Ist Frieden zwischen Israelis und Palästinensern möglich? Diese Frage stellen immer mehr Menschen – und bezweifeln, dass der Nahe Osten je zur Ruhe kommen wird. Der Nahost-Experte Jakob Rieken arbeitet in Ostjerusalem mit Juden und Palästinensern. Er hält den Konflikt für lösbar, aber nur, wenn beide Seiten jetzt zu drastischen Schritten bereit sind.

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Wie kann zwischen Israel und den Palästinensern Frieden geschaffen werden?

Jakob Rieken: Trotz der Eskalation im Gazastreifen: Frieden zwischen Israelis und Palästinenser ist möglich. Aus meiner Sicht können nur Zyniker oder Menschen mit einem Interesse an der Beibehaltung des Konfliktes dem grundsätzlich widersprechen. Natürlich erfordert das aber drastische Schritte. Israel muss bereit sein, seine Grenzen zu definieren und die fast ein halbes Jahrhundert andauernde Besatzung der Palästinensischen Gebiete zu beenden.

Die Wirtschaft in Gaza liegt am Boden, die Arbeitslosigkeit ist extrem hoch. Diese durch die israelische Blockade entstandene Perspektivlosigkeit und Armut sind Nährboden für Extremismus. Entscheidend ist, dass die Menschen dort sich überhaupt eine Zukunft vorstellen können. Erst dann können sie sich auch eine Zukunft in Frieden mit Israel vorstellen.

Aber die Hamas will offiziell keinen Frieden mit Israel.

Rieken: Ich glaube, dass die Hamas und andere radikale Gruppen diese anti-israelische Position nur aufrechterhalten können, solange die palästinensische Bevölkerung nicht an ein Ende der Besatzung glaubt. Man könnte der Hamas mit glaubhaften, friedensorientierten Schritten seitens Israel den Wind aus den Segeln nehmen.

Die absolute Mehrheit der Palästinenser ist pragmatisch und würde einen Frieden mit Israel auf Grundlage der international anerkannten Waffenstillstandslinie von 1967 akzeptieren. Die offizielle Vertretung der Palästinenser, die PLO, hat Israel schon vor über 20 Jahren anerkannt. Wenn die Situation aber so eskaliert wie im Moment, verlieren die moderaten Kräfte wie Präsident Mahmoud Abbas an Zuspruch.

Kritiker sagen, die Hamas kauft mit Hilfsgeldern lieber Waffen, um Israel zu attackieren, als ihrer eigenen Bevölkerung im Gazastreifen zu helfen. Stimmt das?

Rieken: Ich kann nicht nachvollziehen, ob Hilfsgelder auch in diese Infrastruktur der Hamas geflossen sind. Europäische und amerikanische Gelder waren das aber mit Sicherheit nicht. Da gibt es strikte Kontrollen. Versuche, den Gazastreifen wieder aufzubauen, scheiterten bisher auch an der israelischen Blockade. Diese verhindert häufig, dass dringend benötigtes Baumaterial in den Gazastreifen kommt. Das betrifft auch Projekte Deutschlands – zum Beispiel der Bau von Schulen und eines Klärwerks.

Deshalb hofft die verzweifelte Bevölkerung, dass durch die Raketen wenigstens wieder etwas Aufmerksamkeit auf den abgeriegelten Gazastreifen gelenkt wird, dem es ja auch in Zeiten der "Ruhe" auf Grund der Blockade sehr schlecht geht.

Werden radikale palästinensische Kräfte durch den Krieg weiter an Zuspruch gewinnen?

Rieken: Politisch sind die Menschen von der Hamas eigentlich enttäuscht. Sie hat in Gaza außer der Verschärfung religiöser Gesetzgebung wenig auf die Reihe bekommen. Zudem zeigte die Hamas, dass auch in ihren Reihen Korruption vorkommt. Die Freude war daher groß, als die Bildung einer Einheitsregierung zwischen Westjordanland und Gaza (an der die Hamas nicht beteiligt ist) bekannt gegeben wurde. Man hoffte auf Neuwahlen und ein Ende der Spaltung.

Ich glaube aber, dass bei den jetzigen Angriffen auf Gaza die Zustimmung zur Hamas eher steigt als sinkt. Sie wird jetzt nicht mehr als gescheiterte, korrupte Regierungspartei wahrgenommen werden, sondern als Widerstand gegen die Besatzung. Auch aus den vorherigen israelischen Angriffen auf Gaza, wie zuletzt 2012, ging die Hamas gestärkt hervor. Gewalt spielt der Hamas in die Hände und verhindert gemäßigtere Kräfte.

Ist es hilfreich, wenn der Präsident der Palästinenser Mahmoud Abbas einen Waffenstillstand mitverhandelt?

Rieken: Die Rolle von Präsident Abbas ist in der aktuellen Eskalation kaum erkennbar Er wirkt seltsam passiv. Es wäre besser, wenn er mit einem demokratischen Mandat ausgestattet wäre, um für alle Palästinenser sprechen zu können. Aber ein alternativer Partner für den Frieden und für Verhandlungen ist momentan nicht in Sicht.

Jakob Rieken arbeitet seit 2013 als Projektmanager für die Friedrich-Ebert-Stiftung in Ostjerusalem. Die hier vertretenen Positionen spiegeln nur seine eigene Meinung wider.
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