Es gab große Hoffnungen, als Li Keqiang als erster promovierter Ökonom das Amt des chinesischen Premiers übernahm. Doch fehlte ihm die Kraft für nötige Reformen - Staatschef Xi Jinping riss alle Macht an sich. Nun ist Li Keqiang im Alter von 68 Jahren verstorben.

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Schon seit Jahren gab es Gerüchte über den Gesundheitszustand von Li Keqiang. Bei seinen Auslandsbesuchen hätten immer lange Ruhepausen ins Programm eingebaut werden müssen, berichteten Diplomaten im vertraulichen Gespräch. Trotzdem wirkte Chinas früherer Ministerpräsident in den zehn Jahren seiner Amtszeit nie gesundheitlich angeschlagen, auch wenn er politisch ramponiert war.

Das lag vor allem daran, dass Staats- und Parteichef Xi Jinping alle Macht an sich gerissen hatte. Im März 2023 trat der Premier ab. Am Freitag ist Li Keqiang im Alter von 68 Jahren nach einem Herzinfarkt in Shanghai gestorben. Das berichtete die staatliche Nachrichtenagentur Xinhua.

Ausgerechnet als erster promovierter Ökonom an der Spitze der Regierung verlor Li Keqiang die uneingeschränkte Zuständigkeit für die Wirtschaftspolitik, die seine Vorgänger immer innegehabt hatten. Seine Machtposition litt auch darunter, dass seine Entscheidungen und auch seine Analyse der zweitgrößten Volkswirtschaft häufig von Xi Jinpings engsten Beratern offen konterkariert wurden. "Li Keqiang war in eine unmögliche Position geraten", fand Barry Naughton, Experte für chinesische Wirtschaft an der Universität von Kalifornien.

Li Keqiang wurde zum Sündenbock für wirtschaftliche Probleme

Obwohl er das Ruder nie allein in der Hand hatte, wurde er häufig zum Sündenbock für die wachsenden Probleme der Wirtschaft. Auf dem Weg zu einem starken China sammelten sich große Schuldenberge an, wuchsen Überkapazitäten von "Zombie-Unternehmen" genannten Staatsbetrieben, verschärften sich die Handelsspannungen besonders mit den USA.

Vor allem fehlte die Kraft, um die 2012 groß verkündeten Strukturreformen umzusetzen, "dem Markt eine führende Rolle bei der Verteilung der Ressourcen einzuräumen". Der Staatssektor gewann eher noch an Bedeutung. "Es ist nicht wie Nägel schneiden, sondern als ob man mit dem Messer im eigenen Fleisch operiert", sagte Li Keqiang 2015 über seine Bemühungen. Auch klagte er über einen "schwierigen Kampf".

"Reform heißt, gegen den Strom zu rudern."

Li Keqiang

Die Umkehr von blindem zu nachhaltigem Wachstum fiel schwer. China blieb abhängig von Exporten und Investitionen, während der heimische Konsum und der Dienstleistungssektor nicht genug Wachstum erzeugten. "Reform heißt, gegen den Strom zu rudern", wusste Li Keqiang. Doch er hatte nicht die Machtposition dafür - und blieb nur "ein Akademiker-Typ mit Fachwissen in Recht und Wirtschaft", wie der Politikwissenschaftler Wu Qiang von der Tsinghua-Universität sagte.

Nach Flugblatt-Affäre: Ermittlungen gegen Aiwangers Lehrer

Nach der Flugblatt-Affäre um Bayerns stellvertretenden Ministerpräsidenten Hubert Aiwanger ermittelt die Staatsanwaltschaft gegen einen ehemaligen Lehrer des Freie-Wähler-Chefs. (Teaserbild: Peter Kneffel/dpa)

Als Student vertrat er westliche und liberale Ideen

Als Funktionärssohn wurde Li Keqiang am 1. Juli 1955 in Dingyuan in der Provinz Anhui geboren. Wie andere Intellektuelle musste er 1974 am Ende der Kulturrevolution noch aufs Land. Als einer von nur drei Prozent, die die Aufnahme schafften, studierte er Jura an der Peking-Universität, promovierte in Wirtschaftswissenschaften.

Dort vertrat er nach Aussagen von Kommilitonen westliche und liberale politische Theorien. Doch als er Mitte der 1980er-Jahre in den Staatsdienst eintrat, entfernte er sich wieder davon. Während seine ehemaligen Kommilitonen 1989 auf dem Platz des Himmlischen Friedens demonstrierten, arbeitete er als Bürokrat.

Ein ehemaliger Kommilitone an der Universität Peking, Guoguang Wu, sagte der Nachrichtenagentur AFP, Li sei während ihrer gemeinsamen Zeit "jemand mit der Fähigkeit zu unabhängigem Denken" gewesen. "Danach wurde er Regierungsbeamter und diese Fähigkeit schien zu verschwinden."

Li Keqiang verliert Machtkampf gegen Xi Jinping um Präsidentschaft

In der kommunistischen Jugendliga arbeitete Li Keqiang 1983 unter seinem späteren Förderer, Staats- und Parteichef Hu Jintao. Er übernahm die Führung der Provinzen Henan und Liaoning, beide Gebiete verzeichneten ein Wirtschaftswachstum.

Doch der Aufstieg nach ganz oben blieb ihm verwehrt. Der scheidende Präsident Hu Jintao hatte seinen Schützling eigentlich zum "starken Mann" machen wollen. Das Vorhaben scheiterte an der "Shanghai-Fraktion" um seinen mächtigen Vorgänger Jiang Zemin, der vielmehr Xi Jinping zum neuen Führer aufbaute. Li Keqiang hatte das Nachsehen, wurde aber zumindest Premier. Sein Glück verließ ihn weiter, während die Protektion durch seinen Förderer Hu Jintao nachließ.

Xi Jinping entmachtete praktisch die Regierung, indem Arbeitsgruppen und Kommissionen der Partei unter seiner Führung die Regierungsarbeit übernahmen. So wurde Li Keqiang zur "lahmen Ente". "Präsident Xi Jinping konnte nicht die ganze Schuld auf seinen Gegner Li Keqiang abwälzen, weil jeder weiß, dass der Premier kaltgestellt wurde und Xi Jinping für alles die Verantwortung trägt - von den Finanzen bis zur Wirtschaftspolitik", sagte Professor Willy Lam von der Chinesischen Universität von Hongkong (CHUK).

Li Keqiang warnte vor Herausforderungen "wie nie zuvor"

Mit Mühe stemmte sich Li Keqiang 2020 gegen den Abschwung durch die Corona-Krise, indem er die Staatsausgaben erhöhte - "außergewöhnliche Maßnahmen für ungewöhnliche Zeiten." Zusätzlich machte der Handelskrieg mit den USA der zweitgrößten Volkswirtschaft zu schaffen. "Gegenwärtig und in der näheren Zukunft wird China vor Herausforderungen stehen wie nie zuvor", warnte er den Volkskongress.

Die Ernennung des Xi-Verbündeten Li Qiang als Nachfolger von Li Keqiang in diesem Jahr wurde als Zeichen dafür gewertet, dass seine Reformagenda auf der Strecke geblieben war. In seiner letzten Rede als scheidender Ministerpräsident schlug Li jedoch optimistische Töne an. Er erklärte, Chinas Wirtschaft erhole sich stetig und zeige ein enormes Potenzial und eine Dynamik für weiteres Wachstum.

Die Denkfabrik European Council on Foreign Relations (ECFR) beschreibt ihn zusammenfassend als "kompetenten und weitgehend wirkungslosen Ministerpräsident". (AFP/dpa/lko)

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