Die Debatte um den Mindestlohn in Deutschland spitzt sich zu: Während die SPD auf 15 Euro drängt, bleibt die CDU skeptisch. Welche Auswirkungen hätte diese Erhöhung für Wirtschaft und Arbeitnehmer? Wir zeigen, was 15 Euro bewirken würden – und welche Alternativen es gibt.
Es kracht schon in der Koalition, bevor die neue schwarz-rote Bundesregierung ins Amt startet. Beim Thema Mindestlohn sind CDU und SPD uneins. Obwohl im Koalitionsvertrag steht, dass "ein Mindestlohn von 15 Euro im Jahr 2026 erreichbar" ist.
Die Frage ist, ob es auch so kommt – und wie. Die SPD will ihn zur Not per Gesetz erhöhen, die CDU überlässt das der Mindestlohn-Kommission.
Doch macht es so großen einen Unterschied, ob das kleinstmögliche Stundengehalt in Deutschland von derzeit 12,82 Euro auf 15 Euro steigt? Lobbyverbände sagen ja. Arbeitgebervertreter warnen vor Jobverlusten und steigenden Preisen.
Gewerkschaften sehen dagegen gerechtere Bezahlung und erhöhten Konsum als Effekte. Wer hat recht, muss oder sollte der Mindestlohn 15 Euro betragen?
Forscher: Mindestlohn birgt Chancen und Risiken
Was sagt die Forschung? Welche Folgen haben Mindestlohnerhöhungen auf die Gesamtwirtschaft und gäbe es andere Mittel, Armut zu bekämpfen, was tun andere Länder?
Es gibt viele Studien zum Thema, eines scheint dabei sicher: "Konsens ist, dass der Mindestlohn die Bezahlung im unteren Lohnbereich seit der Einführung 2015 spürbar erhöht hat", erklärt Arbeitsmarktökonom Martin Popp auf Anfrage unserer Redaktion.
Das sei ja Sinn und Zweck einer solchen Maßnahme: Unangemessen niedrige Löhne zu verhindern. Zudem bestehe Konsens, dass der Mindestlohn bisher kaum Auswirkungen auf Beschäftigung hatte. "Es gab Befürchtungen, dass Hunderttausende Jobs verloren gehen, das hat sich nicht bewahrheitet", sagt Popp. Zwar verloren einige Minijobber Anstellungen, fanden aber schnell besser bezahlte Jobs.
Nur betont der Experte des unabhängigen Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB): "15 Euro Mindestlohn müssen nicht automatisch ähnliche Effekte haben werden wie zuvor 8,50 Euro oder 12 Euro." Je länger Erhöhungen zurückliegen, desto mehr Daten gibt es. So sei auch dokumentiert, dass Firmen steigende Lohnkosten oft über höhere Preise an Kunden weitergeben.
Auch Geschäftsaufgaben, vor allem kleiner Betriebe in strukturschwachen Regionen, sind möglich. Es profitieren hingegen oft klassische Mindestlohnberufe in Hotel- und Gastgewerbe, Einzelhandel, Landwirtschaft und in personenbezogenen Dienstleistungen wie Friseure, Erntehelfer oder Kellner.
"Ein höherer Mindestlohn kann Lohnungleichheit senken und Jobzufriedenheit stärken", sagt Popp.
Mehr Mindestlohn: Muss das sein bei Stagnation und Rezession?
Es fällt auf, dass sich derzeit Arbeitnehmer- und Arbeitgeberverbände dieser Branchen laut äußern. Die Zeiten sind ja auch hart, die deutsche Wirtschaft kriselt, stagniert schon im dritten Jahr in Folge.
Die Unsicherheiten weltweit steigen, die Bundesregierung rechnet mit wenig Wirtschaftswachstum. Wäre mehr Mindestlohn angebracht, für mehr Kaufkraft, oder unangebracht, wegen mehr Inflation?
