Das Unionsgesetz zu Migration ist im Bundestag gescheitert. Im Interview erklärt Politikwissenschaftler Johannes Varwick, was das Scheitern für die Union bedeutet, wie es sich auf die Wahlen auswirken könnte und ob ein Kanzler Merz noch denkbar ist.
Er hat die Kirchen und Alt-Kanzlerin
Hat die Union einen folgenschweren Fehler begangen oder ist die Kritik an ihr unberechtigt? Im Interview spricht Politikwissenschaftler Johannes Varwick über die hitzigen Tage im Bundestag.
Herr Varwick, das Unionsgesetz ist mit einer knappen Mehrheit im Bundestag abgelehnt worden. Eigentlich war erwartet worden, dass es erst im Bundesrat scheitert. Wieso kam es anders?
Johannes Varwick: Bei der namentlichen Abstimmung gab es bei FDP und Union schlichtweg nicht die erforderliche Geschlossenheit, um bei den gegebenen knappen Mehrheitsverhältnissen zusammen mit AfD und BSW eine Mehrheit zusammenzubringen. Hier haben sicher die sehr kritischen Stellungnahmen, etwa aus den Kirchen oder von Altkanzlerin Merkel eine Rolle gespielt. Etliche hatten offenkundig Skrupel, sowas mit der AfD durchzusetzen.
Werden der Union die Vorgänge insgesamt schaden?
Die Merz-CDU hat einen schweren und eigentlich unverzeihlichen politischen Fehler gemacht. Das galt schon für den mit der AfD gemeinsam beschlossenen Entschließungsantrag von vor einigen Tagen und zeigt sich jetzt an dem gescheiterten Gesetzesentwurf.
Welche Auswirkungen auf die Wahl erwarten Sie?
Ob die Wähler diesen ganz offenkundig wahlkampfmotivierten Schwenk der CDU goutieren werden, wird das Wahlergebnis zeigen. Die Erfahrung zeigt, dass beim Thema Migration nur einer profitiert: die AfD. Zudem ist es ein Fehler so zu tun, als ob dies das einzig wichtige Thema sei.
Wie sehr ist
Friedrich Merz hat sich verzockt und nun ein massives Glaubwürdigkeitsproblem. Ein grosser Teil seiner Klientel wird das wohl inhaltlich gut finden. Die Mitte schreckt das aber eher ab, und die Radikalen wählen ihn deshalb trotzdem nicht. Ob das aufgeht, ist mithin ungewiss. Ich persönlich kann und mag ihn mir nach dieser Woche als Kanzler nicht vorstellen.
Ist Politik im Bundestag jetzt endlich wieder spannend, weil man so viele Debatten erlebt oder laufen wir Gefahr einer dramatischen Spaltung?
In einer Demokratie sollten im Parlament auch die Debatten stattfinden, die die Bevölkerung umtreiben. Insofern darf es auch mal hitzig werden. Mir wird aber deutlich zu wenig über sachliche und wirksame Lösung von Problemen geredet - und zu viel Symbolpolitik gemacht.
War das Unionsgesetz nur Symbolpolitik?
Das "Zustrombegrenzungsgesetz" wäre in diesem Sinne weniger wirksam als beispielsweise die vor kurzem verabschiedete Reform der europäischen Asylpolitik (GEAS). Populisten glauben, mit großer Klappe dem Volk nicht nur aufs Maul zu schauen, sondern nach dem Mund zu reden. Verantwortliche Politik geht nüchterner vor. Die Union ist leider derzeit auf populistischen Abwegen.
Manche sagen, bei der Kritik an der Union sei ziemlich viel Wahlkampf dabei. Die NZZ z. B. schreibt, die Vergleiche mit der deutschen Vergangenheit seien unangemessen, das Gesetz wäre wichtig gewesen und SPD und Grüne hätten bloß Angst, ihre Deutungshoheit und die Hegemonie in Deutschland zu verlieren. Sehen Sie das auch so?
Wahlkampf ist Hochamt der Demokratie und zugleich nichts für Feingeister. Insofern sind die Unterschiede der Parteien nun wieder gut sichtbar geworden. Wir sollten aber nicht nur an den Tag der Wahl am 23. Februar denken, sondern spätestens am 24. Februar müssen die Parteien lagerübergreifend Lösungen finden. Es wäre schön gewesen, wenn dies schon diese Woche im Bundestag sichtbar geworden und ein tragfähiger Kompromiss gefunden worden wäre. Die CDU/CSU wollte das offenkundig nicht, und auch die Grünen haben wenig Flexibilität gezeigt. Schwarz-Grün dürfte also sehr schwer werden. Es läuft wohl alles auf eine CDU-SPD Koalition hinaus, vermutlich nicht mit einem Kanzler Merz. Der weiß das aber noch nicht.
Über den Gesprächspartner
- Prof. Dr. Johannes Varwick ist Professor für Internationale Beziehungen und europäische Politik an der Universität Halle-Wittenberg.
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