Bundespräsident Van der Bellen hat Herbert Kickl (FPÖ) mit der Regierungsbildung beauftragt. Trotz lautstarker Proteste vor der Hofburg verwies Van der Bellen auf den Respekt vor dem Wählervotum und die geänderte Gesprächsbereitschaft der ÖVP.
Bundespräsident
Van der Bellen verwies auf die geänderte Situation dadurch, dass die ÖVP nun doch bereit sei, mit der FPÖ auch unter Kickl über eine Koalition zu verhandeln. "Herr Kickl traut sich zu, im Rahmen von Regierungsverhandlungen tragfähige Lösungen zu finden", so der Bundespräsident in seinem kurzen Statement, "und er will diese Verantwortung".
Arbeitsfähige Regierung als Ziel
Es gehe um eine arbeitsfähige Bundesregierung, mit einer "robusten Mehrheit" mit verlässlich mehr als 50 Prozent der Mandate im Nationalrat dahinter. Van der Bellen rekapitulierte die Regierungsbildungsversuche zuvor: die Ablehnung von SPÖ und ÖVP, mit der Wahlsiegerin FPÖ zusammenzuarbeiten, die gescheiterten Regierungsverhandlungen unter dem inzwischen zurückgetretenen ÖVP-Chef Karl Nehammer und schließlich den gestrigen Meinungsschwenk der ÖVP, was das Verhältnis zur FPÖ betrifft. Explizit nannte Van der Bellen hier die Aussage des designierten neuen ÖVP-Obmanns Christian Stocker vom Sonntag.
Mit Kickl habe er nun verschiedene Inhalte und Optionen angesprochen und diskutiert, auch angesichts der schwierigen wirtschaftlichen Lage und des Zwangs zu auch unpopulären Maßnahmen zur Budgetsanierung. Auch die geopolitische Lage, speziell den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine sei diskutiert worden.
"Ich habe mir diesen Schritt nicht leicht gemacht", schloss Van der Bellen. Er werde weiter darauf achten, dass die Prinzipien und Regeln der Republik korrekt eingehalten würden.
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SPÖ-Chef
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Für NEOS Regierungsauftrag an Kickl "unausweichlich"
Als "unausweichlich" hat NEOS-Generalsekretär Douglas Hoyos den Regierungsbildungsauftrag des Bundespräsidenten an FPÖ-Chef Kickl "nach der Kehrtwende der ÖVP" bezeichnet, "wenn man nicht direkt in Neuwahlen gehen will". Hoyos gab sich gespannt, ob Kickl nun selbst Lösungen "zu den vielen von ihm und seiner Partei stets scharf kritisierten Zuständen" zuwegebringen werde. Neben einem klaren Reformwillen, einer Konsolidierung des Budgets, inklusive Kampf gegen die Rezession und einer Aufholjagd in der Bildung erwarten sich die Pinken unter anderem ein "klares Bekenntnis zu Österreichs aktiver Rolle in der EU, internationalen Verträgen wie den Menschenrechten".
Grüne beklagen "Wählertäuschung" durch ÖVP
Grünen-Generalsekretärin Olga Voglauer beklagte auf X die "Wählertäuschung der ÖVP". Diese habe ihre "Geschichte als Europa-Partei und christlich-soziale Kraft dem puren Machterhalt" geopfert. Kickl bezeichnete Voglauer mit dessen Ablehnung von Skyshield und dessen Annäherung an das "mörderische Putin-Regime" als "Gefahr für Österreich", so Voglauer: "Unsere Demokratie ist standhaft und wehrhaft, wenn wir wachsam bleiben. Wir Grüne werden unseren Beitrag dazu leisten."
Auschwitz Komitee kritisiert Regierungsbildungsauftrag an Kickl
Einen "weiteren düsteren Höhepunkt auf dem Weg in das europäische Vergessen" ortet das Internationale Auschwitz Komitee im Regierungsbildungsauftrag an Kickl. "Dass immer mehr Wählerinnen und Wähler ihre Stimme rechtsextremen Parteien anvertrauen und auf ideologische Rezepturen setzen, die Europa schon einmal in den Abgrund gestürzt haben", sei "schmerzlich und empörend", findet Christoph Heubner, der Exekutiv-Vizepräsident des Internationalen Auschwitz Komitees: "Die Tatsache, dass nun in Österreich mit der FPÖ eine Partei mit der Regierungsbildung beauftragt wird, die wie kaum eine andere in rechtsextreme und neonazistische Denkweisen und Aktivitäten verstrickt ist, ist für Überlebende des Holocaust besonders schwer erträglich."
Demonstranten riefen "Nazis raus"
Vor der Hofburg hatten sich während des rund einstündigen Gesprächs zwischen Kickl und Van der Bellen hunderte lautstarke Demonstranten versammelt. Sie riefen "Nazis raus", auch Buhrufe waren zu hören. Nachdem Kickl die Hofburg verlassen hatte, löste sich die Kundgebung wieder auf.
Offen war vorerst noch, wann und in welcher Form die FPÖ nun Stellung beziehen wird. Aus der Partei hieß es, dass am Dreikönigstag keine Stellungnahme geplant war. Auch eine Reaktion der ÖVP stand aus.
Zu Wort meldete sich die Freiheitliche Wirtschaft: Deren Generalsekretär Reinhard Langthaler erklärte, dass die Freiheitliche Wirtschaft bereit sei, ihre Expertise in die Verhandlungen einzubringen und notwendige Reformen für die Stärkung der österreichischen Wirtschaft mitzugestalten. Um die Wirtschaft wieder auf Kurs zu bringen, seien "klare Schritte" nötig wie die Entlastung bei Arbeits- und Energiekosten sowie ein radikaler Bürokratieabbau, hieß es in einer Aussendung.
Wallner begrüßte Entscheidung Van der Bellens
Von ÖVP-Seite meldete sich Vorarlbergs ÖVP-Landeshauptmann und Landesparteiobmann Markus Wallner zu Wort. Er begrüßte die Entscheidung des Bundespräsidenten, den Regierungsbildungsauftrag "ohne weitere zeitliche Verzögerung zu vergeben", wie er gegenüber der APA erklärte. Österreich brauche "rasch eine handlungsfähige Bundesregierung, die sich um die derzeitigen Herausforderungen kümmert", so Wallner, der seit der vergangenen Landtagswahl im "Ländle" mit der FPÖ regiert. Die Volkspartei unter dem geschäftsführenden Bundesparteiobmann Christian Stocker sei bereit, in "erste Gespräche" mit der FPÖ unter Kickl einzutreten: "Die Alternative dazu wäre eine Neuwahl, was ich derzeit angesichts der sehr angespannten Wirtschafts- und Budgetlage mit Sicherheit für den falschen Weg halte."
Manfred Haimbuchner, Landeshauptmann-Stellvertreter und Landesparteiobmann der FPÖ in Oberösterreich, hat gegenüber dem ORF-Oberösterreich am Montag bekräftigt, dass Herbert Kickl als Kanzlerkandidat der FPÖ gesetzt ist. "Herbert Kickl ist unser Spitzenkandidat gewesen, er ist unser Kanzlerkandidat. Wir werden hier sicherlich nicht über andere Personen diskutieren", sagte Haimbuchner - der selbst einen Wechsel nach Wien, etwa als Minister, ausschloss. (APA/bearbeitet von ali)
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