Die genaue Höhe des Mindestlohns legt die Mindestlohn-Kommission fest, die ebenfalls 2015 eingeführt wurde. Besetzt mit Vertretern von Arbeitgebern und -nehmern sowie Wissenschaftlern ist sie unabhängig, stimmt sich intern ab und tagt nun im Juni, um die Mindestlöhne für 2026 und 2027 festzusetzen.
Einmal wurde sie 2022 übergangen, als die Ampel-Koalition den Mindestlohn auf 12 Euro anhob.
Die Mindestlohn-Kommission: Spielball im Parteienstreit?
"Die Bundesregierung akzeptiert normalerweise die Beschlüsse der Kommission, auch um einen Überbietungswettbewerb im Wahlkampf zu verhindern", sagt Popp.
Während die SPD hofft, mit 15 Euro ein Wahlversprechen zu erfüllen, setzt die CDU auf einen unternehmerfreundlichen Entscheid. Laut Koalitionsvertrag soll sich der Mindestlohn an Tariflöhnen und Bruttomedianlohn orientieren.
Das ist eine statistische Kennzahl: 50 Prozent der Stundengehälter sind höher, 50 Prozent niedriger. Die EU rät, 60 Prozent dieses Lohns anzusetzen, der deutsche Mindestlohn liegt bei gut 52 Prozent.
Kommission wie Koalitionsvertrag erwähnen nun die 60 Prozent. "Das wären annähernd 15 Euro", sagt Popp. Ob es dazu kommt, wagt er nicht zu prognostizieren, es gäbe Gründe dafür und dagegen.
Er warnt vor allem vor sprunghaften Erhöhungen. "Es wäre eine plötzliche Steigung um 17 Prozent, das kann angesichts der derzeitigen wirtschaftlichen Schwächephase negative Effekte auf die Beschäftigung haben, durch Anpassungsprozesse der Unternehmen."
Andere Länder wie Großbritannien hätten gute Erfahrungen mit schrittweise Erhöhungen gemacht. Derzeit haben 22 von 28 EU-Ländern einen Mindestlohn, in den USA gibt es ihn schon seit 1938.
Es gäbe auch Alternativen zum Mindestlohn
Dennoch hält Popp ihn nicht für alternativlos. "Mindestlohn ist an die Beschäftigung gekoppelt, aber viele arbeiten gar nicht in Vollzeit." Bei weniger Arbeitsstunden fällt das Plus bescheidener aus. Grundsicherungen können eher größere Armut bekämpfen.
Ein höherer Mindestlohn könnte aber den Abstand zum Bürgergeld erhöhen und Anreize schaffen, eine Lohnarbeit aufzunehmen.
Insgesamt ist Popp dafür, Tarifabschlüsse zu stärken. "In Österreich oder Schweden gibt es keinen Mindestlohn, da fast alle Beschäftigten von Tarifverträgen abgedeckt sind."
In Deutschland arbeiten etwa 50 Prozent der Beschäftigen tarifgebunden, während es früher einmal gut 70 Prozent waren. "Der Staat könnte da Anreize schaffen, Aufträge etwa nur an Betriebe mit Tariflöhnen vergeben."
Der Koalitionsvertrag sieht bereits die Einführung eines solchen Bundestariftreuegesetzes vor. Doch solange untere Einkommensklassen in Tarifverhandlungen kaum vertreten sind, kann der Mindestlohn zu niedrige Löhne verhindern.
Bis 2010 stieg die Lohnungleichheit. Mittlerweile ist sie erheblich gesunken. Die Frage lautet, wie hoch der nächste Mindestlohn wird – und was er bewirkt.
Über den Gesprächspartner
- Dr. Martin Popp ist Leiter der Arbeitsgruppe Mindestlohn am Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB), der Forschungseinrichtung der Bundesagentur für Arbeit. Er forscht und publiziert zu Arbeitsnachfrage und Mindestlöhnen.