Marine Le Pen nahm ihn einst unter ihre Fittiche – nun hat er Chancen auf das Amt des Premierministers. Doch die Beziehung zwischen Jordan Bardella und seiner politischen Ziehmutter gilt als belastet. Sogar, dass er ihr offen in den Rücken fällt, traut manch einer ihm zu.
Manche Wähler in Frankreich haben am Sonntag das Wahlbüro enttäuscht verlassen, ohne zu wählen - weil sie keinen Wahlzettel mit dem Namen von Jordan Bardella vorfinden konnten. Dies zeugt nicht nur von demokratischen Wissenslücken mancher Anhänger des Rechtspopulisten, sondern vor allem von der Beliebtheit des Parteichefs des Rassemblement National (RN).
Dieser ist bei der Wahl zur Nationalversammlung gar nicht angetreten, erhebt aber Anspruch auf das Amt des Premierministers, falls seine Partei in der zweiten Runde die absolute Mehrheit bekommt. Der 28 Jahre alte Sohn italienischer Einwanderer hat eine ungewöhnliche Blitzkarriere hinter sich.
Als Kind verbrachte er seine Schulferien bei einem Onkel in Turin, der dort ein Restaurant namens "Europa" betrieb. Mit 16 Jahren trat Bardella dann der Partei bei, die damals noch Front National hieß und den Ausstieg Frankreichs aus der EU im Programm hatte.
Die damalige Chefin
"Die haben mich alle für verrückt gehalten", sagte Le Pen später über ihre Parteifreunde, die dem Zögling der Chefin dessen schnellen Aufstieg nicht gönnten.
Steiler Aufstieg für Le Pens Zögling
Bardella passte hervorragend zu Le Pens Strategie der "Entteufelung", wie sie den Versuch nannte, der von ihrem Vater Jean-Marie Le Pen und einem Mitglied der Waffen-SS gegründeten Partei ein weniger radikales Image zu verpassen. Und er passte zu ihr - hier die Matriarchin, die drei Präsidentschaftswahlkämpfe hinter sich hat und den nächsten endlich gewinnen will, dort der redegewandte Polit-Jungstar.
Bardella stammt aus bescheidenen Verhältnissen aus einer Pariser Vorstadt. Seine Siedlung sei ein Drogenumschlagplatz gewesen, aber seine alleinerziehende Mutter habe ihn vor dem Abrutschen bewahrt. Sie sei streng gewesen und habe Wert auf Respekt gelegt, erzählte Bardella der Rechtsaußen-Zeitschrift "Valeurs Actuelles".
Sein Geographie-Studium hat er noch vor dem Bachelor abgebrochen, weil ihn die Politik in ihren Bann gezogen hatte. Wäre er nicht in die Politik gegangen, hätte er Soldat werden wollen, sagte Bardella einmal. Stattdessen wurde er Parteisoldat und kletterte unter Le Pens Kommando im Rassemblement National (RN) unaufhaltsam nach oben.
Dabei mauserte er sich zum Medienprofi, der Wissenslücken und Widersprüche ungerührt weglächelt. Erfolg hat er auch mit seinen Tiktok-Auftritten vor inzwischen 1,7 Millionen Abonnenten - obwohl er selbst dort selten die Krawatte ablegt und sich oft im schwarzen Ledersessel vor der französischen Flagge sitzend zeigt.
Bardella hat Chancen auf Amt des Regierungschefs
Schon im Wahlkampf für die Europawahl erklärte Le Pen, dass sie 2027 als Tandem die Macht übernehmen wollten: sie als Präsidentin, er als Regierungschef. Dieses Ziel rückte völlig unerwartet in greifbare Nähe, als Präsident Emmanuel Macron nach dem Sieg des RN bei der Europawahl Neuwahlen ausrief.
Im Wahlkampf distanzierte er sich allerdings von seiner politischen Ziehmutter Le Pen und appellierte an die Franzosen, für ihn zu stimmen - woher die Verwirrung in den Wahlbüros rührte. Auch im Privatleben distanzierte sich Bardella vom Le Pen-Clan: Nach Berichten der Klatschpresse trennte er sich von seiner bisherigen Partnerin, einer Nichte von Le Pen.
Sein größter politischer Coup war das Überlaufen des bisherigen Parteichefs der Republikaner Eric Ciotti. Mit ihm zeigte er sich etwa bei einem Treffen mit dem Unternehmerverband, um deren Mitglieder zu beruhigen, die die geplanten Wahlgeschenke des RN mit Skepsis sehen.
So geschliffen und konsensbereit Bardella im Wahlkampf auch auftritt - inhaltlich steht er für die euroskeptische, einwanderungs- und islamfeindliche Haltung, die der RN schon immer vertreten hat.
So warnte er bei der Vorstellung seines Programms davor, "dass die französische Identität auf ihrem eigenen Boden auf beispiellose Weise verdrängt" werden könne - ein Anklang an die rechtsextreme Verschwörungstheorie eines drohenden Bevölkerungsaustausches.
Wendet sich Bardella offen gegen Le Pen?
Und er bedient sich gerne des Schemas des Sündenbocks: Schuld sind nach seiner Darstellung in vielen Fällen die Einwanderer, seien es die Probleme bei den Staatsfinanzen oder bei der inneren Sicherheit. Aufsehen erregte auch sein Vorhaben, Berufsverbote für Franzosen mit doppelter Staatsangehörigkeit zu verhängen.
Falls der RN in der zweiten Runde die absolute Mehrheit verfehlt, will Bardella das Amt des Premierministers lieber doch nicht antreten - wohl aus Sorge, schon nach kurzer Zeit über ein Misstrauensvotum zu stolpern.
Dies hätte für ihn den Vorteil, sich nicht im Regierungsalltag aufreiben. Er könnte stattdessen 2027 selber als Präsidentschaftskandidat antreten - was Frankreich das Spektakel eines politischen Muttermords an Le Pen einbringen würde. (afp/thp)
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