Krisen in und um Europa, machtpolitische Verschiebungen auf der Weltkarte, Kriege, islamistischer Terror – Die Handlungsfelder internationaler Sicherheitspolitik haben sich massiv verändert. Geheimdienst-Chef Bruno Kahl hat nun in ungewöhnlich deutlichen Worten vor der Gefahr aus dem Osten und Süden gewarnt.
Die Zukunft der internationalen Ordnung ist eine der zentralen Fragen seit Ende des Kalten Krieges. Machtpolitische Verschiebungen, Terrorismus, die Flüchtlingskrise, der Brexit, ein "US-Präsident der einem den Atem anhalten lässt", Raketentests in Nordkorea veranschaulichen die Komplexität des Themas Sicherheit.
So skizziert der Chef des Bundesnachrichtendienstes (BND) Bruno Kahl auf einer Veranstaltung in München die aktuelle Lage. Vor etwa 300 Zuhörern der CSU-nahen Hanns-Seidel-Stiftung warnt er vor allem vor Russland und China. Das ist umso bemerkenswerter, als dass sicherheitspolitische Warnungen in dieser Deutlichkeit seitens des BND eher selten sind.
Ein großes Problem sieht Kahl zudem im wachsenden Migrationsdruck auf Europa. Die Gefahren, vor denen der BND warnt, im Überblick:
Russlands machtpolitische Ambitionen
Bruno Kahl beobachtet die machtpolitischen Ambitionen Russlands sehr genau. Diese werden dem BND-Chef zufolge weiter zunehmen.Vor allem in Osteuropa sei dies auffällig. Dort habe Russland seine Einflusssphäre deutlich gemacht.
Die Truppe sei modernisiert worden, der Umfang der russischen Streitkräfte habe einen neuen Höchststand erreicht. "Die Manöver sind in ihrer Intensität und Komplexität gesteigert worden", sagt Kahl.
Zwar sei man noch dabei, die letzte Militärübung "Sapat" auszuwerten. Aber das Sommermanöver in Russland und Weißrussland habe bereits eine erstaunliche Modernisierung sowohl hinsichtlich der Ausrüstung als auch der Führungsriege demonstriert.
Russland versuche seinen Führungsanspruch auf dem europäischen Kontinent zurückzubekommen. Dazu werde es versuchen, einen Keil zwischen Europa und die USA zu treiben, warnt Kahl.
"Um es ganz deutlich zu sagen: Statt einem Partner für die europäische Sicherheit haben wir in Russland eine potentielle Gefahr."
Auch die Einflussnahme Russlands in anderen Regionen betrachtet der BND-Chef mit Sorge. "Putin hat den Aktionsradius der russischen Sicherheitspolitik erweitert", erklärt Kahl. Durch seine Intervention im Syrienkonflikt und durch Projektionen nach Libyen hat er sich weltpolitisch zurückmeldet. "Russland wird eine unbequeme Macht bleiben."
Gerade deswegen sei es wichtig, "enge Bande zu Russland zu knüpfen – gesellschaftlich, politisch, wirtschaftlich", mahnt der Chef des BND.
Sprachkanäle müssten offenbleiben. Russland habe ein großes Interesse, eine große Sympathie für Deutschland und "die darf man nicht komplett zurückweisen".
China als neuer Handlungsakteur
Bedenken hat der BND-Chef auch bezüglich China. Er verweist auf die militärische Aufrüstung und Reichweite des Landes und nennt die 2017 neu eröffnete Militärbasis Dschibuti am Horn von Afrika als Beispiel. Und Chinas Ambitionen würden nicht am Horn von Afrika enden.
Erst Ende Juli dieses Jahres ließ ein gemeinsames Militärmanöver mit Russland in der Ostsee aufhorchen. "Das ist ja nicht unbedingt sehr nah an China", so Kahl. Diese militärische Ausdehnung sei bedenklich.
China trete heute auf dem sicherheitspolitischen Parkett viel offensiver auf als noch vor ein paar Jahren.
Chinas militärische Ambitionen seien vor allem auf das enorme Wirtschaftswachstum zurückzuführen. Länder die stärkere wirtschaftliche Gewinne machten als andere Länder, würden auch in die Lage versetzt, militärisch stärker zu werden.
"Die Zeit der Bescheidenheit ist offensichtlich vorbei. Die Zeit der Rücksichtnahme ist vorbei. China beansprucht den Rang einer außenpolitischen Großmacht."
Gleichwohl sei nicht abzusehen, wie lange der Aufstieg Chinas anhalte. Das Land stehe Kahl zufolge vor großen Problemen: Die politische Nachfolge ist nicht geregelt; die Umweltverschmutzung kostet Millionen Menschen das Leben; das Heer der Wanderarbeiter stellt eine große Herausforderung dar; es herrschen teils schlechte Arbeitsbedingungen.
Demographischer Wandel und Migration
Als problematisch erachtet der BND-Chef auch den demographischen Wandel – und den sich daraus ergebenden Migrationsdruck auf Europa. Zu erwarten sei, dass bis 2030 die Zahl der Weltbevölkerung auf 8,5 Milliarden Menschen ansteige. Allein Afrika wachse um jährlich mehr als 30 Millionen Menschen.
"Selbst wenn es gelingen sollte, die wirtschaftliche Lage einzelner afrikanischer Staaten zu verbessern, wird dies vermutlich zunächst zu mehr und nicht zu weniger Migration führen. Denn dann werden viele Personen das erste Mal (…) überhaupt erst die Möglichkeit haben, die Reise nach Europa zu finanzieren." Es sei nicht so, dass die Ärmsten Afrikas nach Europa kämen, sondern die aus geringfügig wohlhabenderen Ländern. Weit eine Milliarde Menschen werden Kahl zufolge einen rationalen Grund (Hunger, Krieg, Vertreibung, Umweltprobleme) haben, sich auf den Weg zu machen.
Der Migrationsdruck auf Europa werde daher zunehmen. Es sei fraglich, ob die europäischen Länder es schaffen, Steuerungspotentiale aufrecht zu erhalten.
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