• Die ÖVP bestätigt Kurz mit 99,4 Prozent als Bundesparteiobmann.
  • Bei seinem Amtsantritt 2017 waren es "nur" 98,7 Prozent gewesen.
  • Die Ermittlungen gegen Kurz scheinen sich nicht auf seine Popularität in der Partei auszuwirken.

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Eine ordentliche Portion Rückenwind hat Bundeskanzler Sebastian Kurz am Samstag von seiner eigenen Partei bekommen: Die Türkisen bestätigten Kurz mit 99,4 Prozent als Bundesparteiobmann. Inhaltlich wurden die eigenen Anhänger bei der durchinszenierten Show in St. Pölten mit türkisen Klassikern bedient - von Migration bis Steuerentlastung. Während es gegen den Grünen Koalitionspartner nur sanfte Spitzen gab, fuhr die ÖVP gegen die Opposition scharfe Geschütze auf.

Die am Parteitag genährte Erzählung "alle gegen uns" und die mehrfache Aufforderung, ein Signal des Zusammenhalts zu senden, wurde von den türkisen Delegierten bereitwillig erhört: Mit den 99,4 Prozent Zustimmung setzte der 35-jährige Kurz allen Unkenrufen zum Trotz noch einmal eines drauf. Bei seinem ersten Antritt im Jahr 2017 hatte er schon 98,7 Prozent bekommen.

Die Ermittlungen gegen Kurz wegen mutmaßlicher Falschaussage im U-Ausschuss schadeten ihm innerhalb der Partei offensichtlich ebensowenig wie diverse Schlagzeilen der vergangenen Monate, etwa wegen peinlicher Chats in seinem Umfeld, die an die Öffentlichkeit gelangt waren. Schon bei der Begrüßung im St. Pöltener VAZ wurde Kurz immer noch gefeiert wie ein Popstar. Seine Anhängerschaft spielte bei dem von vorne bis hinten durchinszenierten Event inklusive Lasershow und sentimentalen Videoeinspielern, wie man es aus der türkisen Marketingabteilung gewöhnt ist, eifrig mit.

Ja zu Öko-Maßnahmen - "aber mit Hausverstand"

Gestört wurde das Drehbuch lediglich zu Beginn, als zahlreiche Bauernfamilien vor der Halle mit ihren rund 50 Traktoren lautstark gegen den Bau der S34 Traisental-Schnellstraße protestierten. Kurz hatte sich zuletzt für den Bau einiger umstrittener Straßenbauprojekte ausgesprochen und damit offen die Grüne Umweltministerin Leonore Gewessler im Regen stehen lassen, die derzeit Asfinag-Projekte evaluieren lässt. In seiner Rede bekräftigte Kurz, dass man mit der Steuerreform im Herbst "Ökologisierungsschritte" setzen werde - "aber mit Hausverstand". Es gebe viele Menschen, die aufs Auto angewiesen seien, deshalb seien nicht die Straßen oder das Auto der Feind, sondern die Emissionen. "Fortschritt ist der Weg, und nicht Rückschritt oder Verbote."

Auch Klubobmann August Wöginger, der zuvor mit einer launigen Rede den Einpeitscher gegeben hatte, richtete den Grünen aus: "Der Pendler braucht ein Auto, der Bauer einen Traktor und der Unternehmer einen Lastwagen, sonst funktioniert's nicht." Abgesehen davon versicherte Wöginger allerdings, dass die Koalition funktioniert: "Nobody is perfect", meinte er, aber man habe immer Lösungen gesucht und auch umgesetzt.

Leitantrag für "Sharia-Verbot"

Kurz selbst sprach nach den jüngsten Koalitions-Scharmützeln um Afghanistan auch das Reizthema Migration an und bekräftigte seine Linie gegen zusätzliche Flüchtlingsaufnahmen. In einem am Parteitag beschlossenen Leitantrag finden sich auch die Forderungen, Sozialleistungen an gelungene Integration zu knüpfen und - ziemlich prophylaktisch - ein "Sharia-Verbot" zu schaffen. Das war es dann aber auch mit Spitzen gegen den Koalitionspartner.

Viel lieber schossen sich die Türkisen am Samstag auf die Opposition ein. Wie ein roter Faden zog sich die Erzählung durch den Parteitag, der Opposition gehe es einzig und allein darum, sich in hasserfülltem Ton gegen den Kanzler zu verschwören und Kurz schlechtzumachen, um ihn loszuwerden. "Alle gegen uns, alle gegen die Volkspartei", beklagte Wöginger. Ständig gebe es "persönliche Untergriffe", die Opposition arbeite mit "Anpatzen und Diffamieren".

Besonders die Sozialdemokraten bekamen ihr Fett weg: "Die SPÖ glaubt, es ist eine Art Naturgesetz, dass sie den Kanzler stellen, eine Art Erbpacht - dem ist aber nicht so", betonte Wöginger. Man könne durchaus miteinander reden, aber bei der SPÖ wisse man ja nicht, wen man anrufen solle, witzelte Wöginger im Hinblick auf die roten Führungsdebatten. FPÖ-Chef Herbert Kickl wiederum demonstriere mit Rechtsextremen und wolle Corona mit frischer Luft bekämpfen, und die NEOS seien dort, wo sie mitregieren, ohnehin nicht spürbar.

Erhöhung des Familienbonus' angekündigt

Die Angriffe auf die Volkspartei seien zuletzt "immer intensiver geworden", befand auch Kurz, und würden auch "mit ständigen Anzeigen bei der Staatsanwaltschaft kombiniert", nahm er auf die Ermittlungen Bezug. Diese Erfahrungen hätten ihn "stärker und noch entschlossener gemacht", versicherte Kurz seinen Fans. "Wir werden allen Gegenwind aushalten, wir werden unsere Arbeit weitermachen." So kündigte er für den Herbst etwa eine Erhöhung des Familienbonus und eine weitere Entlastung der kleinen und mittleren Einkommen an.

SPÖ-Bundesgeschäftsführer Christian Deutsch ortete in einer Aussendung bloß eine "substanzlose Inszenierung der türkisen Truppe" und bezeichnete die ÖVP als "seelenlosen Anbetungsverein". "Heiße Luft und politische Blendgranaten" sah auch FPÖ-Generalsekretär Michael Schnedlitz als Hauptbestandteile des Parteitags, auf dem Kurz "wie einem Sektenführer gehuldigt wurde". Und auch NEOS-Generalsekretär Douglas Hoyos überzeugte Kurz' Rede nicht: "Der ÖVP-Chef verspricht viel. Umsetzungsstärke hat er bis jetzt nicht bewiesen, außen wenn es darum geht, die Gesellschaft zu spalten."  © APA

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