2013 starben beim Einsturz der Textilfabrik Rana Plaza in Bangladesch 1.138 Menschen. Westliche Textilfirmen hatten in dem Gebäude Kleidung produziert und Sicherheitsstandards vernachlässigt. Die Katastrophe hat Veränderungen angestoßen – doch es ist noch ein weiter Weg.
Am 24. April 2013 kam es in einer Textilfabrik in Bangladesch zur Katastrophe. Die achtgeschossige Fabrik "Rana Plaza" unweit der Hauptstadt Dhaka stürzte ein. 1.138 Menschen, die meisten Arbeiterinnen in der Textilfabrik, starben, rund 2.000 wurden verletzt.
Die Katastrophe verdeutlichte die schlimmen Arbeitsbedingungen von Millionen von Textilarbeiterinnen, die Kleider für die westliche Welt herstellen. Laut der Menschenrechtsorganisation Public Eye ließen unter anderem bekannte Marken wie C&A, Walmart, Primark, Mango und Benetton ihre Kleider in der Fabrik produzieren.
Arbeiterinnen zufolge hätten sie ihre Chefs auf Risse in der Wand und die drohende Gefahr hingewiesen. Die Textilbosse ignorierten die Warnungen – die Arbeiterinnen bezahlten mit dem Leben.
"Bangladesh Accord" bringt Verbesserungen
Ein Weckruf ging 2013 weltweit durch Wirtschaft und Politik. Der Tenor: So eine Katastrophe darf sich nicht wiederholen. In den zehn Jahren nach dem tödlichen Einsturz gab es verschiedene Ansätze, um die Arbeitsbedingungen zu verbessern und das Risiko für die Arbeiter in der Dritten Welt zu verringern.
So unterzeichneten viele Textilunternehmen den "Bangladesh Accord", in dem sie sich zu mehr Sicherheit in ihren Fabriken verpflichteten. Das zeigte Wirkung: "Nach Rana Plaza hat sich die Gebäudesicherheit in Bangladesch wahnsinnig verbessert", sagt Elisabeth Schenk von der Menschenrechtsorganisation "Public Eye". Trotzdem fehlen noch die Unterzeichnungen einiger größerer Marken wie Amazon, IKEA und Tom Tailor.
2021 wurde das Abkommen auf andere Länder ausgeweitet. Einem "Wettlauf nach Unten", bei dem Unternehmen lockere Gesetze zum Arbeitsschutz ausnutzen, wurde so im Bereich der Gebäudesicherheit ein Riegel vorgeschoben.
"Wettlauf nach Unten" in anderen Bereichen
Trotzdem bleibt laut Schenk einiges zu tun. "Viele andere dringend notwendige Veränderungen sind ausgeblieben", stellt sie fest. Das Geschäftsmodell der Textilindustrie sei immer noch auf einen "Wettlauf nach Unten" ausgerichtet.
Armutslöhne, die Unterdrückung von Gewerkschaften und der massive Ressourcenverbrauch sind auch zehn Jahre nach dem Fabrikunglück ein Problem. Länder, die die Firmen zu höheren Standards verpflichten wollen, müssen die Abwanderung der Textilindustrie fürchten.
Ohne die Hilfe der Länder, in denen die Kleider gekauft werden, geht es also nicht. Fabrikarbeiterinnen aus Bangladesch fordern schon länger, dass ausländische Unternehmen stärker auf Menschenrechte achten: "Ich möchte, dass diese ausländischen Unternehmen, die in Bangladesch Kleidung herstellen, ihre Verantwortung wahrnehmen und hinschauen, wie die Kleidung hergestellt wird und wie die Arbeiterinnen behandelt werden", fordert Nilufar. Sie überlebte 2013 die Katastrophe in Rana Plaza, leidet aber noch immer unter den Folgen einer Kopfverletzung durch den Einsturz.
Was bringt der "Grüne Knopf 2.0"?
Eine Maßnahme war, Kleidung zu kennzeichnen, die in der Produktion entlang ihrer Lieferkette gewisse Standards einhält. 2019 stellte das deutsche Entwicklungsministerium den "Grünen Knopf" vor – ein staatliches Textilsiegel für nachhaltige und sicher hergestellte Kleidung.
Die Entscheidung zum Schutz der Arbeiterinnen in der Dritten Welt wurde damit den Konsumenten übergeben. Immerhin 44 Prozent der Vevölkerung kennen laut einer Umfrage des Marktforschungsinstituts GfK den Grünen Knopf mittlerweile – die Hälfte derjenigen, die ihn kennen, haben schon einmal ein Kleidungsstück mit dem Siegel gekauft.
