Donald Trumps Politik hat Kanadas politische Landschaft auf den Kopf gestellt: Die Partei, die bis Januar scheinbar uneinholbar vorn lag, ist jetzt abgeschlagen. Wir erklären, wer bei den Wahlen am 28. April antritt und ob es eine Annäherung an Trump geben könnte.

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Fast zehn Jahre lang hat der Liberale Justin Trudeau Kanada regiert, seit März ist Mark Carney Premierminister. Doch am Montag, 28. April, wählen die Kanadier ein neues Parlament. Der von Donald Trump angezettelte Streit um Zölle und Kanadas Status beeinflusst die Wahl stark. "Es ist, als ob jeder verstanden hätte, dass eine neue Realität Gestalt angenommen hat", sagt André Lecours, Politikwissenschaftler an der Universität Ottawa.

Was sagen Umfragen: Wer gewinnt die Wahlen?

"Aus den jüngsten Umfragen geht eindeutig hervor, dass die Liberale Partei wahrscheinlich die neue Regierung bilden wird", erklärt Lecours. Die Stimmung hat sich damit seit Anfang des Jahres deutlich gedreht: Bis Ende Januar lagen die Konservativen in Umfragen mit bis zu 25 Prozent Vorsprung vorn. Wenige Tage vor der Wahl sieht der Poll Tracker des Nachrichtensenders CBC die Liberalen bei 42,7 und die Konservativen bei 38,4 Prozent (Stand: 23. April). Der Tracker fasst Trends und Ergebnisse verschiedener Umfragen zusammen. Die Wahrscheinlichkeit, dass Carneys Partei die absolute Mehrheit der Sitze erringt, liegt demnach bei 77 Prozent.

Wer hat Chancen, neuer Premierminister zu werden?

Nach dem Rücktritt Justin Trudeaus wählten die Liberalen Mark Carney zum neuen Vorsitzenden. Damit wurde er automatisch zum Regierungschef und am 11. März vereidigt. Drei Wochen später rief er Neuwahlen aus.

Gewinnt seine Partei die Wahl, "bedeutet das, dass Carney Premierminister wird", sagt Lecours. Der Grund: Der Vorsitzende der Partei mit den meisten Sitzen bekommt von Generalgouverneurin Mary Simon den Auftrag, die Regierung zu bilden – und wird Premierminister. Simon ist das offizielle Staatsoberhaupt und Stellvertreterin von König Charles III.

Welche Rolle spielen US-Präsident Donald Trump und der Konflikt mit den USA im Wahlkampf?

Die Zollpolitik von Donald Trump trifft Kanada hart, denn das Land exportiert viele Waren in die Vereinigten Staaten. Der US-Präsident verärgert Kanadier obendrein mit seinen Drohgebärden: Er sprach davon, Kanada zum 51. Bundesstaat der USA zu machen. Im Land wächst der Widerstand, unter anderem mit Boykotten.

"Mark Carney hat stark von der Präsidentschaft Trumps profitiert", erklärt Lecours. Dessen Verhalten und Politik hätten den Umgang mit den USA "zur wichtigsten Wahlfrage" gemacht. Das wiederum machte "die Strategie der Konservativen zunichte": Die Partei hatte sich in der Vergangenheit auf Kritik an Ex-Premier Trudeau fokussiert.

Wer steht auf den Stimmzetteln zur Wahl?

Bei der Parlamentswahl in Kanada treten sechs Parteien an. Nur zwei haben eine Chance, den Premierminister zu stellen.

  • Die Liberale Partei tritt mit Premierminister Mark Carney an. Der 60-Jährige ist Politik-Neuling, aber ein international renommierter Wirtschaftswissenschaftler. Als Direktor der Bank of Canada führte er das Land relativ unbeschadet durch die Weltwirtschaftskrise 2007 und 2008. Zudem stand er der Bank of England vor. Carney war weiterhin UN-Sonderbeauftragter für Klimaschutz und setzt sich für nachhaltige Investitionen ein.
  • Die Konservative Partei ist mit Parteiführer Pierre Poilievre der größte Konkurrent der Liberalen. Der Berufspolitiker diente schon als Minister. Er ist für seinen konfrontativen und populistischen Stil bekannt – das hat ihm Lob von Trump und Elon Musk eingebracht. Im Wahlkampf versuchte der 45-Jährige aber, sich vom US-Präsidenten zu distanzieren.
  • Der Bloc Québécois unter Führung von Yves-François Blanchet (60) tritt nur in der Provinz Quebec an. Die Partei setzt sich für die Unabhängigkeit Quebecs ein und ist sozialdemokratisch ausgerichtet.
  • An der Spitze der New Democratic Party (NDP) steht Jagmeet Singh (46). Die Partei mit dem sozialdemokratisch-linken Programm ist in einigen Provinzen stärkste Partei und stellt den Premier, etwa in British Columbia.
  • Der Grünen Partei Kanadas steht Elizabeth May vor. Durch das Mehrheitswahlrecht ist die Partei benachteiligt. Bei der letzten Wahl gewann sie zwei Direktmandate, eines davon für die 70-jährige May.
  • Die rechtspopulistische PPC unter Maxime Bernier errang bei der letzten Parlamentswahl keinen Sitz. Sie tritt dennoch an.

Wen wählen Kanadier bei der Parlamentswahl?

Bei den anstehenden Wahlen in Kanada geht es um die Zusammensetzung des Unterhauses. Das ist neben dem Senat eine der Kammern des Parlaments. Bürger wählen einen Vertreter in ihrem jeweiligen Wahlbezirk. Wie in Großbritannien und den USA gilt das relative Mehrheitswahlrecht: Wer die meisten Stimmen bekommt, erhält den Sitz. Die anderen Kandidaten gehen leer aus.

Regierungsparteien auf Bundesebene waren in Kanada bisher ausschließlich Liberale und Konservative beziehungsweise deren Vorgänger-Partei. Nicht immer reicht es jedoch für eine Mehrheitsregierung. Ab 2019 regierte die Liberale Partei in einer Minderheitsregierung mit NDP-Unterstützung.

Was bedeutet die Wahl für das Verhältnis zu den USA?

Sowohl Mark Carney als auch Pierre Poilievre versprechen im Wahlkampf ein starkes Kanada – und grenzen sich von Trumps Politik ab. Politik-Experte André Lecours geht nicht davon aus, dass sie die Beziehungen zu den USA unterschiedlich gestalten würden. "Die Strategie wird eine Kombination aus Gegen-Zöllen und Verhandlungen sein." Damit werde der Grundstein für neue Parameter zwischen den Ländern gelegt – in "politischen, wirtschaftlichen und sicherheitspolitischen Beziehungen".

Über den Gesprächspartner

  • André Lecours ist ein kanadischer Politikwissenschaftler, der als Professor für politische Studien an der Universität Ottawa forscht und lehrt. Er amtierte 2022/23 als Präsident der Canadian Political Science Association. Seine Hauptforschungsinteressen sind Nationalismus und Föderalismus.

Verwendete Quellen