ÖVP-Chef Karl Nehammer hat die Koalitionsverhandlungen mit der SPÖ für gescheitert erklärt und die Gespräche abgebrochen. Kurz darauf kündigte er seinen Rücktritt an.

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Die Kanzlerschaft Karl Nehammers ist zu Ende. Samstagabend brach die ÖVP die Koalitionsverhandlungen mit der SPÖ ab. Wenig später teilte Nehammer mit, dass er sich sowohl als ÖVP-Obmann als auch als Regierungschef zurückziehen wird. Die Nachfolge in der Partei ist noch offen. FPÖ-Chef Herbert Kickl nannte diese Frage sogleich eine "Nagelprobe" für die Volkspartei. Wie Bundespräsident Alexander Van der Bellen auf die Ereignisse reagiert, wird man erst am Sonntag erfahren.

Schon am Freitag hatte sich das Scheitern der Koalitionsgespräche abgezeichnet, nachdem die NEOS aus den Verhandlungen ausgetreten waren. Erst auf Nachfragen erklärten da ÖVP und SPÖ, zu zweit weiter machen zu wollen. Unfreundliche Worte gegeneinander verhießen wenige Erfolgschancen.

Letzte Verhandlungen scheiterten

Immerhin traf man sich noch Samstag Mittag zu einer mehrstündigen Besprechung. Nach einigen Verhandlungspausen stand die ÖVP letztlich am Abend auf und beendete die Verhandlungen. Nehammer schob die Verantwortung der SPÖ zu, hätten doch dort die "destruktiven Kräfte" das Kommando übernommen. Nur wenige Minuten nach dem Aus der Verhandlungen postete Nehammer ein Video, in dem er seinen Rückzug bekannt gab. "Nimm dich selbst nicht so wichtig" sei ein Satz, den ihm sein Vater mitgegeben habe. Er werde einen geordneten Übergang ermöglichen, es sei ihm eine Ehre gewesen, dem Land zu dienen.

Schon am Sonntag dürften die ÖVP-Gremien über die Nachfolge beraten. Meist genannte Namen waren Wirtschaftskammer-Generalsekretär Wolfgang Hattmannsdorfer, der über viele Jahre mit der FPÖ in Oberösterreich regiert hat, sowie Altkanzler Sebastian Kurz. Letztere Variante würde eher auf Neuwahlen schließen lassen, gilt es doch als sehr unwahrscheinlich, dass Kurz bei einem Comeback den Vizekanzler unter Kickl geben würde, den er dereinst aus der Regierung werfen hatte lassen. Auch Karoline Edtstadler als politische Partnerin Kickls ist kaum vorstellbar, verbindet die beiden doch seit der gemeinsamen Zeit im Innenministerium nicht gerade eine enge Freundschaft.

Babler kritisiert VP-Wirtschaftsflügel

Dass die Verhandlungen gescheitert sind, dürfte jedenfalls zu einem guten Teil am Wirtschaftsflügel der Volkspartei gelegen sein, der gegen jegliche steuerliche Maßnahmen zu Felde zog und von Beginn an ein Bündnis mit der FPÖ präferierte. In diese Richtung äußerte sich in einem Pressegespräch auch SPÖ-Chef Andreas Babler, der sich bei Nehammer persönlich bedankte. Andere Kräfte in der Volkspartei hätten die Verhandlungen nicht gewollt: "Jener Flügel hat sich durchgesetzt, der von Anfang an mit den Blauen geliebäugelt hat."

Auf Nachfrage wollte Babler diese Kräfte zwar nicht namentlich nennen. Im Anschluss an die Pressekonferenz wurde von Seiten der SPÖ aber der Wirtschaftsflügel, allen voran Harald Mahrer und Hattmansdorfer angegeben.

Vor der Zukunft warnte Babler: "Die SPÖ wird weiter eine starke Stimme für soziale Politik sein, denn wir wissen, was jetzt droht: Blau-Schwarz und damit ein rechtsextremer Kanzler". Während sich z.B. Wiens Bürgermeister Michael Ludwig über das Scheitern enttäuscht zeigte, freute sich die im Intensivwahlkampf befindliche burgenländische SPÖ: "Endlich hat dieses unsägliche Schauspiel nun ein Ende", schrieb Landesgeschäftsführerin Jasmin Puchwein. Sie forderte auch gleich Konsequenzen in der SPÖ.

Kickl mahnt ÖVP

Die FPÖ schaut indes ganz genau, wen die ÖVP an ihre Spitze stellt. Schließlich haben die Freiheitlichen neben Blau-Schwarz auch noch Neuwahlen als attraktive Alternative, haben sie doch in Umfragen ihren Vorsprung weiter ausgebaut. So sah Parteichef Kickl die VP-Personalie als "Nagelprobe": "Man wird sehen, ob die Volkspartei das Machtwort der Wähler von der Nationalratswahl zumindest jetzt ansatzweise verstanden hat."

Den Bundespräsidenten sieht der Freiheitlichen-Obmann unter Zugzwang: "Alexander Van der Bellen hat eine maßgebliche Mitverantwortung für das entstandene Chaos und die verlorene Zeit. Das kann er nicht von sich wegschieben." Van der Bellen stehe mit Nehammer und Babler "vor den Trümmern ihrer Kickl-Verhinderungsstrategie".

NEOS fühlen sich bestätigt

NEOS-Chefin Beate Meinl-Reisinger sah sich in einer schriftlichen Stellungnahme in ihrer eigenen Wahrnehmung bekräftigt: "ÖVP und SPÖ sind leider nicht fähig, über die gegenseitigen Verletzungen hinweg zu kommen und ein gemeinsames Bild für dieses Land zu entwickeln. Der rasche Bruch bestätigt uns in der gestrigen Entscheidung, die Verhandlungen auf Grund fehlenden Reformeifers zu verlassen."

Was NEOS, aber heute auch ÖVP und SPÖ abgeliefert hätten, sei "zum Abgewöhnen und verantwortungslos", befand am Abend Grünen-Bundessprecher Werner Kogler. Die zwei früher wirklich staatstragenden Parteien SPÖ und ÖVP hätten offenkundig verlernt, dass man Kompromisse schließe, damit Österreich vorankomme.

Van der Bellen meldet sich Sonntag zu Wort

Wie es nun weiter geht, war vorerst unklar. Bundespräsident Alexander Van der Bellen ließ sich noch am Samstag informieren, weitere Schritte will er am Sonntag setzen. Das Staatsoberhaupt hatte ja Nehammer persönlich den Regierungsbildungsauftrag erteilt und nicht FPÖ-Chef Kickl als Obmann der bei der Nationalratswahl stimmenstärksten Partei. Van der Bellen begründete dies damit, dass sowohl Volkspartei als auch Sozialdemokraten nicht mit den Freiheitlichen koalieren wollten. Ersteres könnte sich nun geändert haben. Mehr dürfte man nach den ÖVP-Gremien am Sonntag wissen. (APA/bearbeitet von fra)

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