Auch wenn das Label 2022 nun auf den "Grünen Knopf 2.0" geupdated wurde, bleibt seine Wirkung sehr begrenzt. Schließlich werdenweiterhin genug Kleidungsstücke ohne das Siegel verkauft, sodass sich nicht alle Textilunternehmen gezwungen sehen, sich zertifizieren zu lassen. Laut dem "Forum Fairer Handel" sind sogar Produkte mit dem "Grünen Knopf 2.0" nicht perfekt, da das Label zum Beispiel keine existenzsichernden Löhne garantiert.
Deutschland und Schweiz haben Lieferkettengesetz eingeführt, Österreich könnte nachziehen
Ein deutlich schärferes Schwert kann das deutsche Lieferkettengesetz sein, das am 1. Januar 2023 in Kraft getreten ist. Es soll Unternehmen, die in Deutschland verkaufen, verpflichten, Menschenrechte auch entlang ihrer Lieferkette einzuhalten. Entwicklungsministerin
Das Gesetz hat pünktlich zum 10. Jahrestag der Fabrikkatastrophe von Rana Plaza seinen ersten Beschwerdefall. Mehrere Vereine, die sich vor allem für die Rechte von Arbeiterinnen einsetzen, beschuldigen Amazon und Ikea, gegen das Lieferkettengesetz zu verstoßen. Sie beziehen sich auf eine Recherche, bei der Sicherheitsmängel, fehlende Inspektionen und mangelnde Gewerkschaftsfreiheit in Fabriken in Bangladesch festgestellt wurden. Ob die Klage erfolgreich sein wird, ist noch offen.
Die deutschen Regelungen bringen auch Neuerungen für Betriebe aus Österreich und der Schweiz. Wer eine Zweigniederlassung im Nachbarland mit mindestens 3.000 Mitarbeitenden hat, muss sich schon jetzt an die Standards halten. Ab 2024 sind es auch Betriebe mit 1.000 Mitarbeitenden. Auch auf Zulieferer deutscher Unternehmen hat das deutsche Lieferkettengesetz Auswirkungen.
In Österreich gibt es bisher zwar eine Initiative für ein eigenes Lieferkettengesetz, beschlossen ist aber noch nichts. "Österreich muss beim EU-Lieferkettengesetz eine progressive Rolle einnehmen und dafür sorgen, dass Regelungen geschaffen werden, die auch in der Praxis greifen", wird Mit-Initiatorin Veronika Bohrn-Mena in einer Aussendung zitiert. Von solchen Regelungen profitierten "am Ende alle, die Ausgebeuteten, die Konsument*innen und die heimischen Unternehmen".
In der Schweiz ist hingegen seit dem 1. Januar die "Verordnung über Sorgfaltspflichten und Transparenz bezüglich Mineralien und Metallen aus Konfliktgebieten und Kinderarbeit" (VSoTr) in Kraft. Lieferketten müssen seither auf die Einhaltung menschenrechtlicher und umweltbezogener Standards überprüft werden.
Wie wird das europäische Lieferkettengesetz aussehen?
Der Rechtsausschuss im europäischen Parlament hat sich nach längeren Verhandlungen zwischen den Fraktionen auf einen Entwurf für ein EU-Lieferkettengesetz geeinigt. Johannes Heeg, Sprecher der Initiative Lieferkettengesetz, sieht darin einen "Grundstein für weniger Ausbeutung und Umweltzerstörung".
Allerdings gebe es noch zu viele Schlupflöcher für Unternehmen, mit denen sie sich aus der Verantwortung für ihrer Lieferkette stehlen können. Der Initiative Lieferkettengesetz zufolge hätten vor allem Abgeordnete von CDU und CSU weitereichende Abschwächungen des Gesetzes durchgesetzt.
Der Grünen-Europaabgeordnete Sergey Lagodinsky hat an dem Gesetz mitgearbeitet. Er sieht den Umweltschutz und die Menschenrechte dadurch gestärkt. Auf Anfrage unserer Redaktion sagte er: "Die Textilindustrie wird durch das Lieferkettengesetz besonders in die Pflicht genommen und als sogenannter "Hochrisikosektor" eingestuft, den besondere Sorgfaltspflichten treffen."
Wenn der Entwurf vom Parlament und den Mitgliedsländern im EU-Rat angenommen wird, kann er in Kraft treten. Er wäre ein weiterer Baustein hin zu dem Ziel, dass Katastrophen wie in Rana Plaza nie wieder geschehen.
Verwendete Quellen:
- Euractiv: EU-Parlament ebnet Weg für Lieferkettengesetz
- Bundesministerium für Entwicklung
- Grüner Knopf
- Forum Fairer Handel
- FEMNET e. V.: Erster Beschwerdefall nach dem deutschen Lieferkettengesetz
- Public Eye: 10 Jahre nach der Tragödie von Rana Plaza
- Anfrage an den EU-Abgeordneten Sergey Lagodinsky
- dpa-Material
- verdi.de: Für ein starkes EU-Lieferkettengesetz – für faire Löhne und klimabezogene Sorgfaltspflichten
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