Durch die enormen Flüchtlingsströme sind Deutschland und Österreich ein Stück weit zusammengerückt - sie eint die Absicht, Asylsuchende aufzunehmen. Und dennoch gehen beide Länder unterschiedlich mit dieser großen Herausforderungen um.
Wie viele Flüchtlinge derzeit in Österreich leben, ist schwer festzumachen. Ohnehin müssten die Zahlen ständig, täglich, ja geradezu stündlich aktualisiert werden. Fest steht aber, dass sich die Anzahl der Asylanträge in Österreich laut einer Statistik des Bundesministeriums für Inneres in den vergangenen Monaten mehr als verdreifacht hat: von 11.265 Anträgen im gesamten Jahr 2014 auf - schon jetzt - 37.046 Anträge bis einschließlich Juli.
In Deutschland ist die Situation ähnlich: "Wir können die derzeitigen Zahlen nur schätzen", sagt Maximilian Pichl, von der Menschenrechtsorganisation Pro Asyl in Frankfurt. Aber er gibt einen Eindruck davon, dass hier deutlich mehr Flüchtlinge als in Österreich leben - im vergangenen Jahr seien allein rund 200.000 Anträge auf Asyl gestellt worden. Laut dem Statistischen Amt der Europäischen Union hatten im ersten Quartal dieses Jahres 9.705 Menschen in Österreich um Asyl gebeten - im selben Zeitraum waren es in Deutschland 73.120.
Traiskirchen ist einzige relevante Erstaufnahmestelle
"Angesichts solcher Zahlen geht Deutschland eindrucksvoll unaufgeregt mit den enormen Flüchtlingsströmen um", findet Christoph Riedl, Geschäftsführer der Diakonie Flüchtlingshilfe in Österreich. In seinem Land blieben hingegen viele Probleme durch "parteipolitisches Gezänk" ungelöst. Eine große Herausforderung ist etwa die Verteilung der Asylsuchenden im Land: In Österreich gibt es nur eine einzige relevante Erstaufnahmestelle. In Traiskirchen seien derzeit schätzungsweise 3.500 Menschen untergebracht - ausgerichtet war sie eigentlich auf 1.800. "Die Flüchtlinge warten hier bis zu einem Jahr darauf, in eine andere Einrichtung weiterverteilt zu werden", erklärt Riedl. Bis dahin leben viele in einem zermürbenden Wartezustand unter schwierigen Bedingungen
Die Enge sei enorm, die Unterbringung improvisiert. Eine Arbeit zu finden, wäre zwar nach drei Monaten offiziell erlaubt, aber durch das schwebende Verfahren schwer, nicht immer gehen die Kinder in dieser Zeit zur Schule.
Verteilung in Deutschland bemisst sich nach Wirtschaftsleistung
In Deutschland hingegen ist der Zeitraum in Erstaufnahmestellen, die anders als in Österreich dezentral geregelt sind, auf maximal drei Monate begrenzt. Danach werden sie nach dem sogenannten Königsteiner Schlüssel an andere Orte verteilt. Wie viele Flüchtlinge die jeweiligen Bundesländer aufnehmen müssen, bemisst sich nach der Wirtschaftsleistung und Bevölkerungsanzahl. "Daher leben in Nordrhein-Westfalen deutlich mehr Flüchtlinge als zum Beispiel in Mecklenburg-Vorpommern", erklärt Maximilian Pichl von Pro Asyl.
In Österreich hingegen wird die Verteilung nur anhand der Bevölkerungsgröße bemessen - nicht nach der Wirtschaftskraft einer Region. Zudem gebe es, so Christoph Riedl von der Diakonie, große Unterschiede, was die Aufnahmebereitschaft und -möglichkeit in den jeweiligen Bundesländern betrifft: In Wien sei die Quote traditionell "übererfüllt", im Vergleich dazu in Kärnten eher gering. Daher will Bundeskanzler Werner Faymann im Herbst auch ein sogenanntes Verfassungsgesetz durchbringen, das die Bereitstellung von Unterkünften in den Gemeinden beschleunigen soll - auch, in dem der Bund ohne Zustimmung der Länder Einrichtungen bauen darf.
Grundsätzlich gilt in beiden Ländern das sogenannte Dubliner Abkommen, dessen wichtigste Regel ist: Der Staat, in den ein Asylbewerber nachweislich zuerst eingereist ist, muss das Asylverfahren auch durchführen - was aber ist, wenn Länder die Menschen bewusst weiter schicken, so wie es zuletzt Ungarn, aber auch immer wieder Österreich vorgeworfen wird? Derzeit wird in Europa über eine Art Verteilungsschüssel debattiert.
"Deutschland hat das Dublin-Verfahren für Syrer zudem ausgesetzt", sagt Riedl - das müsse in Österreich auch geschehen, um Menschen aus Krisenländern endlich die Möglichkeit eines möglichst schnellen Neuanfangs zu geben. "Wir sind in den vergangen Tagen von der Hilfsbereitschaft der österreichischen Bevölkerung überwältigt worden", erzählt der Diakonie-Geschäftsführer, der derzeit 400 Mitarbeiter in der Flüchtlingshilfe im ganzen Land koordiniert. "In diesem Punkt sind die Menschen auf der Straße viel weiter als die in der Politik."
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