Bepöbelt, terrorisiert, ermordet – die Situation für Journalisten hat sich weltweit verschlechtert – auch in Europa. Im Interview erzählt der Investigativ-Journalist Bastian Obermayer wie es ist, zu heiklen Themen wie den Panama Papers zu recherchieren und wie die "Verbotenen Geschichten" ermordeter Kollegen wie Daphne Galizia zum Selbstschutz fortgeführt werden.
Die Tendenz ist erschreckend: Der Organisation Reporter ohne Grenzen (ROG) zufolge haben sich 2017 die Möglichkeiten für freie Berichterstattung gerade in Europa erkennbar verschlechtert – vor allem in Malta und der Slowakei.
So wurde am 16. Oktober 2017 die maltesische Journalistin Daphne Galizia ermordet. Die 53-Jährige wurde durch die Explosion einer ferngezündeten Bombe unter ihrem Auto getötet. Galizia galt als unbeirrbare Reporterin gegen Misswirtschaft und Korruption.
In der Slowakei fiel am 21. Februar 2018 der Investigativ-Journalist Ján Kuciak einem Verbrechen zum Opfer. Er und seine Verlobte Martina Kusnírová wurden hingerichtet: Kuciak wurde den Ermittlern zufolge mit zwei Schüssen ins Herz getötet, Kusnírová mit einem Schuss in den Kopf.
Andere slowakische Investigativ-Journalisten werden seit Jahren vermisst: Pavol Rýpal seit April 2008 und Miroslav Pejko seit März 2015.
Offenbar glauben die Hintermänner, so kritische Stimmen zum Schweigen zu bringen. Dagegen werden jetzt Maßnahmen getroffen.
Ein Konsortium aus 45 Reportern aus 18 Medienorganisationen hat sich zur Aufgabe gemacht, die Arbeit getöteter Journalisten fortzuführen. Nicht nur das: Möglicherweise kann es helfen, das Schlimmsten zu vermeiden. Das Projekt nennt sich Forbidden Stories.
Wir haben mit Bastian Obermayer von der "Süddeutschen Zeitung" über seine heikle Arbeit als Investigativ-Journalist gesprochen. Ein Gespräch über die Feinde der Pressefreiheit und unabhängige Berichterstattung.
Herr Obermayer, Sie gehören zu einem Konsortium, das die Arbeit der ermordeten Journalistin Daphne Galizia fortführt. War für Sie nach dem Mordanschlag sofort klar, sich an den Recherchen zu beteiligen?
Bastian Obermayer: Das war tatsächlich sofort klar. Ein Jahr davor hatte ich den Journalisten Laurent Richard kennengelernt. Seine Idee war es, die Recherchen von inhaftierten und getöteten Journalisten in einem gemeinnützigen Projekt fortzuführen. Laurent konnte das Omidyar Network als Geldgeber gewinnen. Und so haben wir im September 2017 die Forbidden Stories gestartet – kurz bevor Daphne ermordet wurde.
Daphne Galizia war das erste wichtige Projekt für Forbidden Stories?
Genau, als Daphne ermordet wurde, habe ich sofort ihrem Sohn Matthew geschrieben und gesagt, wie leid mir das tut. Ich kenne ihn seit vielen Jahren. Wir haben bei den ICIJ-Leak-Recherchen zusammengearbeitet und sind befreundet. (Anm. d. Red.: Das ICIJ ist das Internationale Netzwerk investigativer Journalisten). Ich habe ihm Hilfe angeboten, und er wollte nur eine Sache: Dass wir darüber berichten. Noch am selben Tag habe ich mit Laurent gesprochen und wir waren uns einig: Das ist jetzt der Ernstfall. Durch meine Arbeit an den Panama Papers kenne ich Journalisten internationaler Medien wie etwa vom "The Guardian", der "New York Times" und "Le Monde", sodass wir schnell anfragen konnten, ob dort Interesse an einer Zusammenarbeit besteht. Wir haben auch über das ICIJ unser Vorhaben angekündigt. Bis Mitte November stand schließlich die erste Truppe. Einige sind dann sofort nach Malta geflogen und haben erste Dokumente gesichtet.
Es handelt sich um etwa 750.000 Dokumente. Woher stammen die und wie behalten Sie den Überblick?
