ÖVP-Chef Sebastian Kurz lehnt die Forderung der UNHCR ab, neue Rettungsaktionen im Mittelmeer zu starten. Zuvor hatte die UNO dringend an die europäischen Regierungen appelliert, in der Flüchtlingspolitik Verantwortung wahrzunehmen.
Der Altkanzler kritisierte auch jüngste Aussagen der "Sea-Watch"-Kapitänin Carola Rackete, die eine unkomplizierte Aufnahme von geretteten Flüchtlingen durch einzelne Städte fordert. "Europa muss im Kampf gegen illegale Migration Kurs halten und sehr genau aufpassen, welche Signale es aussendet", betonte Kurz in einer am Freitag der APA übermittelten Stellungnahme.
Die Zahl illegaler Ankünfte über die Mittelmeerroute sei zwar letztes Jahr massiv gesunken, die Situation könne sich aber schnell wieder ändern, wenn die falschen Signale gesetzt würden, wie Spanien zeige. "Ich sehe das daher anders als das UNHCR sowie manche NGOs und bleibe bei meiner Linie. Die Rettung aus der Seenot darf nicht mit einem Ticket nach Mitteleuropa verbunden sein", so Kurz.
Nach der Rettung aus der Seenot sollten die Migranten an der Außengrenze gestoppt, versorgt und in ihre Herkunfts- oder sichere Transitländer gebracht werden. "Damit würden wir das Geschäftsmodell der Schlepper zerstören, viel weniger Migranten würden sich folglich auf den Weg nach Libyen machen und wir würden endlich das Ertrinken im Mittelmeer beenden", meinte der ÖVP-Chef.
Es seien auch die NGOs gefordert, die Arbeit der libyschen Küstenwache nicht zu behindern und nicht wissentlich oder unwissentlich den Schleppern in die Hände zu spielen. "Denn alles andere würde nur zu weiteren Anreizen führen, Schlepper für die gefährliche Überfahrt über das Mittelmeer zu nehmen", warnte Kurz.
Zuvor hatten das UNO-Flüchtlingshochkommissariat (UNHCR) und die Organisation für Migration (IOM) von den europäischen Regierungen gefordert, statt über Verteilung von geretteten Migranten zu streiten und Schiffen mit Flüchtlingen tagelang die Hafeneinfahrt zu verweigern, vielmehr wie früher staatliche Rettungseinsätze zu starten.
Es seien zudem dringend mehr Aufnahmeplätze für in Libyen Gestrandete nötig, appellierten der UNHCR-Chef Filippo Grandi und IOM-Chef Antonio Vitorino am Donnerstagabend in einer Erklärung in Genf.
"In der Vergangenheit haben staatliche europäische Schiffe bei Such- und Rettungsaktionen Tausende Leben gerettet, auch, indem sie die Menschen sicher ans Land brachten. Sie sollten diese wichtige Arbeit wieder aufnehmen", so Grandi und Vitorino.
Hilfsorganisationen dürften nicht wegen der Rettung von Menschen bestraft und Handelsschiffe nicht angewiesen werden, die Menschen nach Libyen zurückzubringen.
Unmenschliche Zustände in libyschen Auffanglagern
Das Bürgerkriegsland sei keine Option. Dort gerieten die Menschen in Lager mit unhaltbaren Zuständen, ihnen drohe Misshandlung und Ausbeutung durch Menschenhändler. Eine Tragödie wie der Tod von mehr als 50 Migranten, die vergangene Woche bei einem Raketeneinschlag im Internierungslager Tajoura östlich der Hauptstadt Tripolis umkamen, dürfe sich nie wiederholen.
Das Gebiet ist seit Beginn der Offensive von General Khalifa Haftar, der die international anerkannte Regierung von Fayez al-Serraj in der Hauptstadt stürzen will, heftig umkämpft.
Die 5.600 Geflüchteten, die derzeit in Zentren in ganz Libyen festgehalten werden, müssten zudem geordnet freigelassen und ihr Schutz gewährleistet werden, forderten Grandi und Vitorino. Hilfsorganisationen kritisieren die Zustände in den libyschen Internierungslagern seit Jahren als unmenschlich.
Mit ihrem neuen Appell geißelten die UNO-Chefs direkt die italienische und die EU-Politik. Die Regierung in Rom hat gerade angekündigt, dass sie die von der EU unterstützte Zusammenarbeit mit der libyschen Küstenwache ausbauen will.
Die Italiener wollen die Küstenwache noch besser ausbilden und ihr Material zur Verfügung stellen, damit sie Bootsflüchtlinge auf dem Weg nach Europa im Mittelmeer abfängt und in das Bürgerkriegsland zurückbringt.
Von Jänner bis zum 12. Juli sind nach Angaben der IOM im Mittelmeer nachweislich 682 Migranten ums Leben gekommen, 426 auf der Route nach Europa von Libyen aus. Das ist weniger als halb so viel wie in der gleichen Zeitspanne im vergangenen Jahr (1.425), und weniger als ein Viertel der Todesfälle im Rekordjahr 2016 (2.989).
Nothelfer glauben aber, dass nicht alle gekenterten und untergegangenen Boote entdeckt werden, deshalb könnte die wahre Zahl höher liegen.
Nach Angaben von UNHCR und IOM halten sich in Libyen rund 50.000 registrierte Flüchtlinge und Asylsuchende auf, ebenso wie 800.000 weitere Migranten. Flüchtlinge sind nach UNO-Definition Menschen, die vor Gewalt oder Verfolgung flüchten, andere Migranten suchen ein besseres Leben im Ausland, sind aber nicht unbedingt zur Flucht gezwungen.
Alle diese Menschen müssten besser geschützt werden, verlangten Grandi und Vitorino. Dazu brauchten die UNO-Organisationen Geld. Gleichzeitig müssten Länder aber auch dringend mehr Aufnahmeplätze für in Libyen Gestrandete zur Verfügung stellen.
Nach Angaben des UNHCR brauchen weltweit bis nächstes Jahr 1,44 Millionen Flüchtlinge eine neue Bleibe. Sie lebten vorübergehend in 60 Ländern, die ihnen keine Langzeitperspektive bieten könnten. Im vergangenen Jahr hätten aber nur 25 Länder zusammen 92.400 Flüchtlinge permanent über Umsiedelung (Resettlement) aufgenommen. Österreich stieg bereits Ende 2017 aus dem Programm aus. © APA
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