Angela Merkel gilt als abwartende, zögernde Politikerin. Aber in der Griechenland- und Flüchtlingskrise wählte die deutsche Bundeskanzlerin klare Worte, manche sprechen schon von der "Basta-Kanzlerin". Der Politologe Thomas Jäger sagt, Merkel sei schon immer entscheidungsstark gewesen.
Bei der Abstimmung zum Jugendwort des Jahres 2015 liegt "merkeln" aktuell ganz weit vorne. Das Verb steht für "Nichtstun, keine Entscheidungen treffen, keine Äußerungen von sich geben". Eine Handlungsweise, mit der häufig der Politikstil
Nur: Zuletzt war scheinbar eine ganz andere Kanzlerin zu beobachten. Erst pfiff sie Bundesfinanzminister
Kein Zögern in der Flüchtlingskrise
"Nein", sagte der Politikwissenschaftler Prof. Thomas Jäger von der Universität Köln, "da hat sich nichts geändert." Schon früh, beispielsweise beim Ausstieg aus der Atomenergie oder beim Ende der Wehrpflicht, habe sich Merkel als entscheidungsstark erwiesen. Die Wehrpflicht wurde 2011 abgeschafft, der Abschied von der Kernenergie fällt ebenfalls ins Jahr 2011. Bei beiden Themen gab es innerhalb der Union Widerstand – am Ende setzte sich Merkel durch. Neben der eigenen Persönlichkeit, die ihren Stil bedingt, hält Jäger die Koalitionskonstellation für einen wichtigen Faktor für die Art des Regierens. Mit der FDP, in Merkels zweiter Amtszeit Koalitionspartner der CDU/CSU, konnte sie ganz anders umgehen als mit der großen Volkspartei SPD. Das lag daran, dass es in beiden Konstellationen andere inhaltliche Vorhaben gab und auch die Minister unterschiedlich auftraten.
Auch wenn er keinen grundlegenden Wandel im Regierungsstil erkennen mag, hat Jäger im Verhalten der Kanzlerin während der Flüchtlingskrise eine Veränderung beobachtet: "Dort hat Merkel eine Entscheidung getroffen, die nicht ihrem Stil entspricht." Anstatt abzuwarten und zu zögern, habe sich die Kanzlerin "an die Spitze der Bewegung gestellt". Mit ihrer Ansage, Tausende Flüchtlinge aus Ungarn unbürokratisch ins Land zu holen, hatte Merkel nicht nur bei Parteifreunden Kritik geerntet. Von einer "Basta-Kanzlerin", wie sie der "Tagesspiegel" bezeichnet, will der Herausgeber der Zeitschrift für Außen- und Sicherheitspolitik aber nicht sprechen. Er betont: "Die Durchsetzungsfähigkeit war immer da". Das "Wie" sei entscheidend.
Klare Worte in der BND-Affäre fehlen
Durch ihre klaren Worte in der Flüchtlingskrise hat Merkel in Umfragen jedoch deutlich an Sympathie eingebüßt: Erstmals seit Jahren wurde sie in der Liste der beliebtesten Politiker von der Spitze abgelöst. Auch hier sieht Thomas Jäger weniger einen Zusammenhang mit ihrem Regierungsstil, sondern eher mit dem Asylthemen an sich, bei dem es kaum populäre Entscheidungen gebe. "Da geht es um die fundamentale Frage der Zusammensetzung der Bevölkerung", erklärt der Politologe. Merkel hatte gesagt, beim Grundrecht auf Asyl gebe es keine Obergrenze. Dafür war die Regierungschefin parteiintern stark kritisiert worden.
Jäger erinnert daran, dass Merkel der CDU seit ihrer Kanzlerschaft inhaltlich eine umfassende Erneuerung zugemutet habe, und die Christdemokraten von vielen ihrer klassischen Positionen mittlerweile abgerückt seien. "Obwohl sie als ostdeutsche Frau in der Partei keine wirkliche Hausmacht hatte", wie der Experte erklärt. "Ihre Hausmacht ist der Erfolg." Dieser Erfolg ist auch ihrer Durchsetzungsfähigkeit geschuldet.
Der nüchterne, zunächst abwartende Regierungsstil ist dabei zum Markenzeichen der Regierungschefin geworden. Nur selten sieht man – wie derzeit in der Flüchtlingskrise – eine Abkehr davon. Aber Merkel kann immer noch "merkeln". Das war erst vor wenigen Monaten in der Affäre um die Zusammenarbeit des Bundesnachrichtendienstes BND mit dem US-Geheimdienst NSA zu sehen. Die scharfe Kritik der Medien und der Bundestagsopposition saß sie einfach aus.
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