Wir haben Material aus verschiedenen Quellen erhalten, von Daphne Caruanas Familie und Material von Dritten. Außerdem haben wir ungesehene Dokumente aus den Panama Papers ausgewertet.
Wie verlässlich sind die Daten? Und wie stellen Sie sicher, ob die Quellen vertrauenswürdig sind?
Das kommt darauf an, wer uns etwas zuspielt. Wenn es eine offizielle Quelle ist, ist die Wahrscheinlichkeit, dass das Material gefälscht ist, sehr gering. Wenn wir den Absender nicht kennen, können wir uns zunächst nur auf die Dokumente verlassen. Dann folgen etliche Vorchecks. Im Fall der Panama Papers haben wir die Dokumente mit Firmenregistern verglichen. Wir haben Gerichtsdokumente angesehen, deren Authentizität schon bestätigt war. Und wir konnten auf öffentliche Datenbanken zugreifen. Danach haben wir die betroffenen Firmen und Personen mit unseren Erkenntnissen konfrontiert. So hatten sie vor der Veröffentlichung genügend Zeit, auf die Vorwürfe zu reagieren. Sie haben es sogar zugegeben – mit einem Aber. Sogar Wladimir Putin hat gesagt, dass die Dokumente authentisch sind. Das schließt allerdings nicht aus, dass nicht auch ein paar Fälschungen dabei sind.
Das klingt nach Detektiv- beziehungsweise Polizeiarbeit …
Manchmal arbeiten wir ähnlich, weil wir Missstände aufdecken wollen. Aber wir sind nicht wie die Polizei, weil wir keine Büros durchsuchen oder jemanden festnehmen können.
Forbidden Stories ist eine Kampfansage an die Korruption und das Organisierte Verbrechen. Wie groß ist Ihre Sorge, ebenfalls bedroht zu werden?
Wir haben bei der "Süddeutschen Zeitung" weder das Gefühl, dass wir in Gefahr sind, noch wurden wir bisher bedroht. Dennoch ist uns bewusst, dass es ein gewisses Restrisiko gibt. Deswegen machen wir vor Dienstreisen immer eine Art Risikoanalyse.
Wie sehr hat sich das Klima in Europa geändert?
Noch vor zwei Jahren dachten wir, dass Investigativ-Journalisten in der EU keine Angst haben müssen – außer vielleicht vor unangenehmen Anwälten. Doch seit den Morden an Daphne Galizia und Ján Kuciak und seiner Freundin haben wir schon ein mulmiges Gefühl. Beide hatten an den Panama Papers gearbeitet. Und die aktuellen Entwicklungen bereiten uns große Sorge. Vor allem, weil wir sehen, dass immer mehr Journalistinnen und Journalisten verunglimpft werden. In vielen Ländern ist es nicht mehr aufsehenerregend, wenn Journalisten als "dreckige Prostituierte" oder "Schlangen" bezeichnet werden, so wie es der ehemalige slowakische Regierungschef Robert Fico getan hat. Oder Donald Trump, der Journalisten als "Feinde des Volkes" bezeichnet. Die Art, wie heute über Journalisten gesprochen wird, bereitet den Boden für Übergriffe.
Gibt es Fälle, von denen Sie wissen, dass jemand konkret bedroht wird?
Wir arbeiten seit Jahren mit Kollegen aus Venezuela, Ecuador, Afrika, arabischen Ländern und dem osteuropäischen Raum zusammen, die bedroht werden. Für die ist es fast schon Normalität. Insofern haben wir in Europa bisher in einem geschützten Raum gelebt, in dem man sich frei bewegen konnte ohne Angst. Wir wollen, dass das so bleibt und wir wollen mit Forbidden Stories ein Zeichen setzen. Jedem muss klar sein, dass die Recherchen noch größere Aufmerksamkeit erhalten, wenn versucht wird, Journalisten bei ihrer Arbeit zu stoppen. Im Fall Daphne führen wir ihre Recherchen fort und veröffentlichen die Ergebnisse nicht nur auf ihrem Blog, sondern weltweit in den großen Medien.
Das heißt, Forbidden Stories kann auch eine Art Schutz für Investigativ-Journalisten sein?
