Großbritannien will Asylbewerber in Zukunft direkt bei ihrer Ankunft nach Ruanda abschieben. Das Vorhaben der konservativen Regierung ist höchst umstritten - aus mehreren Gründen.

Eine Analyse
Dieser Text enthält eine Einordnung aktueller Ereignisse, in die neben Daten und Fakten auch die Einschätzungen von Leon Kottmann sowie ggf. von Expertinnen oder Experten einfließen. Informieren Sie sich über die verschiedenen journalistischen Textarten.

Großbritannien startet den nächsten Anlauf für sein umstrittenes Migrationsabkommen mit Ruanda. Die beiden Länder unterzeichneten am Dienstag in der ruandischen Hauptstadt Kigali einen entsprechenden Vertrag. Zuvor hatte das höchste britische Gericht die Vorgängerversion des Abkommens für rechtswidrig erklärt – wegen menschenrechtlicher Bedenken und der Gefahr, dass Asylbewerbern kein faires Verfahren garantiert sei.

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Die von Ex-Premier Boris Johnson initiierte "Ruanda-Policy" sieht vor, Migranten direkt bei ihrer Ankunft ohne richterliche Überprüfung nach Ruanda abzuschieben. Damit wird ihnen die Möglichkeit genommen, überhaupt erst Asyl in Großbritannien zu beantragen.

Das oberste britische Gericht hält dieses Vorgehen prinzipiell für zulässig. Allerdings nur unter der Voraussetzung, dass die Asylbewerber in ein sicheres Drittland gebracht werden. Als solches stufte das Gericht Ruanda ausdrücklich nicht ein. Es sah die Gefahr, dass Menschen von dort in ihre Heimat abgeschoben werden, auch wenn ihnen dort Verfolgung droht.

Sunak will "Bedenken berücksichtigen"

Der britische Premierminister Rishi Sunak hatte nach der Entscheidung des Obersten Gerichtshofs angekündigt, das Vorhaben zur Abschiebung von Migranten nach Ruanda mit einem neuen Abkommen zu retten. Dieses werde die im Urteil genannten "Bedenken berücksichtigen".

Die ruandische Regierung gab an, dass beide Länder ein gemeinsames Gericht aus ruandischen und britischen Richtern in Kigali einrichten würden. Damit solle sichergestellt werden, dass keine der nach Ruanda gebrachten Immigranten in ihre Heimat abgeschoben werden. Weitere Details zu dem neuen Abkommen blieben zunächst offen.

Die Zweifel, ob sich die britische Regierung mit dem Abkommen im legalen Bereich bewegt, sind weiter groß. Die Zeitung "Independent" hält es für "höchst unwahrscheinlich", dass der Oberste Gerichtshof durch die Anpassungen überzeugt werde.

Verstoß gegen europäische Menschenrechtskonvention?

Die rechtliche Unsicherheit in Großbritannien ist nicht das einzige Problem des Abkommens. Auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg könnte der britischen Regierung Probleme machen.

Der Gerichtshof ist Teil des Europarats, der unabhängig von der EU existiert und zum Beispiel Großbritannien und die Schweiz mit einschließt. Der Gerichtshof urteilt aufgrund der Europäischen Menschenrechtskonvention.

Die Erlanger Professorin für Migrationsrecht Anuscheh Farahat hält es laut "SZ" nur für eine Frage der Zeit, bis der Gerichtshof eingreift. Beobachter sorgen sich deshalb, dass Sunak die Europäische Menschenrechtskonvention verlassen könnte, um juristischen Widerstand aus Straßburg zu vermeiden. Damit wäre Sunak in unangenehmer Gesellschaft. Das letzte Land, das aus der Konvention austrat, war im Jahr 2021 Russland.

Menschenrechtsverstöße in Ruanda

Die Konvention verbietet Folter (Artikel 3) und das unrechtmäßige Einsperren von Personen (Artikel 5). Sie gilt für alle Menschen "ohne Diskriminierung der nationalen oder sozialen Herkunft" (Artikel 14).

Ruanda, das autoritär regiert wird, kann die Einhaltung dieser Konvention bislang nicht garantieren. Human Rights Watch berichtet, dass inhaftierte Homosexuelle oder Transmenschen in Ruanda geschlagen und misshandelt wurden. Flüchtlinge aus Eritrea berichten, ihnen seien nach der Ankunft in Ruanda die Pässe abgenommen und sie seien eingesperrt worden.

Nach Außen pflegt Ruanda jedoch das Image eines Vorzeigestaates in Afrika. Es hat auch einige Erfolge vorzuweisen. So geht zum Beispiel die Korruption in dem Land zurück. Auch die Gleichstellung der Frau ist vorbildlich. Ruanda war das erste Land der Welt, das eine weibliche Mehrheit im Parlament hatte. Dieser Umstand verschleiert die Tatsache, dass die Opposition in Ruanda unterdrückt wird.

Wird das Abkommen noch vor der Wahl umgesetzt?

Die konservative Regierung sieht in Ruanda jedenfalls den richtigen Partner: "Wir sind klar darin, dass Ruanda ein sicheres Land ist und dass wir daran arbeiten, diese Partnerschaft voranzutreiben, um die Boote zu stoppen und Leben zu retten", sagte der britische Innenminister Cleverly vor der Unterzeichnung der Vereinbarung mit Ruanda.

Ob durch das Abkommen langfristig tatsächlich weniger Flüchtlinge über den Ärmelkanal nach Großbritannien übersetzen würden, ist allerdings völlig unklar. Genauso unklar ist, ob Sunaks Partei das Abkommen noch vor der Parlamentswahl im kommenden Jahr umsetzen kann.

Die Regierung betont, sie wolle die ersten Asylsuchenden noch vor der Wahl ausfliegen. Damit möchte sie den Turnaround im Wahlkampf schaffen. In Umfragen liegen die konservativen Tories weit hinter der Oppositionspartei Labour zurück, die Stand jetzt die nächste Regierung stellen dürfte und dem Abkommen kritisch gegenüber steht.

Verwendete Quellen

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