Hat die Terrormiliz "Islamischer Staat" einige Terroristen der Pariser Anschläge als Flüchtlinge getarnt, um seine Macht zu demonstrieren und die Asylsuchenden zu diskreditieren? Genau das behauptet nun Hans-Georg Maaßen, Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz.
Einen Monat nach den Terroranschlägen von Paris hat der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz seine eigene Interpretation der Ereignisse dargelegt.
IS zeigte eine "Show of Force"
Im TV-Sender Phoenix erklärte
Damit bezog sich Deutschlands höchster Verfassungshüter weniger auf die 130 Toten der opferreichsten Terror-Anschläge in Europa seit den Madrider Zug-Attentaten 2004.
Er meinte vielmehr die Erkenntnisse, nach denen zwei der Angreifer als syrische Flüchtlinge getarnt über Griechenland in die EU eingereist waren. Bisher war ein solches Szenario von den deutschen Sicherheitsbehörden ausgeschlossen worden.
Es gebe allenfalls eine "abstrakte Gefahr", "konkrete Hinweise" lägen nicht vor, wiederholten Maaßen und der Chef des Bundesnachrichtendienstes, Gerhard Schindler, gebetsmühlenartig in Bezug auf Deutschland.
Weiter erklärte Maaßen auf Phoenix, die Terrororganisation "Islamischer Staat" wolle durch solche Methoden, die Flüchtlinge diskreditieren.
Tatsächlich konnten Rechtspopulisten in Europa zuletzt auf diese Weise Ängste schüren, indem sie behaupteten, mit den Flüchtlingen kämen auch Terroristen nach Europa. Die ohnehin überschaubare Lobby der Schutzsuchenden verbesserte sich dadurch keineswegs.
Kulturkampf gegen den Westen
"Sofern der IS den Pariser Anschlag tatsächlich geplant und angeordnet hat, dies ist meines Wissens nicht abschließend ermittelt, war dies sicher eines der Ziele", erklärt Stefan Hansen, Geschäftsführer des Instituts für Sicherheitspolitik der Universität Kiel (ISPK).
Die islamische Weltgemeinschaft solle zu einem "Kulturkampf gegen den Westen und seine Werte" aufgefordert werden. "Eine Stigmatisierung der Flüchtlinge ist folglich im Interesse des IS", betont der Experte.
Eine Debatte war zuletzt darüber ausgebrochen, ob die Bezeichnung der Miliz als Terrororganisation überhaupt zutreffend sei. Das "verniedlicht das Problem", sagte nun auch Maaßen.
Politologe Hansen stimmt dem zu: "Eine terroristische Organisation agiert in der Regel aus einer Position der Schwäche mit vergleichsweise einfachen Mitteln. Der IS hat aber in vielerlei Hinsicht schon Staatsqualität: treibt Steuern ein, spricht Recht, besitzt Gebiete und schweres Gerät."
Maaßens Einschätzung, der IS sei "ein staatsähnliches Gebilde, das einen Krieg gegen uns führen möchte", hält er für nachvollziehbar.
Deutsche Sicherheitsbehörden blamieren sich
Man kann Maaßens Aussagen über die Stärke des "Islamischen Staats" aber auch als Ablenkung von eigenen Fehleinschätzungen deuten.
Lange behauptete der BAfV-Präsident, IS-Kämpfer seien nicht auf eine mühsame und gefährliche Fahrt nach Europa angewiesen, sondern könnten mit gefälschten Papieren bequem per Flugzeug einreisen.
Nun hat sich das Gegenteil als richtig erwiesen. Auch wenn nicht sicher ist, ob dahinter eine dauerhafte Taktik steckt. Dagegen spricht: Die Anzahl radikaler Islamisten ist in Europa ohnehin schon groß genug.
Selbst in den USA kam es zuletzt zu einem schweren Anschlag von IS-Sympathisanten, die sich offenbar eigenständig radikalisiert hatten.
Die Mehrheit der Paris-Attentäter ist in Frankreich und Belgien geboren und aufgewachsen, sieben von acht waren den Behörden als Gefährder bekannt.
Der Drahtzieher, der Belgier Abdelhamid Abaaoud, kündigte im Februar sogar in einem Hochglanz-Magazin des IS offen weitere Taten an. "Geheimdienste lesen nicht mal Zeitung", spottete daraufhin Sascha Lobo in seiner Kolumne auf Spiegel Online.
Lobo schrieb, es dürfe nicht darum gehen, "neue Daten zu bekommen, sondern die längst vorhandenen besser auszuwerten."
Anschlag hätte verhindert werden können
Auch Maaßen forderte nun, die Ressourcen besser zu nutzen. "Es ist wichtig, dass unsere Datenbanken abgefragt werden können", um zu erkennen, ob eine Person schon als terroristischer Gefährder gespeichert sei.
Das Einschleusen von IS-Kämpfern, die "Show of Force", hätte bei einer funktionierenden Zusammenarbeit der europäischen Grenzschutz- und Sicherheitsbehörden vermutlich verhindert werden können.
Für Stefan Hansen ist ohnehin fraglich, ob Maaßens Begriff, der für eine militärische Machtdemonstration unterhalb der Schwelle eines Angriffs verwendet wird, zutreffend ist.
Relevanter sei eigentlich, erklärt der Experte, "ob die Attentäter tatsächlich direkt vom IS ausgebildet, beauftragt und gelenkt worden sind."
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