Nach den Terroranschlägen von Brüssel wächst die Kritik an den europäischen Geheimdiensten. Zu Recht, glaubt der Geheimdienstexperte Erich Schmidt-Eenboom. Die Kooperation zwischen den Diensten müsse dringend ausgebaut werden. Im Gespräch mit unserer Redaktion erklärt Eenboom, wie die deutschen Dienste bisher arbeiten - und was sich in der internationalen Zusammenarbeit aus seiner Sicht ändern muss.

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Unmittelbar nach den Terroranschlägen von Brüssel stehen die Geheimdienste der EU-Länder in der Kritik. Die nationalen Dienste würden viel zu wenig kooperieren, kritisierte der EU-Parlamentarier Elmar Brok (CDU).

"Wir haben Europol. Europol soll Terrorismus und Organisierte Kriminalität europaweit bekämpfen. Nach meinen Informationen ist es aber so, dass nur fünf Länder Europol ihre geheimen Informationen zur Verfügung stellen. Auf diese Art und Weise kann man ein grenzüberschreitendes Phänomen nicht bekämpfen", sagte der Vorsitzende des Ausschusses für Auswärtige Angelegenheiten des Europäischen Parlaments.

Kritik ist vollauf berechtigt

Eine Kritik ist das, die der renommierte deutsche Geheimdienstexperte Erich Schmidt-Eenboom "für durch und durch berechtigt" hält.

"Wir erleben ja geradezu reflexartig seit Nine-Eleven, dass nach jedem Anschlag der Ruf nach mehr Kooperation zwischen den internationalen Diensten erfolgt", sagte Eenboom im Gespräch mit unserer Redaktion.

Aber in der Praxis passiere meistens überhaupt nichts. Im Gegenteil: Jeder Dienst operiere für sich, ein Austausch der Erkenntnisse finde nur in sehr begrenztem Umfang statt.

"Es nützt ja nichts, wenn in jedem Land der EU eine eigene Kartei über das Gefährdungspotential von möglichen Syrien-Heimkehrern geführt wird, es aber keine gemeinsame Kartei für die gesamte EU gibt", sagte Eenboom.

Die Entwicklung auf dem Gebiet der Gefahren-Abwehr hinke der europäischen Integration hinterher. "Wir erleben, dass die Terroristen über Grenzen hinweg operieren und die Geheimdienste entlang der nationalen Grenzen ermitteln, wie lange vor der europäischen Einigung".

Ein Terrorist könne einfach mit dem Zug von Frankreich nach Belgien fahren, wo die Fahnder "nicht unbedingt auf die gleichen Daten Zugriff haben wie die Franzosen".

Geheimdienste kooperieren nicht gerne

Wie schwer es ist, Geheimdienste zu einer echten Kooperation zu bewegen, zeige schon das Beispiel Deutschland. "Es hat in der Bundesrepublik erst einen substanziellen Fortschritt durch die Gründung des gemeinsamen Terrorismus-Abwehrzentrums gegeben", betont Eenboom.

"Zuvor haben die Landes- und Bundesbehörden nur sehr begrenzt Informationen ausgetauscht". Ein Terrorist konnte sich der Überwachung praktisch schon durch das Überschreiten der Landesgrenzen innerhalb Deutschlands entziehen, zum Beispiel durch eine Fahrt mit dem ICE von München nach Bremen.

Wie die deutschen Geheimdienste in der Gefahren-Abwehr arbeiten, hat Eenboom bereits in einem Gespräch mit unserer Redaktion nach den Terroranschlägen von Paris erläutert.

Die deutschen Nachrichtendienste "versuchen in erster Linie bereits bekannte, sogenannte Gefährder wenigstens grob zu überwachen", sagte Eenboom damals. Das seien zum Beispiel Rückkehrer aus Syrien, "Menschen die Wochen oder Monate dort verbracht haben".

Aber auch in dieser eingeschränkten Gruppe sei die Zahl mit circa 1.000 Personen so gigantisch groß, "dass die Nachrichtendienste diese Gruppe nicht komplett überwachen können".

In der Praxis würde deshalb eine Einstufung vorgenommen, aus der hervorgehe, ob jemand ein potentieller Gefährder sei.

Aber selbst die so herausgefilerten zirka 500 Gefährder in der Bundesrepublik könne man nicht "rund um die Uhr bewachen, wenn Sie davon ausgehen, dass für die Überwachung einer Einzelperson zirka sechs bis acht Observanten benötigt werden".

Allgemeine Kontrolle der Kommunikation

Deshalb greife man zum Beispiel auf die allgemeine Kontrolle des Kommunikationsverkehrs zurück. Außerdem versuchten die Dienste durch V-Leute zum Beispiel im Umfeld von bestimmten Moscheen, die besonders im Visier der Dienste stehen, Erkenntnisse zu gewinnen.

"Da reicht manchmal schon die Information, welche Handy-Nummer ein Gefährder hat, um auf dem Wege der Telekommunikationsüberwachung an relevante Informationen zu gelangen", sagte Eenboom.

Insgesamt seien die deutschen Nachrichtendienste total damit überfordert, "ein so gigantisches Gefährder-Potential so zu überwachen, dass nichts passiert".

Die Installation des gemeinsamen Terrorismus-Abwehrzentrums in Deutschland sei nur ein erster Schritt in die richtige Richtung, weil so wenigstens die bundesdeutschen Kapazitäten gebündelt werden.

Die Etablierung einer ähnlichen institutionellen Zusammenarbeit auf EU-Ebene stehe dagegen immer noch aus. "Da muss jetzt ganz dringend etwas passieren", fordert Eenboom im Gespräch mit unserer Redaktion.

"Wir brauchen wenigstens auf europäischer Ebene eine gemeinsame Datei, in der alle Verdächtigen für alle Dienste einsehbar sind".

Gemeinsamer EU-Geheimdienst unrealistisch

Darüber hinaus müssten die Dienste zu einer echten, institutionellen Kooperation zusammenfinden, auch wenn ein gemeinsamer europäischer Geheimdienst unrealistisch sei.

Schon Bundeskanzler Gerhard Schröder war für seine Forderung nach einer gemeinsamen europäischen Institution heftig von den europäischen Partnern kritisiert worden, zum Beispiel aus London.

"Die haben schnell deutlich gemacht, dass man nicht bereit ist, mit dem aus ihrer Sicht schwächeren deutschen Dienst zusammenzuarbeiten", sagte Eenboom.

"Man wird auf diesem Sektor relativ wenig Bereitschaft zur Aufgabe von nationalen Vorbehaltsrechten erleben. Das muss dann kompensiert werden durch einen größeren Austausch von gemeinsamen Erkenntnissen".

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