Kommt es in Folge der Krise in der Ukraine zu einem Handelskrieg zwischen der Europäischen Union und Russland, haben beide Seiten viel zu verlieren. In der verflochtenen Welt des 21. Jahrhunderts würden Wirtschaftssanktionen zwar zunächst Russland stärker treffen als die EU und Deutschland. Langfristig aber käme ein Handelskonflikt wie ein Bumerang nach Deutschland zurück.

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Nun hat die Europäische Union Stufe zwei ihres Sanktionsplanes gegen Russland in Kraft gesetzt: Nachdem Europa bereits Anfang März Verhandlungen mit Russland über Visa-Erleichterungen sowie ein neues Grundlagenabkommen ausgesetzt hat, haben die europäischen Staatslenker nun Einreiseverbote und Kontensperrungen für solche Personen verhängt, von denen sie glauben, dass diese unmittelbar für die russischen Militäraktionen in der Ukraine verantwortlich sind.

Nachdem sich die Bewohner der Halbinsel Krim am Sonntag in einem umstrittenem Referendum für den Anschluss an Russland ausgesprochen hatten, konnte die EU nicht anders. Sie hatte derartige Maßnahmen im Vorfeld des Volksentscheids, den sie nicht anerkennt, angekündigt. Damit ist das Verhältnis zwischen Europa und Russland auf einem neuen Tiefpunkt angelangt. Und es ist nur noch einen Schritt von wirklich ernsthaften Sanktionen entfernt: Stufe drei des EU-Plans sieht Wirtschaftssanktionen gegen Russland vor. Diese könnten bereits am Donnerstag von den europäischen Staats- und Regierungschefs beschlossen.

Wirtschaftssanktionen träfen auch Deutschland

Doch so einfach es auch scheinen mag, Russland zum Einlenken in der Ukraine-Krise zu bewegen, indem Europa dem russischen Präsidenten Wladimir Putin droht, es werde seiner Wirtschaft indirekt schweren Schaden zufügen, so schwierig ist es, diese Drohung umzusetzen und ihre Folgen abzufangen – nicht für Russland, wohl aber für die EU und vor allem für die Exportnation Deutschland. Denn gerade Russland und Deutschland sind wirtschaftlich eng verflochten. Wirtschaftssanktionen gegen den Nachfolgestaat der Sowjetunion träfen deshalb irgendwann auch Deutschland.

Im Kern funktioniert der Handel zwischen Deutschland und Russland so: Deutschland importiert aus Russland Rohstoffe. Umgekehrt exportiert die deutsche Wirtschaft hochwertige Industrieprodukte und Konsumgüter aller Art nach Osten. Für beide Seiten geht es dabei um viel Geld. Das Gesamthandelsvolumen zwischen beiden Staaten lag 2013 bei mehr als 76 Milliarden Euro.

Unter anderem auf russisches Gas ist Deutschland angewiesen. Fast 40 Prozent dieses Rohstoffes bezieht Deutschland von dort; mehr als die Hälfte davon fließt durch Pipelines, die durch ukrainisches Staatsgebiet verlaufen. Zudem kommt auch ein Großteil der deutschen Erdöl-Importe aus Russland. Etwa ein Drittel der Gesamtmenge dieser zähen Flüssigkeit, die Deutschland jedes Jahr einführt, stammt aus Russland. Deutschland wiederum liefert vor allem Industriemaschinen sowie Autos und Autoteile, aber auch chemische und elektrische Waren wie Kunststoffe und Messgeräte nach Russland.

Sollte es nun tatsächlich zu Wirtschaftssanktionen gegen Russland kommen, dann ist das Problem nicht, dass die russische Wirtschaft vielleicht auf deutsche Premiumautos oder Werkzeugmaschinen "Made in Germany" verzichten müsste. Auch, dass in Deutschland schnell Gas oder Öl knapp würden, ist nicht zu erwarten. Gas und Öl lassen sich zumindest für einige Monate auch anderweitig beziehen.

Das eigentliche Problem ist, dass durch solche Sanktionen der Handel zwischen beiden Seiten empfindlich gestört würde und weder die russische noch die deutsche Wirtschaft Geld verdienen könnten. Derartige Zahlungsausfälle würde die russische Wirtschaft ziemlich sicher erst einmal härter treffen als die deutsche. Infolge der Krise in der Ukraine hat der Rubel noch weiter an Wert verloren, die Börse in Moskau ist eingebrochen. Wie viel härter diese Zahlungsausfälle zunächst Russland treffen würden, wird klar, wenn man sich ansieht, dass Deutschland für Russland der drittwichtigste Handelspartner ist. Aus deutscher Sicht liegt Russland in diesem Ranking dagegen nur auf Platz elf – noch hinter Polen.

Angst vor Beschlagnahmungen und Handelskrieg

Jenseits dieser Zahlungsausfälle aber droht deutschen Unternehmen in Russland durch einen Handelskrieg eine ganz grundsätzliche Gefahr, auf die der Präsident des Großhandelsbundesverbandes, Anton Börner, seit Tagen hinweisen: Was, wenn nicht nur die Geschäfte deutscher Unternehmen mit Russland beeinträchtigt werden, sondern das Eigentum dieser Firmen in Russland durch den russischen Staat beschlagnahmt wird?

Volkswagen, BASF, Bosch, Henkel, Metro und auch hunderte mittelständische Firmen haben in den vergangenen Jahren Unternehmensstandorte in Russland eröffnet oder sogar erweitert. Eskaliert der Handelskrieg so sehr, dass es in Putins Russland zu Enteignungen kommen, dann würden die Verluste der deutschen Wirtschaft noch einmal in die Milliarden gehen und künftige Investitionen auf dem russischen Markt wohl sehr erschweren.

So groß ist die Angst der Wirtschaftslenker vor einem solchen Szenario, dass unter anderem die Deutsch-Russische Außenhandelskammer in einem Appell vor wenigen Tagen schrieb: "Die Deutsch-Russische Auslandshandelskammer bittet alle ihre Mitglieder, russische wie deutsche, sich auf allen Ebenen für eine schnellstmögliche Lösung des Konfliktes einzusetzen und bei Politik, Wirtschaft und innerhalb der Zivilgesellschaft für gegenseitiges Verständnis und Vertrauen zu werben. Machen Sie Ihren russischen Gesprächspartnern gegenüber deutlich, dass jeder weitere Tag ohne eine für alle Seiten tragbare Lösung eine Verschlechterung der Situation in der Ukraine, in Russland und der Gesamtsituation in Europa zur Folge hat."

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