Patienten müssen zum Teil monatelang auf einen Termin bei einem Facharzt oder einer Fachärztin warten. In der Hausmedizin wiederum zeichnet sich ein großer Fachkräftemangel ab – eine komplizierte Baustelle der Gesundheitspolitik.
Stellen Sie sich vor, Sie müssen zum Arzt und bekommen keinen Termin. Für viele Menschen ist das keine bloße Vorstellung, sondern Realität. 77 Prozent der Deutschen haben in den vergangenen Jahren persönlich oder bei einem Familienmitglied erlebt, dass man lange auf einen Termin bei einem Arzt oder einer Ärztin warten musste. Das hat eine repräsentative Umfrage des Instituts Allensbach im Auftrag der "FAZ" vor kurzem ergeben.
Die Deutsche Stiftung Patientenschutz sprach vor einem Jahr von durchschnittlichen Wartezeiten von "30 Tagen und mehr". Bei manchen Fachdisziplinen dürfte das "und mehr" deutlich überwiegen.
Eine Leserin aus Hamburg schreibt unserer Redaktion zum Beispiel, sie habe auf einen Orthopädentermin sechs Monate und auf einen Frauenarzttermin fünf Monate warten müssen. Und hinzu komme: "Mein Hausarzt geht in Rente, und mich nimmt kein anderer Hausarzt oder Internist auf, nur am anderen Ende von Hamburg."
Eine Erfahrung, die bei immer mehr Menschen das Vertrauen ins Gesundheitssystem untergräbt. Besonders bei Kassenpatienten, besonders wenn es um Termine bei Fachärztinnen und -ärzten geht. Da stellen sich die Fragen: Was steckt dahinter? Und was unternimmt die Politik?
CDU hält Abschaffung der Neupatientenregelung für Fehler
Aus Sicht von Tino Sorge, gesundheitspolitischer Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, trägt auch die Bundesregierung eine Verantwortung für den Zustand. Grund sei die Abschaffung der Neupatientenregelung. Diese Regel sollte Ärztinnen und Ärzten finanzielle Anreize verschaffen, zusätzliche Termine anzubieten und neue Patienten aufzunehmen.
Aus Sicht von Gesundheitsminister
Anruf bei Terminservicestellen soll helfen
Ein Sprecher von Lauterbach betont dagegen, schnellere Termine in der fachärztlichen Versorgung seien dem Minister ein wichtiges Anliegen. Er verweist auf den Ersatz, den sich Lauterbach ausgedacht hat: Wenn die Terminservicestelle der Kassenärztlichen Bundesvereinigung einen Versicherten an einen Facharzt vermittelt, erhält dieser einen Zuschlag auf die Behandlungspauschale.
"Je schneller der Facharzt nach der Vermittlung behandelt, desto höher fällt der Zuschlag aus", sagt der Sprecher. Diese Zuschläge gebe es ebenfalls, wenn ein Hausarzt den Termin vermittelt.
Die Terminservicestelle ist unter der Nummer 116-117 erreichbar. Auch einige Krankenkassen bieten Hilfe bei der Terminsuche an.
Entbudgetierung: Hausärzte sollen besser vergütet werden
Warum aber sind diese Maßnahmen überhaupt nötig? Niedergelassene Ärztinnen und Ärzte klagen seit langem über die Vergütungen, die sie von den Krankenkassen für ihre Behandlungen bekommen: Die seien zu niedrig.
Ein Hautarzt sagte im Februar dieses Jahres etwa der Wochenzeitung "Die Zeit" (Bezahlinhalt): Wenn er einem Patienten eine hautkrebsverdächtige Stelle an der Nase wegschneide, bekomme er von der Krankenkasse dafür 15,39 Euro. Davon könne er nicht einmal eine Mitarbeiterin bezahlen, geschweige denn einen OP vorhalten. Ärztinnen und Ärzte kritisieren zudem gestiegene Kosten und überbordende Bürokratie.
Den Hausärztinnen und -ärzten will die Bundesregierung nun mit der sogenannten Entbudgetierung entgegenkommen. Dabei geht es um Folgendes: Bis jetzt gelten Obergrenzen für die Behandlungen, die Mediziner mit der Krankenkasse abrechnen können: das sogenannte Budget. Es soll verhindern, dass zu viele ärztliche Leistungen in Rechnung gestellt und die Krankenkassen belastet werden.