Für Journalisten kann das eine Art Fallschirm sein. Sie können ihre Dateien via verschlüsselter Kommunikation in einem anonymen, sicheren Briefkasten deponieren. Ohne Zustimmung wird nichts publik. Sie können auch Anweisungen hinterlassen, wann und wie ihre Recherchen fortgesetzt werden sollen – etwa für den Fall, dass ihnen etwas zustoßen sollte. Die Journalisten haben dann die Möglichkeit, via Facebook und Twitter anzugeben, dass sie bei Forbidden Stories sind. Wenn sich nun jemand überlegt, ob er den Journalisten ausschalten will, muss er damit rechnen, dass diese Geschichte in noch größerem Umfang publik wird. Die Idee ist also, dass Forbidden Stories auch eine gedankliche Hürde für mögliche Aggressoren darstellt.
Sind Sie auch Angriffsziel von Hackern? Wie schützen Sie Ihre Daten?
Wir sind definitiv Angriffsziel und arbeiten daher eng mit unserer IT zusammen. Besonders seit den Panama Papers erleben wir Attacken im digitalen Bereich. Deshalb schützen wir unsere Daten, indem wir sie getrennt vom Netz in einem separaten Raum aufbewahren, auf den nur wir Zugriff haben. Zudem kommunizieren wir nur verschlüsselt – am Telefon und per E-Mail.
Sie decken Korruption, Ungerechtigkeiten, kriminelle Machenschaften auf. Wenn Sie einer großen Sache auf der Spur sind, wie gehen Sie persönlich damit um?
Einiges, das wir aufdecken, ist tatsächlich wenig überraschend – etwa, dass Superreiche Briefkastenfirmen nutzen, um Steuern zu hinterziehen. Wenn einem allerdings das ganze Ausmaß bewusst wird, kann das auch wütend machen. Nur muss man dieses Gefühl kanalisieren – zum Beispiel in Recherche-Eifer. Das hilft auch, eine Extrameile zu gehen. Aber Wut ist ein schlechter Ratgeber, weil sie zu falschen Entscheidungen führen und das ganze Projekt in Gefahr bringen kann. Wer keinen klaren Kopf behalten kann, muss aussteigen. Wir sind allerdings alle Profis genug, ergebnisoffen an Stories heranzugehen.
Recherchen ziehen auch Konsequenzen nach sich. Die Absetzung des pakistanischen Ministerpräsidenten Nawaz Sharif als Folge Ihrer Panama-Berichterstattung ist so ein Beispiel. Ist das eine Art Genugtuung für Sie?
Natürlich ist der Impact wichtig für den Investigativen Journalismus. Das sieht man an Pakistan und an Island, wo die Premiers aus dem Amt gejagt wurden. Und vergangene Woche hat Großbritannien entschieden, Steueroasen transparent zu machen, ab 2020 kann jeder einsehen, wem welche Briefkastenfirma gehört. Oder diese Folge: Alleine in Deutschland wurden durch die Panama Papers 140 Millionen Euro von staatlichen Behörden zurückgeholt, über nachgezahlte Steuern oder Strafen. Darüber müssen wir Buch führen, weil uns Journalisten oft vorgehalten wird, dass wir quasi nutzlos sind und unserer Arbeit folgenlos bleibt. Es gibt aber auch Geschichten, die ohne Konsequenz bleiben, weil die Machthaber sehr sicher im Sattel sitzen.
Inwiefern ist Wissen in Ihrem Job Macht?
Natürlich ist Wissen Macht. Exklusives Wissen ist manchmal unangenehm, gerade wenn einem bewusst ist, dass es möglicherweise gefährlich ist. Außerdem baut sich kurz vor der Veröffentlichung immer Spannung auf, weil man nie weiß, was dann passiert. Eine Geschichte kann auch durchfallen, weil andere Medien sie für weniger wichtig halten, als man selbst. Sie kann auch aufgrund der Nachrichtenlage einfach untergehen.
Wie ist die Resonanz der Leser auf Ihre Arbeit?
Es gibt beliebte und weniger beliebte Geschichten. Die Leser interessieren sich beispielsweise mehr für den ADAC-Skandal als für die Snowden-Leaks. Je besser aber die Themen aufbereitet sind, umso mehr interessieren sich die Leute dafür. Die Panama Papers etwa haben ein immenses Interesse hervorgerufen. Wir hatten Millionen Leser auf unseren Seiten.
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