Erneut haben die radikalen Islamisten von Isis im Irak Boden gut gemacht: Die Kämpfer sollen Grenzposten zu Syrien und Jordanien erobert haben. Dort macht die Regierung Teile der Armee mobil. Kommt es zu einem Flächenbrand?

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Die islamistische Terrorgruppe Islamischer Staat im Irak und Syrien (Isis) versetzt den Nahen Osten in Schrecken. Ihr Vormarsch scheint unaufhaltsam. Die Terroristen haben erneut irakische Städte unter ihre Kontrolle gebracht. Immer wieder machen zudem Nachrichten ihrer Brutalität die Runde. So sollen Isis-Kämpfer im Westen des Iraks 21 Menschen hingerichtet haben. Mit der Eroberung zweier Grenzposten zu Syrien und Jordanien stellt sich nun die Frage, inwieweit die Krise die ganze Region erschüttern könnte.

"Der Flächenbrand ist schon da", sagt Walter Posch, Nahost-Experte der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP). "Es sind jedoch dermaßen viele Variablen auf dem Tisch, dass schwer vorhersehbar ist, wie es weitergeht." Sein Kollege Michael Bauer vom Centrum für angewandte Politikforschung an der LMU München sieht das ähnlich und spricht von einer "sehr krisenhaften Zuspitzung" der Lage im Nahen Osten.

Flüchtlingsströme in Jordanien

Am kritischsten ist momentan die Lage in Jordanien. Das Land kann die Flüchtlingsströme aus Syrien kaum bewältigen. Laut den Vereinten Nationen befinden sich mehr als 500.000 syrische Flüchtlinge im Land. Nun kommt die Furcht vor einem Übertragungseffekt hinzu. Das heißt: Die instabile Lage im Irak könnte sich ausweiten. Jordanien hat deshalb vorsorglich Truppen entlang der mehr als 180 Kilometer langen Grenze zum Irak in Alarmbereitschaft versetzt. Dass das Land aktiv in den Konflikt eingreifen könnte, halten die Nahost-Experten Posch und Bauer allerdings für unwahrscheinlich.

Auch der Iran wird zunehmend nervös. Die Isis-Truppen rücken immer näher an die iranische Grenze heran. Jedoch glauben die Experten auch hier nicht an eine militärische Intervention. Eher sei denkbar, dass der Iran die irakische Regierung im Hintergrund unterstützt - zum Beispiel mit geheimdienstlichen Informationen. Ziel sei es, zu verhindern, dass der Irak auseinanderbricht. "Der Iran fühlt sich als Schutzmacht aller Shiiten und sieht sich hier in der Pflicht", sagt Bauer. Der Plan: Die irakische Regierung an der Macht halten. Anfänglich hatte das Land sogar Bereitschaft signalisiert, dafür mit den USA zusammenzuarbeiten.

Israeli von Syrern getötet

In Israel war am Sonntag ein 14-jähriger Israeli auf den Golanhöhen durch Schüsse aus Syrien getötet worden. Daraufhin hatte die israelische Armee Stellungen des syrischen Militärs angegriffen. Ein weiteres Eingreifen in den Konflikt ist laut Experten aber unwahrscheinlich. Das Land habe derzeit andere Prioritäten, wie die Suche nach den drei entführten Jugendlichen und den Kampf gegen die radikal islamische Hamas. Sich tief in den irakischen Konflikt einzumischen, dazu sei Israel nicht in der Lage, sagt Posch von der SWP. Sollten Länder wie Jordanien jedoch weiter destabilisiert werden, könnte das auch in Israel für Unruhe sorgen.

In einer schwierigen Lage befindet sich auch die Türkei. Der Regierung wird unter anderem vorgeworfen, die Islamisten unterstützt oder zumindest geduldet und so zu ihrem Erstarken beigetragen zu haben. Nach Meinung der Experten hat sich die Türkei schlicht verspekuliert: Sie habe auf einen schnellen Sturz Assads gesetzt. "Es war keine Absicht, sich mit radikalen Moslems einzulassen", sagt Posch von der SWP. "Aber die Türkei hat sich vollkommen überschätzt. Sie kennen sich mit den inneren Verhältnissen in Syrien und Irak nicht aus. Die Sache ist außer Kontrolle geraten."

Nun kämpft das Land gleich mit mehreren Herausforderungen: Ein Bürgerkrieg an der Grenze im Süden, Flüchtlingsströme aus Syrien, das Erstarken der Kurden durch die Irak-Krise sowie die unübersichtliche Situation im Nachbarland. So hatten Isis-Kämpfer Anfang Juni mehrere Dutzend türkische Staatsbürger im Irak entführt. Dennoch: Auch die Türkei dürfte sich den Experten zufolge in dem Konflikt zurückhalten.

Militärisches Eingreifen wahrscheinlich

Obwohl die ganze Region von den Entwicklungen im Irak betroffen ist, ist eine militärische Intervention der Nachbarländer aktuell nicht zu erwarten. "Alle regionalen Akteure wissen, dass es eine äußert vielschichtige Gemengelage ist", sagt Michael Bauer von der LMU München. "Da lassen sie lieber die Finger davon, weil sie fürchten, noch weiter in den Konflikt hineingezogen zu werden, aus dem man nicht mehr herauskommt."

Es liegt momentan vor allem an der irakischen Regierung, den Vormarsch der Isis-Krieger zu stoppen. Bauer hält das für möglich, sollte es gelingen, die entstandene Allianz zwischen den Islamisten und den anderen sunnitischen Kräften aufzubrechen. Dazu müsste die Regierung von al-Maliki allerdings auf die Sunniten zugehen und ihnen einen Teilhabe an der Macht anbieten. Gelingt das nicht, droht ein religiöser Bürgerkrieg – und ein Flächenbrand.

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