Nach dem Debakel in Thüringen sind die Grünen nun auch in Brandenburg aus dem Landtag geflogen. Ebenso wie in Sachsen hat ihnen die Regierungsbeteiligung nicht genutzt. Doch die Probleme der Partei sind größer und könnten bald auch auf Bundesebene durchschlagen.

Eine Analyse
Dieser Text enthält eine Einordnung aktueller Ereignisse, in die neben Daten und Fakten auch die Einschätzungen von Lukas Weyell sowie ggf. von Expertinnen oder Experten einfließen. Informieren Sie sich über die verschiedenen journalistischen Textarten.

Es ist nicht lange her, da stellten die Grünen eine Kandidatin für das Ministerpräsidentenamt in Brandenburg. Ursula Nonnemacher trat zu einer Zeit an, als die Klimaproteste – initiiert von Greta Thunberg – die westliche Welt wachrüttelten. Die Grünen waren Zeitgeist und als einziger glaubwürdiger parlamentarischer Vertreter der Klimabewegung deren wichtigster Repräsentant.

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Wahlen wurden vom Thema Klima dominiert und Robert Habeck schickte sich an, aus seiner Partei eine Volkspartei zu machen, die, wie er damals sagte, "in aller Demut" die Lücke schließen müsse, die die SPD hinterlassen habe.

Damals holten die Grünen knapp über zehn Prozent bei der Landtagswahl in Brandenburg. Fünf Jahre später könnte die Realität nicht entgegengesetzter sein. Die Grünen fliegen innerhalb von wenigen Wochen aus zwei ostdeutschen Landtagen. In Sachsen können sie sich gerade noch so über die 5-Prozent-Hürde retten.

Kein reines ostdeutsches Phänomen

Nun könnte man argumentieren, dass die Grünen im Osten noch nie besonders stark waren und in ihrer ganzen Art eine westdeutsche Partei, aber auch da mag es nicht mehr so richtig funktionieren. Bei der Europawahl im Juni musste man sich mit einem mehr als dürftigen Ergebnis begnügen. Statt die 20 Prozent zu verteidigen, rutschte die Partei auf knapp zwölf Prozentpunkte ab.

Analysen zeigten, dass die Kernwählerschaft der Grünen, junge Wähler, sich abwandten. Vorbei die Zeit der Klimajugend. Bei der ersten Europawahl, bei der in Deutschland bereits 16-Jährige wählen durften, entschieden sich die Jugendlichen für konservative und rechte Parteien wie die Union und die AfD.

Und auch bei den Wahlen im Osten votierten junge Wähler für die AfD. Wäre es nach den 16- bis 24-jährigen Brandenburgerinnen und Brandenburgern gegangen, wäre die AfD Wahlsieger geworden, nicht die SPD.

Grüne Spitzenpolitiker kritisieren taktisches Wahlverhalten

Am Wahlabend selbst wurden Fragen nach dem schlechten Ergebnis in Brandenburg von grünen Spitzenpolitikern wie der politischen Geschäftsführerin Emily Büning oder Parteivorsitzenden Ricarda Lang abgewiegelt.

Taktisches Wählen sei verantwortlich dafür, dass die Grünen trotz Regierungsbeteiligung nicht mehr im Landtag vertreten sind. SPD-Ministerpräsident Dietmar Woidke hatte erklärt, sich aus der Politik zurückzuziehen, sollte seine Partei nicht stärkste Kraft werden.

Es war klar, dass sich nun Anhänger aller demokratischer Parteien hinter der SPD scharten, um einen Wahlsieg der AfD zu verhindern. Selbst CDU-Ministerpräsident Michael Kretschmer aus Sachsen empfahl die SPD im Vorfeld der Wahl und düpierte damit seinen Parteikollegen und Spitzenkandidaten Jan Redmann.

Als Ergebnis hat Wahlsieger Woidke zwar die AfD auf den zweiten Platz verwiesen, allerdings nun ohne die Grünen einen Koalitionspartner zu wenig, weshalb er auf die Hilfe des Bündnis Sahra Wagenknecht angewiesen ist.

Experte: "Es gibt ein Unmutspotenzial"

Taktisches Wählen hat bei dieser richtungsweisenden Wahl sicherlich eine Rolle gespielt, vielen Politikern und Wählern war daran gelegen einen weiteren Wahlsieg der AfD im Osten zu verhindern, das bestätigt auch Parteienforscher Volker Kronenberg gegenüber unserer Redaktion: "47.000 Grünen-Wähler hatten bei den Nachwahlbefragungen angegeben, bewusst die SPD gewählt zu haben. Insofern ist die Brandenburg-Wahl eine Ausnahmewahl."

Trotzdem ist die Analyse von Ricarda Lang und Emily Büning zu kurz gefasst. "Es gibt ein Unmutspotenzial. Die Unzufriedenheit mit der Ampel-Regierung ist groß", so Kronenberg. Das zeige sich auch daran, dass die FDP großer Verlierer der Landtagswahlen im Osten war. Die Vorstellungen von Politik gehen bei diesen beiden Parteien am weitesten auseinander. Die politischen Kompromisse lassen sich entsprechend schlecht den eigenen Wählern verkaufen.

"Die Ampel war von Anfang an ein Bündnis wider Willen und daran leiden nun beide. In der jetzigen Regierung wird es sehr schwer sein für die Grünen, politisch zu punkten", so Kronenberg.

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Experte: Die Grünen überfordern

Einerseits wird von grünen Hardlinern moniert, dass von der grünen Partei zu wenig umgesetzt wird. Etwa was die Laufzeiten der Atomkraftwerke oder die Unterstützung der Ukraine anbelangt. "Andere Wähler werden sagen, dass zu viel zugemutet wird und das auch noch handwerklich schlecht", so Kronenberg.

So sorgte das Heizungsgesetz gerade im Osten des Landes für viel Unmut, da dort viele Eigentümer leben, deren Immobilien keinen derart hohen Wert besitzen, dass sich eine Umrüstung überhaupt lohnen würde. "Die Grünen wirken oftmals überfordernd. Das zeichnet sich in diesen Ergebnissen ab."

Wenn die Grünen Vertrauen zurückgewinnen wollen und wieder anschlussfähig werden wollen, müssten sie also eine pragmatischere Haltung an den Tag legen und weniger ambitioniert die eigenen Ziele verfolgen, so Kronenberg.

Er sagt, die Partei müsse "mehr Baden-Württemberg oder Nordrhein-Westfalen wagen", wo sie in den Landesregierungen vertreten ist. Dann hätte sie auch bei der nächsten Bundestagswahl wieder bessere Chancen.

Über den Gesprächspartner

  • Volker Kronenberg ist außerplanmäßiger Professor am Institut für Politische Wissenschaft und Soziologie an der Universität Bonn sowie Honorarprofessor an der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg. Seine Themenschwerpunkte liegen auf dem politischen System der Bundesrepublik Deutschland und der Parteienforschung. Er lehrt unter anderem zur Parteiengeschichte der Grünen.

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