CDU, CSU und SPD haben einen Koalitionsvertrag. Selten dürfte eine Bundesregierung schon vor dem Amtsantritt unter so großem Druck gestanden haben. Schwarz-Rot ist zum Erfolg verdammt – hat aber gegenüber der Vorgängerregierung auch einen entscheidenden Vorteil.

Eine Analyse
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Zum Glück gibt es Markus Söder. Er ist vielleicht der größte Fan des neuen Koalitionsvertrags. Als CDU, CSU und SPD am Mittwoch im Bundestag ihre Pläne für die nächsten vier Jahre vorstellen, redet der bayerische Ministerpräsident und CSU-Vorsitzende lange. Und redet noch ein bisschen weiter. Über die Bon-Pflicht und die Mütterrente und das neue "Hightech-Ministerium".

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Es wird eine kleine Söder-Show. Der neue Koalitionsvertrag werde bestimmt ein "Bestseller", er sei eine "Reha- und Fitnesskur" für Deutschland, sagt Söder. Da kann auch Friedrich Merz wieder ein bisschen schmunzeln. Zuvor war ihm der Ernst der Lage ins Gesicht geschrieben.

Merz: "Es geht um viel"

Etwas früher als gedacht haben Union und SPD also wirklich einen entscheidenden Schritt zu einer gemeinsamen Regierung gemacht. Wenn ein kleiner CDU-Parteitag und die SPD-Basis zustimmen, könnte der CDU-Vorsitzende Friedrich Merz Anfang Mai zum neuen Bundeskanzler gewählt werden. "Es geht um sehr viel", sagt er bei der Vorstellung des Koalitionsvertrags. "Es geht um die Zukunft unseres Landes. Um die Zukunft der Menschen in unserem Land und auch um die Zukunft Europas."

Der Kontrast zum Start der Vorgängerregierung ist deutlich: SPD, Grüne und FDP hatten Ende November 2021 extra einen hippen Backsteinbau im Berliner Westhafen gemietet, produzierten schöne Bilder, versprühten Harmonie und Optimismus. Die damalige Koalition hatte noch die Hoffnung, sich in den kommenden vier Jahren ganz der Modernisierung des Landes zu widmen.

Es kam bekanntlich anders. Kurz nach Amtsantritt überfiel Russland die Ukraine, mit schwerwiegenden politischen und wirtschaftlichen Folgen für ganz Europa. Die Ampelkoalition rieb sich im permanenten Krisenmodus auf und zerfiel dann im vergangenen Herbst im Streit. Ausgerechnet ein paar Stunden, nachdem in den USA Donald Trump wieder zum Präsidenten gewählt wurde.

Vor allem Merz steht unter Druck

Neue Sachlichkeit statt Inszenierung: Das scheint in diesen unruhigen Zeiten das Rezept der nächsten Koalition zu sein. Union und SPD stellen ihren Vertrag im Paul-Löbe-Haus des Bundestags vor. Das Gebäude ist zwar imposant, der Sichtbeton farblich passend beleuchtet. Doch der Ort ist offenbar bewusst unaufgeregt gewählt. Schließlich spielt sich hier der politische Alltag ab. Und der ist schon aufregend genug.

Der Krieg in der Ukraine tobt weiter, Europa bangt um den wichtigen Partner USA und deren Präsident hat der Welt den Handelskrieg erklärt. Keine leichte Zeit, um die Regierungsgeschäfte zu übernehmen.

Der Druck ist enorm. Vor allem für Friedrich Merz. Kurz nach der Bundestagswahl hat der CDU-Vorsitzende mit einem neuen Sondervermögen und einer Reform der Schuldenbremse das Gegenteil seiner Ankündigungen aus dem Wahlkampf umgesetzt. Für viele Unionswähler kommt das einem Vertrauensbruch gleich. Hat sich der vermeintlich so selbstbewusste Merz von der kleineren SPD gar über den Tisch ziehen lassen?

Die Unruhe an der Unionsbasis ist jedenfalls groß. Und nicht nur dort. Einer repräsentativen Forsa-Umfrage im Auftrag von RTL/NTV zufolge halten 60 Prozent der Deutschen Merz für ungeeignet für das Kanzleramt.

Normalerweise können Parteien nach einem Wahlsieg ihre Zustimmungswerte noch einmal erhöhen, weil die Hoffnung auf bessere Zeiten sie beflügelt. Doch die schwarz-rote Koalition hat nach der Wahl an Zustimmung eingebüßt. In manchen Umfragen ist die AfD mit der Union gleichgezogen. Man kann nicht behaupten, dass die neue Koalition mit einem Vertrauensvorschuss der Wählerinnen und Wähler in ihr Amt startet. Eher mit einem Misstrauensvorschuss.

An den Umfragen des Meinungsforschungsinstituts Civey kann jeder teilnehmen. In das Ergebnis fließen jedoch nur die Antworten registrierter und verifizierter Nutzer ein. Diese müssen persönliche Daten wie Alter, Wohnort und Geschlecht angeben. Civey nutzt diese Angaben, um eine Stimme gemäß dem Vorkommen der sozioökonomischen Faktoren in der Gesamtbevölkerung zu gewichten. Umfragen des Unternehmens sind deshalb repräsentativ. Mehr Informationen zur Methode finden Sie hier, mehr zum Datenschutz hier.

Schwarz-Rot hat große finanzielle Möglichkeiten

Merz ist sich der Größe der Aufgabe offensichtlich bewusst. "Viele Kräfte von innen wie von außen werden nicht mit uns, sondern gegen uns arbeiten", sagt er. Die demokratische Mitte des Landes müsse jetzt zeigen, dass sie die Probleme lösen kann. Er setzt vor allem auf zwei Veränderungen, an denen seine Regierung zu messen sein wird. Er will die irreguläre Migration "weitgehend beenden" und für neues Wirtschaftswachstum sorgen.

Aus Sicht von SPD-Chef Lars Klingbeil ist schon das Zustandekommen der Koalition in weltweit aufgeheizten Zeiten keine Selbstverständlichkeit. Das Bündnis ist jetzt zum Erfolg verdammt. Bei allen negativen Vorzeichen: Es startet auch mit einem großen Vorteil. Die Ampelkoalition ist am Geld zerbrochen. Das kann Schwarz-Rot kaum passieren. Darauf weist die SPD-Co-Vorsitzende Saskia Esken hin: Das massive Schuldenpaket hat der Merz-Regierung finanzielle Spielräume verschaffen, von denen die Vorgängerregierung nur träumen konnte.

Und: Schwarz-Rot hat das Ende der Ampelkoalition als mahnendes Beispiel vor Augen. Man habe den "festen Willen", den Dauerstreit nicht zu übernehmen, sagt Merz. Die Vertrauensbasis sei gut, betonen die Parteivorsitzenden. Streitfragen will man in Zukunft früh und regelmäßig ausräumen. Auch Markus Söder will dann regelmäßig in Berlin sein. Zumindest für die nötige Heiterkeit ist das vielleicht ein gutes Omen.

Verwendete Quellen