Ob Jean-Claude Juncker der nächste EU-Kommissionspräsident wird, ist ungewiss. Der britische Premier David Cameron wehrt sich vehement gegen die Nominierung des Luxemburgers. Während Juncker für Cameron ein rotes Tuch ist, unterstützt ihn Österreich.

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Eigentlich sollte Jean-Claude Junckers Ernennung zum nächsten EU-Kommissionspräsidenten eine Formalie sein. Schließlich fand der vergangene Wahlkampf zum ersten Mal mit europaweiten Spitzenkandidaten statt, die sich direkt um den einflussreichen Posten bewarben. Erstmalig konnte man als EU-Bürger Einfluss auf die Wahl des Kommissionspräsidenten nehmen. Zumindest theoretisch.

Dieses Prozedere basiert auf einer Zusage der vier größten EU-Parlamentsfraktionen - die allerdings etwas versprochen haben, was gar nicht in ihren Händen liegt. Das EU-Parlament muss zwar der Nominierung des Kommissionspräsidenten zustimmen, darf aber selbst keinen Kandidaten ins Rennen schicken. Dieses Recht ist den Staats- und Regierungschefs der Mitgliedsstaaten vorbehalten. Was aber tun, wenn diese jemand anderen als Jean-Claude Juncker, Spitzenkandidat der siegreichen Europäischen Volkspartei (EVP), nominieren?

Das Versprechen des EU-Parlaments auf mehr Mitbestimmungsrecht für die Bürger würde lächerlich gemacht. EU-kritische Parteien sähen sich wohl darin bestätigt, dass Brüssel eben doch über die Köpfe der Bürger hinweg entscheide, und bekämen womöglich noch mehr Zulauf. Eine Reaktion, die vermutlich kaum einer der Staats- und Regierungschefs in Kauf nehmen will. Also werden sie wohl das Wahlversprechen des EU-Parlaments einlösen.

Bei dem Deal ging es den Parlamentsfraktionen nicht nur um ein größeres Mitbestimmungsrecht für die EU-Bürger, sondern auch um den Ausbau ihrer eigenen Position innerhalb der EU-Institutionen. Die Absprache zwischen der EVP, der Fraktion der Sozialdemokraten (S&D) und den zwei kleineren Fraktionen der Liberalen (ALDE) und Grünen (GRÜNE/EFA) war ein kluger Schachzug, durch den sie die Regierungschefs der EU-Mitgliedsstaaten um ihr Nominierungsvorecht bringen wollten.

David Cameron hat viele Argumente gegen Juncker

Diese Rechnung wäre beinahe aufgegangen, wäre da nicht David Cameron. Der hat zahlreiche Gründe, Junckers Nominierung zu verhindern. Seine Partei - die konservativen Tories - ist im Gegensatz zur ÖVP und den meisten anderen konservativen Parteien in Europa nicht Mitglied der EVP. Stattdessen bildet sie zusammen mit anderen konservativ-reformistischen Parteien die deutlich kleinere Fraktion der Europäischen Konservativen und Reformisten (EKR). Die Gestaltungsmöglichkeiten der Tories sind im EU-Parlament daher äußerst gering. Kein Wunder also, dass sich Cameron mit allen Mitteln dagegen wehrt, dass ihm die vier größten EU-Fraktionen nun auch noch sein Mitbestimmungsrecht bei der Nominierung des Kommissionspräsidenten nehmen wollen.

Nicht nur mit dem Vorgehend der Fraktionen, auch mit der Person Jean-Claude Juncker selbst hat Cameron seine Probleme. Der Luxemburger ist bekannt dafür, ein glühender Vertreter der europäischen Integration zu sein. Cameron, dessen gefährlichste Herausforderin im eigenen Land mittlerweile die Anti-EU-Partei UKIP (United Kingdom Independence Party) ist, kann sich aber nicht erlauben, einen Kommissionspräsidenten mitzutragen, der die EU-Mitgliedsstaaten noch enger aneinander binden will.

Die Mehrheit der britischen Wähler, die der EU noch nie besonders euphorisch gegenüber standen, würde ihm das nicht verzeihen und bei den nächsten Wahlen wohl scharenweise zur UKIP überlaufen. Allein deshalb muss Cameron öffentlichkeitswirksam den Löwen geben. Zudem möchte der britische Premier selbst nicht mehr, sondern weniger Europa. Von einer immer engeren Union, wie Juncker sie anstrebt, will Cameron nichts wissen.

Österreich erklärt sich solidarisch mit Jean-Claude Juncker

Österreichs Regierung hingegen stellt sich demonstrativ hinter Jean-Claude Juncker. Sowohl Bundeskanzler Werner Faymann als auch Finanzminister Michael Spindelegger bekundeten bereits kurz nach Bekanntgabe der Wahlergebnisse ihre Unterstützung für den ehemaligen Euro-Gruppenchef. Sie haben auch keinen Grund, ihm diese zu verweigern. So wie Juncker, bekennen sich auch SPÖ und ÖVP zur europäischen Integration.

Das Vertrauen in den Luxemburger ist auch aufgrund seiner Erfahrungen als Euro-Gruppenchef entsprechend groß. Und schließlich spielen auch die Parallelen zu Junckers Heimatland eine Rolle. Österreich und Luxemburg verbindet nicht nur das Bankengeheimnis, an dem beide bis vor kurzen erbittert festhielten. Auch ein ausgeprägter Wohlfahrtsstaat gehört zum Selbstverständnis der beiden EU-Mitgliedstaaten.

Mindestlohn und Transaktionssteuer

Juncker hatte sich in der Vergangenheit immer wieder für einen europäischen Mindestlohn ausgesprochen. Eine Forderung, die Österreich zu Gute kommen könnte: Werden die Löhne innerhalb der EU angeglichen, gibt es für Unternehmen weniger Anreize, ihre Produktion von Österreich ins EU-Staaten zu verlagern, deren Durchschnittslöhne geringer sind.

Ob ein solches Vorhaben von der österreichischen Regierung mitgetragen werden würde, ist dennoch ungewiss. Schließlich gibt es auch in Österreich bis dato keinen Mindestlohn. Klare Einigkeit besteht jedoch bei der Finanztransaktionssteuer, die sowohl Juncker als auch SPÖ und ÖVP unterstützen. Juncker wird nicht nur die schon beschlossene Einführung der Steuer - in vorerst elf der 28 Mitgliedsstaaten - gewährleisten, sondern auch für eine Beteiligung weiterer Staaten werben.

Auch wenn Junckers Nominierung nach wie vor ungewiss ist – eine Entscheidung gegen ihn würde überraschen. Es ist unwahrscheinlich, dass sich die europäischen Konservativen auf einen anderen Kandidaten einigen können, den auch die Sozialdemokraten mitzutragen bereit sind. Zudem würden beide Seiten dadurch erheblich an Glaubwürdigkeit verlieren.

Cameron wird sich seine Zustimmung einiges kosten lassen und das voreilige Versprechen der EU-Parlamentsfraktionen dazu nutzen, seine eigene Position zu stärken. Zumindest um für Großbritannien einen Schlüsselposten in der EU-Kommission auszuhandeln. Vielleicht aber auch, um Reformen zu erzwingen, die die EU-Institutionen in ihrer Handlungsfähigkeit einschränken.

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