Christine Blasey Ford kämpft. Mit den Tränen, mit ihrer Stimme, mit der Aufregung. Die 51-Jährige sitzt vor dem Justizausschuss des US-Senats und liest ein Statement ab. Sie wirft Brett Kavanaugh versuchte Vergewaltigung vor. Die mutmaßliche Tat liegt 36 Jahre zurück. Damals gingen beide noch zur Schule - heute ist sie Psychologie-Professorin und er Donald Trumps Favorit für einen Posten am Obersten Gericht der USA.
15 Minuten lang kämpft sich die Psychologie-Professorin Christine Blasey Ford durch ihren Text. Sie umreißt kurz ihren Werdegang, ihre familiäre Situation und berichtet schließlich von einem traumatischen Erlebnis, das 36 Jahre zurück liegt. Dabei gerät ihre Stimme immer wieder ins Stocken, ihre Lippen beben, sie unterdrückt ein Weinen.
Es ist ein denkwürdiger Tag im Saal 226, in einem Nebengebäude des US-Senats. Ford wirft ihrem früheren Mitschüler Brett Kavanaugh versuchte Vergewaltigung vor – und könnte damit seine Berufung auf einen der einflussreichsten Richterposten der USA stoppen.
Seit Tagen dominiert Fords Name die Schlagzeilen in den USA. Doch an diesem Tag tritt sie zum ersten Mal öffentlich auf, seit ihre Anschuldigungen publik wurden. Der Druck auf Ford ist enorm. Eine Kamera ist durchgehend auf sie gerichtet, Fernsehsender übertragen die Anhörung live.
Die ganze Nation kann zuschauen, wie sie über jenen Moment spricht, der ihr Leben nach eigenen Angaben aus den Fugen gebracht hat: Jener Sommerabend Anfang der 1980er-Jahre, als Kavanaugh versucht haben soll, sie am Rande einer Schülerparty zu vergewaltigen. Ford war damals 15 Jahre alt.
Ford hatte Todesangst
Vor den Senatoren erzählt sie ihre Version des Abends: Kavanaugh und dessen Freund Mark Judge hätten sie in einen Nebenraum gelotst, Kavanaugh habe sich auf sie geworfen, versucht, sie auszuziehen und ihr den Mund zugehalten, um sie am Schreien zu hindern. Dabei habe sie Todesängste gelitten. "Ich dachte, dass Brett mich versehentlich umbringen würde", sagt sie.
Sowohl Kavanaugh als auch Judge seien alkoholisiert gewesen, hätten während des Übergriffs gelacht. "Sie schienen beide eine gute Zeit zu haben." Diese Erinnerung habe sich unauslöschlich in ihr Gedächtnis gebrannt. Sie habe sich schließlich irgendwie befreien und flüchten können. Ihr Leben habe sich nach dem Angriff dennoch dramatisch verändert.
Nach ihrem Eingangsstatement wirkt Ford deutlich gefasster. Auf die Nachfragen antwortet sie sortiert, souverän, lächelt zwischendurch. Kritiker hatten zuvor ihre Glaubwürdigkeit infrage gestellt und gestreut, womöglich habe Ford Kavanaugh mit einem anderen jungen Mann verwechselt.
Ford weist das vor dem Ausschuss mehrfach zurück. Sie sei zu "100 Prozent sicher", dass der Angreifer Kavanaugh gewesen sei.
Fall erzählt von Spaltung der Gesellschaft
Die Personalie Kavanaugh ist Gegenstand einer erbitterten parteipolitischen Auseinandersetzung zwischen Republikanern und Demokraten.
Der Fall erzählt aber auch viel über die Spaltung der amerikanischen Gesellschaft: Es geht um Konservative gegen Liberale, um Frauenrechte und den großen Kampf um die Wahrheit, der Amerika unter einem Präsidenten
Trump verteidigte Kavanaugh bisher zwar einigermaßen standhaft. Zuletzt ließ er aber auch wissen, dass er seinen Kandidaten im Zweifel fallen lassen würde - falls er Kavanaugh für schuldig halte. "Ich könnte überzeugt werden", sagte Trump.
Eine Woche zuvor hatte der US-Präsident Ford noch scharf attackiert und ihre Glaubwürdigkeit in Zweifel gezogen. Trump merkte an, er habe "keinen Zweifel", dass Ford oder ihre "liebenden Eltern" damals unverzüglich Anzeige erstattet hätten, wenn der Angriff "so schlimm" gewesen wäre wie geschildert.
Ford hatte nach eigener Schilderung erst 2012 während einer Paartherapie mit ihrem Ehemann erstmals genauer von der sexuellen Attacke erzählt, die sie als 15-Jährige erlebt habe.
Die Opfer sexuellen Missbrauchs scheuen nach Angaben von Experten häufig aus Scham und Furcht davor zurück, von dem traumatischen Erlebnis zu erzählen. Und mit seiner Frontalattacke demonstriert der mächtigste Mann der Welt derzeit, dass diese Furcht nicht unbegründet ist.
Ford berichtet von Anfeindungen
Ford wurde nicht nur von Trump für ihre Äußerungen attackiert. Sie berichtet auch von Bedrohungen und Anfeindungen und sagt, sie und ihre Familie hätten aus Sicherheitsgründen sogar ihr Zuhause verlassen müssen. Genau davor habe sie Angst gehabt und daher lange mit sich gerungen, diesen Schritt zu gehen. Was dann passiert sei, habe ihre schlimmsten Erwartungen sogar übertroffen.
Hinzu kommt die Erniedrigung, die Opfer erfahren, wenn sie vor Fremden Details dieser traumatischen Erlebnisse ausbreiten müssen. "Ich bin heute nicht hier, weil ich das will", sagt Ford mit brüchiger Stimme zu Beginn ihres Statements. "Ich habe Angst." Dennoch sei sie hier, weil sie es für ihre Bürgerpflicht halte zu erzählen, was ihr passiert ist.
Ob es stimmt, was sie in der Anhörung vor dem US-Senat berichtet, wird wohl nie zweifelsfrei bewiesen werden können. Brett Kavanaugh bestreitet die Tat. In einer wütenden Rede verteidigte er sich nach Fords Aussage vor dem Senat gegen die Anschuldigungen.
Es steht Aussage gegen Aussage. Die Senatoren müssen nun entscheiden, wen sie für glaubwürdiger halten: Ford oder Kavanaugh. (jwo/dpa)
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