Diesen Preisdeckel will die Koalition jetzt für die Hausärzte abschaffen – und so finanzielle Anreize für mehr Termine geben. "Wir wollen die Attraktivität der hausärztlichen Tätigkeit deutlich erhöhen und gleichzeitig den Zugang zur Versorgung für die Patientinnen und Patienten erleichtern", sagt Heike Baehrens, gesundheitspolitische Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion, unserer Redaktion. Die Koalition werde die nötige Gesetzesänderung "zügig beraten".
Mehr Geld, mehr Facharzttermine?
Umstritten ist, ob die Entbudgetierung auch für Fachmediziner sinnvoll wäre. Lauterbach und seine SPD lehnen das ab. Sie schaffe keine zusätzliche Sprechstunde und helfe auch den Patientinnen und Patienten nicht, sagt Heike Baehrens. Auch der Bundesrechnungshof ist gegen die Entbudgetierung für Fachärzte – unter anderem wegen zu hoher Kosten für die Krankenkassen.
Die CDU wiederum ist dafür, den Preisdeckel auch für die Fachmediziner abzuschaffen. "Wenn es Karl Lauterbach mit schnelleren Terminen ernst meint, muss er auch die Situation bei den Fachärzten verbessern", sagt Tino Sorge. Auch Andrew Ullmann, gesundheitspolitischer Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, wäre dafür: "Wenn endlich bezahlt wird, was an Leistungen erbracht wird, dann besteht auch kein terminlicher Hemmschuh mehr", sagt er unserer Redaktion.
FDP-Politiker Ullmann sieht ein Kernproblem der langen Wartezeiten in der Bürokratie. Er setzt daher auf ein weiteres Vorhaben im Gesundheitsministerium: ein Entbürokratisierungsgesetz, das Mediziner von lästigen Schreibtischaufgaben entlasten soll. Der Liberale sieht allerdings auch die Patienten in der Pflicht: "Wegen Kleinigkeiten umgehend zum Arzt zu gehen, bindet ärztliche Ressourcen. Hier ist Gesundheitskompetenz und Vernunft gefragt."
Viele Ärzte gehen in den Ruhestand
Auf lange Sicht steht die Gesundheitsversorgung ohnehin vor einer Revolution: Der Einsatz von künstlicher Intelligenz oder die Telemedizin könnten die Zahl nötiger Termine verringern. Bis das Realität ist, könnte sich die Versorgungssituation aber zunächst noch verschlimmern.
Denn auf der einen Seite erreichen immer mehr Menschen das Rentenalter und benötigen dann ärztliche Hilfe, auf der anderen Seite scheiden die geburtenstarken Jahrgänge aus dem Beruf aus. Der Bundesärztekammer zufolge waren Ende 2022 schon 41 Prozent aller niedergelassenen Ärztinnen und Ärzten über 60 Jahre alt. So entstehe eine Fachkräfte-Lücke, warnt SPD-Politikerin Baehrens. Auch hier soll die Entbudgetierung helfen, indem sie den Hausärzteberuf attraktiver macht.
Wird das reichen? Kathrin Vogler, gesundheitspolitische Sprecherin der Linken im Bundestag, ist skeptisch. Die Linke fordert die Einrichtung von kommunalen Gesundheitszentren und eine bessere Bedarfsplanung bei der ärztlichen Versorgung. Gerade ländliche Gebiete oder Regionen mit wenigen zahlungskräftigen Privatpatienten sind aus Sicht der Partei ärztlich unterversorgt.
Auf dem Papier möge der Bedarf an Fachärztinnen und Fachärzten häufig gedeckt sein, so Vogler: "Menschen machen dennoch zu oft die reale Erfahrung, dass sie sehr lange auf Termine warten müssen, insbesondere, wenn sie gesetzlich versichert sind."
Verwendete Quellen
- Pressestelle des Bundesministeriums für Gesundheit
- Stellungnahmen von Heike Baehrens, Tino Sorge, Kathrin Vogler und Andrew Ullmann
- Bundesärztekammer: Ergebnisse der Ärztestatistik zum 31.12.2022
- FAZ.net: Vertrauen ins Gesundheitssystem sinkt rapide
- Zeit.de: Niedergelassene Ärzte: Wut in Weiß
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