Die Bundesregierung will alle 18-Jährigen per Post befragen, etwa nach Fitness und Bereitschaft zum Wehrdienst. Vorbild ist das schwedische Modell. Doch kann dieses System helfen, den Soldatenmangel in Deutschland zu beheben?
Bald könnten alle 18-Jährigen in Deutschland per Post Fragebögen erhalten, die viel wissen wollen: Wie groß und schwer sind Sie? Wie ist gut Ihre Fitness? Wie oft trinken Sie Alkohol? Haben Sie oft Kopfschmerzen? Ertragen Sie Kritik von Lehrern? Übernehmen Sie gerne die Initiative? Schlafen Sie gut? Werden Sie leicht wütend? Wie gut passt eine Grundausbildung mit Wehrpflicht zu Ihnen? So oder so ähnlich lauten Fragen, die schwedische Jugendliche derzeit schon beantworten müssen.
Geht es nach
Die neue Regierung will sich bei der Musterung am schwedischen Modell orientieren, heißt es weiter: "Wir schaffen einen neuen attraktiven Wehrdienst, der zunächst auf Freiwilligkeit basiert." Aber taugt Schweden als Vorbild für die deutsche Bundeswehr? Wie gut funktioniert es dort? Lässt sich so der Soldatenmangel beheben, der seit Ende der Wehrpflicht 2011 in Deutschland besteht?
Das Vorbild Schweden: Rückkehr zur Wehrpflicht
Jonas Hård af Segerstad ist als Verteidigungsattaché der schwedischen Botschaft in Berlin ein Mann mit Expertise. Er sagt, es habe keine große Debatte gegeben, als Schweden die Wehrpflicht 2017 wiedereingeführt hatte: "Die Debatte war größer bei ihrer Aussetzung 2010, die mit knapper Mehrheit beschlossen wurde." Nun sei es Konsens, dass sich die Sicherheitslage mit dem Russland-Ukraine-Krieg verändert habe.
Vieles klingt wie in Deutschland, das aktuell diskutiert, die Wehrpflicht wiedereinzuführen. Auch in Schweden lag der Fokus lange auf Auslandseinsätzen, an denen keine Wehrpflichtigen teilnehmen. Seit der russischen Besetzung der Krim 2014 geht es wieder um Verteidigung der eigenen Grenzen. "Da war Schweden klar: Wir brauchen wieder eine größere Truppenstärke", sagt Hård af Segerstad.
Aus historischen und geografischen Gründen nahmen die Skandinavier die Bedrohung früher ernst als Deutschland: Mit Russland gibt es jahrhundertealte Rivalitäten, das Land liegt viel näher an Russland als Deutschland. "Nicht nur die Wiederaktivierung der Wehrpflicht, vor allem die Bedrohung durch Russland hat die Wahrnehmung des Militärs in der schwedischen Gesellschaft verändert", erklärt Hård af Segerstad.
Das Ansehen der Armee sei ohnehin hoch, auch da es historisch weniger belastet ist als in Deutschland. "In Schweden haben früher viele Wehrdienst geleistet, die Erfahrung wird geschätzt und kann sich positiv auf Bewerbungen und Karriere auswirken." Dennoch gab es Probleme, Rekruten zu finden, wie bei der Bundeswehr, wo es statt angestrebten 203.000 Soldaten derzeit nur etwa 180.000 sind.
Fragebögen als Verlegenheitslösung
Das System der Fragebögen war in Schweden ein Kompromiss, wie er es auch hierzulande wäre. "Wir haben die Musterungskapazitäten nicht, daher befragen wir", sagt Hård af Segerstad. Es gebe sicher einige, die, bewusst oder unbewusst, unehrlich antworteten. Aber das sei die Minderheit. Man habe nur festgestellt, dass Männer sich öfter überschätzen und Frauen sich realistischer einschätzen.
Die deutsche Debatte, ob auch Frauen Fragebögen beantworten müssen, hat Schweden umgangen. "Bei Aussetzung der Wehrpflicht wurde das Gesetz geschlechtsneutral umformuliert." Alle müssen dienen. Nur liegt der Frauenanteil bei 8.000 jährlich eingezogenen Wehrpflichtigen bei 21 Prozent. Wichtig sei, dass Jugendliche sich durch die Fragebögen mit der Option Armee auseinandersetzten.
Nach körperlichen Untersuchungen, Intelligenztests und Gesprächen mit Psychologen wird das beste Drittel zu einem Grundwehrdienst von bis zu 15 Monaten mit klarer Verwendung eingezogen. Dabei stehe nicht die Fitness im Vordergrund. "Die Auswahl basiert hauptsächlich auf persönlichen Eigenschaften", sagt Hård af Segerstad. Daher stehen im Fragebogen viele eher persönliche Fragen.
Gute Stiefel, Kasernen und Munition sind entscheidender
Die Erfahrung zeige, dass gerade bei den Männern motivierte Kandidaten auch die fähigsten seien. Dennoch hätten sich nach dem Freiwilligendienst mehr Menschen langfristig zum Militär verpflichtet. "Viele junge Menschen haben andere Pläne, wie ein Studium oder den bisherigen Job fortsetzen." Daher hält Hård af Segerstad fest: "Wir haben in Schweden auch noch keine definitive Lösung."
Deutschland setzte lange auf Werbekampagnen, die oft ein unrealistisches Bild der Armee zeigten, die Abbrecherquote ist entsprechend hoch. In Schweden helfe die Wehrpflicht vor allem, fähige Offiziersbewerber zu finden. "Aber um Mannschaftssoldaten zu gewinnen, ist die Wehrpflicht nicht die alleinige Lösung", sagt Hård af Segerstad, da gehe es um andere Themen, etwa um Ausstattung.
"Wenn Soldaten schlechte Stiefel, dreckige Kasernen oder keine Munition erhalten, verlieren sie die Motivation." Worte, die in Deutschland trotz Zeitenwende und Sondervermögen noch schmerzen. Man könne aber beide Länder schwer vergleichen, sagt der Verteidigungsattaché. Schweden habe eine kleinere Berufsarmee und viele Reservisten, die regelmäßig Übungen absolvieren, Deutschland etwa die Wehrdienstverweigerung.
Doch lässt sich viel aus dem Vorbild Schweden lernen: Wenn man weiß, wofür und wogegen man kämpft, dafür Wertschätzung erfährt, nach Motivation und Persönlichkeit beurteilt wird, Karriereoptionen, gute Ausstattung und Ertüchtigung erhält, womöglich auch Alternativen zum Dienst an der Waffe, kann Wehrdienst auch in Deutschland attraktiver werden. Und das sogar ganz freiwillig.
Über den Gesprächspartner
- Jonas Hård af Segerstad ist ein schwedischer Militäroffizier und Verteidigungsattaché in Berlin, Bern und Wien. Er hat umfangreiche Erfahrung in der schwedischen Marine und ist Experte für Verteidigungsfragen und Wehrpflicht.