Die Grünen stehen derzeit vor einem Scherbenhaufen und müssen gar um den Wiedereinzug in den Nationalrat bangen. Nun rächt sich, dass die Partei eine Reform der veralteten Statuten versäumt hat. Eine Liste Peter Pilz wäre der Supergau.
Vor rund 20 Jahren machte bei grünen Spitzenfunktionären folgender Bonmot die Runde: "Kommt was von der Basis, weiß man, dass a Schas is."
Teils gewollt, teils ungewollt bringt diese Klage des Establishments der Ökos über die aufmüpfigen und – aus Sicht der Parteioberen allzu oft kleingeistigen – einfachen Parteimitglieder das heutige Dilemma der Partei auf den Punkt.
Erstens: Dass es bei den Grünen formal kaum Hierarchien gibt und damit auch keinen Chef/keine Chefin mit Durchsetzungskraft. Alle Macht kommt zumindest offiziell von unten. Wer immer die grüne Truppe anführt, ist nicht zu beneiden. Im Gegensatz zu
Querschüsse durch "Basiswappler"
Zweitens: Diese Ohnmacht der Mächtigen sorgt bei diesen für großen Ärger. Wer mit grünen Spitzenpolitikern spricht, bekommt nicht selten eine gewisse Verachtung gegenüber den querulantischen "Basiswapplern" mit, denen das Gefühl für das große Ganze fehle und – so der Vorwurf – deren einzige Aufgabe darin bestehe, den Verantwortungsträgern an der Spitze das Leben zur Hölle zu machen.
Drittens: Ausgerechnet das Modell der Basisdemokratie hat die Grünen zu einer Partei gemacht, in der wichtige Entscheidungen auf uralte Weise getroffen werden: Im kleinen Kreis, hinter Tapetentüren. Am Ende setzt sich durch, wer weiß, wie die Masse zu beeinflussen ist.
Vor mehr als 30 Jahren sind die Grünen mit einem damals revolutionären Modell der Basisdemokratie angetreten: Die Parteistatuten sollten sicherstellen, dass auch schwächere Mitglieder maximale Mitsprache haben und niemand ungehört bleibt. Funktioniert hat das meist nur in der Theorie: Starke Sprecher wie der heutige Bundespräsident
Eva Glawischnig konnte immerhin mit Stefan Wallner auf einen gewieften und entschlossenen Bundesgeschäftsführer pochen, der den grünen Flohzirkus zu bändigen wusste. "Mit Wallners Abgang im Vorjahr begannen die Probleme", sagt ein ehemaliger Spitzenfunktionär, der in der Partei gut vernetzt ist.
Jeder gegen jeden
Heute herrscht bei den Grünen ein Machtvakuum: Jeder gegen jeden. Der überraschende Abgang Glawischnigs brachte die Partei ins Taumeln. Dann kam die Causa Pilz dazu: Der populäre Aufdecker verlor seinen sicheren vierten Listenplatz. Die Basis hatte genug von dem "Silberrücken" – wie die angejahrten männlichen grünen Gründungsmitglieder mit großen Ego von der jüngeren Generation gerne verächtlich genannt werden. Ausgerechnet der blutjunge Mädchenschwarm Julian Schmidt – ein politisches Leichtgewicht – bekam dessen Listenplatz.
Nun überlegt Pilz, mit einer eigenen Liste zur Nationalratswahl im Herbst anzutreten. Umfragen geben Pilz, der erst unlängst mit der Einrichtung des Eurofighter-Untersuchungsausschusses einen riesigen Erfolg feiern konnte – ein Potenzial von 15 Prozent. Das ist mehr, als seine alte Partei derzeit hat. Tritt er an, wäre das ein Supergau.
Und als wäre das alles noch nicht genug, platzte vergangene Woche in Kärnten eine Bombe: Die Landessprecherin Marion Mitsche trat zurück, weil ihr ein sicherer Listenplatz bei den Nationalratswahlen verwehrt blieb. Mitsche klagt nun ihre Parteifreunde an: Zur Abstimmung seien Asylwerber angekarrt worden, die erst kurz zuvor Parteimitglieder geworden seien. Diese hätten auf Geheiß von anderen abgestimmt.
Der Vorwurf wiegt schwer und richtet sich gegen Matthias Köchl, den Listenersten in Kärnten und Landesrat Rolf Holub. Beide weisen die Anwürfe zurück.
Konflikte werden nach außen getragen
"Das Schlimme ist, dass solche Dinge nach außen getragen werden", sagt ein Grüner Insider, der nicht zitiert werden möchte, gegenüber GMX.at. Er ortet bei vielen Funktionären der Ökopartei eine parteischädigende Disziplinlosigkeit, die in anderen Fraktionen kaum denkbar wäre. Das sei im Wahlkampf reines Gift: "Die Wähler wollen ein geschlossenes Team sehen. Auch wenn es schwerfällt, muss man im Wahlkampf geeint auftreten."
Die Analyse des Parteikenners: Die Grünen würden an ihren Erfolgen (sie sitzen in fünf von neun Landesregierungen, ihr ehemaliger Parteichef Van der Bellen residiert in der Hofburg) scheitern. Dadurch treten die Fronten zwischen jenen, die machtpolitisch denken und jenen Idealisten, die ein grundsätzliches Problem mit jeder Form von Macht haben, offen zutage. "Man muss einfach sagen, dass viele an der Basis keine Politikfähigkeit besitzen."
Sein Fazit: Es müsse einen Kulturwandel bei der Ökopartei geben, klarere Strukturen.
Können Felipe und Lunacek die Wogen glätten?
Für eine Organisationsreform bis zur Wahl im Herbst ist es freilich schon viel zu spät. Das Spitzenduo Felipe und Lunacek kann nun nur noch die Wogen glätten und hoffen, dass sich die Partei im eigenen Interesse wieder beruhigt. Vielleicht tragen die schlechten Umfragewerte dazu bei. Einige Umfragen sehen die Grünen bei unter fünf Prozent.
Spannend bleibt die Frage, ob Peter Pilz tatsächlich mit einer eigenen Liste antritt. Er will seine Entscheidung demnächst kundtun. Zu hören ist, dass das Grüne Urgestein mit sich hadert. Denn eine Liste Pilz würde in erste Linie enttäuschte Grünwähler ansprechen, Sympathisanten von Schwarz oder Blau können mit dem Aufdecker weniger anfangen.
Pilz könnte zum Totengräber der von ihm mitgegründeten Partei werden und damit eine schwarz-blaue Koalition zementieren. Eine solche zu verhindern hat er aber als sein größtes Ziel ausgegeben.
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