Rund 90.000 Menschen haben 2015 in Österreich Asyl beantragt. Experten erklären im Interview, wie Integration gelingen kann, wo ihre Hürden liegen - und welche Gefahren drohen, wenn sie scheitert.
Wer schnell die Sprache der neuen Heimat lernt und Arbeit findet, dessen Chancen stehen nicht schlecht: Ihm sind die ersten Schritte geglückt, in Österreich anzukommen. "Strukturell betrachtet sind diese beiden Aspekte tatsächlich das Wichtigste", erläutert Heinz Faßmann. Er ist Vorsitzender des Unabhängigen Expertenrats für Integration, der das Außenministerium berät. "Am Arbeitsplatz findet zwangsweise ein Interagieren statt. Das ist wichtig – und zwar für beide Seiten der Einwanderungsgesellschaft."
Hier liegen aber schon die ersten Hürden: "Asylsuchende haben nicht zwingend das Recht auf einen Sprachkurs, solange ihr Verfahren läuft", bedauert Christoph Riedl, Geschäftsführer des "Diakonie Flüchtlingsdienstes". Und laut Ausländerbeschäftigungsgesetz dürften sie zwar theoretisch nach drei Monaten arbeiten, aber eben nur in gewissen Bereichen, etwa als Erntehelfer oder als Saisonarbeiter.
Uneingeschränkten Zugang zum Arbeitsmarkt bekommen Asylbewerber erst, wenn ihr Gesuch anerkannt ist. Der Faktor Zeit spielt aber auch laut der Wiener Politikwissenschaftlerin Sieglinde Rosenberger eine wesentliche Rolle: "Die Asylverfahren dauern derzeit ziemlich lang." Je mehr Zeit verstreiche, desto schwieriger gestalte sich Integration.
Arbeitsmarkt Asylsuchenden öffnen?
Debatten um eine frühere Öffnung des Arbeitsmarkts hält Faßmann allerdings für eine "Scheindiskussion": "Die Menschen müssen ohnehin zunächst die Sprache lernen, viele von ihnen müssen sich außerdem erst einmal für einen Berufsbereich qualifizieren", betont er - und warnt: Der frühere Zugang zur Arbeit wäre ein "falsches Signal" an diejenigen, die wenige Chancen haben zu bleiben.
Riedl von der Diakonie sieht das anders: "Integration muss vom ersten Tag an beginnen, für alle." Die Sorge, Geld zu investieren in Menschen, die das Land dann wieder verlassen müssen, lasse er als Argument nicht gelten.
"Wir haben kein flächendeckendes Konzept, wie Integration funktionieren soll", kritisiert Riedl. "Egal wo in Österreich ein anerkannter Flüchtling unterkommt: Er sollte vergleichbare Integrationsleistungen bekommen. Von diesem Zustand sind wir meilenweit entfernt."
Viele setzten Integrationsleistung gleich mit Sprachkursen: "Die Menschen brauchen aber ganzheitliche Beratung: Hilfe bei der Wohnungs- und Jobsuche, Unterstützung im Alltag. Sonst haben sie keine Chance, hier anzukommen."
Werte-Kurse "sinnvoll"
Neben Sprachkursen hält Faßmann auch Werte-Kurse über den kulturellen Hintergrund des neuen Heimatlandes für "hilfreich und sinnvoll". Dabei gehe es ja nicht um Wiener Schnitzel oder Lederhosen, "sondern um die grundsätzlichen Werte des demokratischen, liberalen Rechtsstaates."
Dass Integration keine Einbahnstraße ist, darüber sind sich die Experten einig: "Initiativen von Ehrenamtlichen sind ein wesentliches Bindeglied zwischen Flüchtlingen und der Aufnahmegesellschaft", findet Rosenberger. Davon gebe es bereits viele, auch in den ländlichen Bereichen: Zu wenig sei aber für finanzielle Mittel, Räume und Fortbildungen für diese Initiativen gesorgt.
Risiken einer misslungen Integration
Was verändert sich durch gelungene Integration? "Die Menschen werden offener", glaubt Rosenberger. "Sie engagieren sich, setzen sich für etwas gemeinsam ein – und werden politischer." Mit dem rechtspopulistischen Diskurs, der sich gerade entwickele, lege man jedoch den Grundstein dafür, "dass Integration nur erschwert gelingen kann".
Faßmann sieht ein Risiko, das misslungene Integration birgt: "Wenn anerkannte Flüchtlinge keine Arbeit finden, werden sie von Sozialtransfers leben." Eine sozialpolitische Verteilungsdiskussion sei dann unvermeidbar - mit dem Vorwurf: "Wir zahlen ein, ihr nehmt über Gebühr raus, obwohl ihr nichts dafür geleistet habt."
Er schlägt vor, die Unterstützung von Flüchtlingen auch als "umgekehrte Investition" zu betrachten. Er denkt dabei gerade an die jungen, lernbereiten unter ihnen: "Wir investieren jetzt in ihre Aus- und Weiterbildung – später werden sie das zurückgeben."
Auch Riedl sieht in den Potenzialen der Flüchtlinge eine Chance für die Aufnahmeländer, Defizite im eigenen Wirtschaftssystem zu kompensieren. Die europäischen Staaten hätten keine andere Wahl, als gemeinsam an der Integration mitzuarbeiten: "Wenn sie nicht funktioniert, dann zerbricht Europa, so wie wir es kennen."
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