch: Teheran hat die Hamas erst in die Position gebracht, einen derartigen Überfall durchführen zu können.

Schätzungen zufolge zahlt der Iran jedes Jahr bis zu 100 Millionen US-Dollar an Akteure wie die Hamas. Neben finanziellen Zuwendungen zählen auch Trainings, Beratung und Informationen zur Unterstützung.

"Die Achse wird von den iranischen Quds-Brigaden gemanagt. Zu ihrer Mission gehört, weitere Verbündete für den Iran vor allem in der arabischen Welt zu finden und diese zu entwickeln", sagt Fella. Der Quds-Korps ist eine Teilstreitkraft der iranischen Revolutionsgarden. Sie wurden einst von Qasem Soleimani geführt – ein iranischer Offizier, der 2020 durch einen von Ex-US-Präsident Donald Trump angeordneten Militärschlag getötet wurde.

Quds-Brigaden: strategischer Kopf

Die Quds-Brigaden sind federführend bei der militärischen Strategie des Iran und beraten den Obersten Führer Ali Chamenei. "Insgesamt besitzt der Iran ein nicht zu unterschätzendes Potential, um westliche Partner und Truppen im Mittleren und Nahen Osten zu treffen", sagt Fella.

Seit dem Überfall der Hamas ist die gesamte Achse in militärische Auseinandersetzungen verwickelt, weshalb Beobachter immer wieder auf die Gefahr eines Flächenbrands hinweisen. Huthi-Rebellen haben beispielsweise Raketen auf Israel abgefeuert, irakische und syrische Milizen haben US-Ziele attackiert. Die Bündnis-Partner sehen sich als "Waffenbrüder" und wollen Israel zerstören sowie die jüdische Bevölkerung aus Palästina vertreiben.

Keine breite Unterstützung in Bevölkerung

Zu einer Massenerhebung in den Ländern des Nahen Ostens, die etwa den völligen Kontaktabbruch zu Israel gefordert hätte, ist es jedoch nicht gekommen – entgegen der Erwartungen mancher Beobachter. Denn große Teile der Bevölkerung stehen der Achse des Widerstands negativ gegenüber: Sie wird als Instrument Teherans wahrgenommen, sich in innere Angelegenheiten anderer Staaten einzumischen.

"Der Iran stellt sich auf den Standpunkt: Er ist selbst am sichersten, wenn der Kampf abseits der eigenen Grenzen geführt wird", sagt Fella. Ein Ziel sei es, die USA aus der Region zu verdrängen und selbst noch weiter an Einfluss in der Region zu gewinnen. "Der Iran ist seit der Revolution von 1970 ein revisionistischer Akteur und möchte eine andere Ordnung in der Region – eine Vormachtstellung. Die USA sind ein Hindernis bei ihrer Umsetzung", erinnert der Politikwissenschaftler.

Dennoch habe der Iran kein Interesse an einer direkten militärischen Auseinandersetzung mit den USA oder Israel. "Man möchte vor allem abschrecken und Macht demonstrieren", meint Fella. Ein heikles Zündeln – das jederzeit doch zu einem Brand führen kann, insbesondere da ein Thema im Hintergrund schwelt, eine mögliche iranische Atombombe. Fella warnt deshalb eindringlich davor, etwa Gefahren der Verbreitung von Nukleartechnologie und letztlich auch Nuklearwaffen zu unterschätzen und nennt hier Saudi-Arabien. "Wir treten in eine Zeit der konventionellen und nuklearen Instabilität. Das heißt, neben der Stärkung der eigenen Abschreckung ist auch Zeit für die Rüstungskontrolle."

Über den Experten

  • Dr. Tobias Fella ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Friedens- und Sicherheitsforschung an der Universität Hamburg (IFSH). Er forscht zu Großmachtbeziehungen im Kontext des Ukrainekriegs.

Verwendete Quellen

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