Seenotretter bringen fast täglich neue Flüchtlinge an die spanische Costa de la Luz. Die Regierung versichert, dass sie die Situation im Griff habe, doch Beobachter sprechen von einem "Kollaps". Ein Migrationsforscher bringt ein Aufnahmezentrum in Spanien ins Spiel - deutsche Politiker sprechen sich dagegen aus.
Angesichts der drastisch gestiegenen Anzahl von Flüchtlingen an der andalusischen Küste sucht die Regierung in Madrid fieberhaft nach Lösungen - sowohl auf nationaler als auch auf europäischer und afrikanischer Ebene.
Innenminister Fernando Grande-Marlaska reiste am Montag zu Gesprächen nach Mauretanien, nachdem er am Wochenende bereits die Seenotretter und die Polizei in Andalusien besucht hatte.
Der Minister betonte, die Situation an der Costa de la Luz sei bislang "unter Kontrolle". Allerdings bekam die sozialistische Regierung heftigen Gegenwind von der konservativen Opposition. Seit Freitag hatte der Seerettungsdienst erneut mehr als 1.400 Flüchtlinge auf Dutzenden Booten aufgegriffen.
Schwere Vorwürfe der konservativen Volkspartei
Der neue Chef der konservativen Volkspartei (PP), Pablo Casado, warf der Regierung vor, durch die Aufnahme der Flüchtlinge des Rettungsschiffs "Aquarius" im Juni den Ansturm auf die spanischen Küsten erst heraufbeschworen zu haben.
Madrid hatte dem von der NGO SOS Méditerranée gecharterten Schiff damals erlaubt, den Hafen von Valencia anzusteuern.
Die "Aquarius" mit 630 Flüchtlingen an Bord hatte sich zuvor auf einer tagelangen Odyssee im Mittelmeer befunden, nachdem Italiens neue populistische Regierung die Anlandung verweigert hatte.
"Die Goodwill-Politik der offenen Türen wird Spanien in eine ernste Krise stürzen", twitterte am Montag der Chef der PP in Katalonien, Xavier García Albiol.
Die Regierung wies die Vorwürfe energisch zurück und betonte, sie habe bereits konkrete Notmaßnahmen ergriffen. "Es ist keineswegs so, dass wir die Flüchtlinge zu uns rufen, sondern sie sind auf der Flucht aus ihren Ländern", sagte eine Quelle aus dem Innenministerium der Deutschen Presse-Agentur (dpa). Deshalb sei es so wichtig, mit den Herkunftsländern zusammenzuarbeiten.
Bereits in den nächsten Tagen werde im andalusischen Algeciras ein Erstaufnahmezentrum eröffnet, für das die Regierung 3,5 Millionen Euro zur Verfügung gestellt habe, hieß es.
In Chiclana de la Frontera wird Anfang August zudem eine Notunterkunft für 600 Menschen eröffnet, die andere Städte in der Region massiv entlasten soll. Es werde vom Roten Kreuz verwaltet, erklärte ein Sprecher des Ministeriums für Arbeit und Migration.
Bislang werden viele ankommende Flüchtlinge zunächst in Sportzentren der Küstenorte untergebracht. Die Eröffnung weiterer ähnlicher Unterkünfte sei wahrscheinlich, sollte der Flüchtlingszustrom weitergehen, sagte der Sprecher.
Auch auf "höchster europäischer Ebene" sowie durch Gespräche mit Ländern wie Marokko, Algerien und Mauretanien werde nach Lösungen gesucht, berichteten spanische Medien. Grande-Marlaska hatte schon am Sonntag in Andalusien betont: "Dies ist ein europäisches Problem, das europäischer Lösungen bedarf."
Migrationsforscher bringt Aufnahmezentrum in Spanien ins Spiel
Laut der Internationalen Organisation für Migration (IOM) ist Spanien das neue Hauptziel afrikanischer Migranten. Jedoch hat die Gesamtzahl von Flüchtlingen, die über das Meer nach Europa kommen, drastisch abgenommen.
Waren es laut IOM von Januar bis Juli 2017 rund 114.000 gewesen, so waren es 2018 im gleichen Zeitraum nur noch knapp 52.000.
Der Migrationsforscher Gerald Knaus brachte derweil als aktuelle Maßnahme ein Aufnahmezentrum in Spanien ins Spiel, an dem Deutschland sich beteiligen könnte. "Warum richten Deutschland, Frankreich und die Niederlande nicht gemeinsam mit Madrid ein Aufnahmezentrum in Spanien ein?", fragte Knaus in der "Welt".
Der österreichische Politikberater gilt als Vordenker des Flüchtlingspakts der EU mit der Türkei, der zum massiven Rückgang des Flüchtlingszustroms über die Ägäis und die Balkanroute beitrug.
Asylentscheidungen sollten dann ähnlich wie in den Niederlanden rasch getroffen werden. Anerkannte Flüchtlinge könnten danach auf Deutschland, Frankreich, Spanien und die Niederlande verteilt werden. Wer abgelehnt werde, müsse sofort in die Herkunftsländer zurück.
Eine Sprecherin der EU-Kommission verwies am Montag darauf, dass bereits seit dem EU-Gipfel im Juni an einem Konzept zur Einrichtung zentraler Zentren für über das Mittelmeer kommende Menschen gearbeitet werde.
Deutsche Politiker lehnen Vorschlag ab
Die Linken-Politikerin Ulla Jelpke sprach sich gegen die Idee aus. "Schutzsuchende Menschen brauchen Sicherheit und faire Asylverfahren statt einer Schnellabfertigung in katastrophalen Internierungslagern." Gleichzeitig begrüßte sie, "dass Spanien nicht die üble Blockadehaltung der Achse Berlin-Wien-Rom mitmacht und immer noch Schutzsuchende an Land lässt".
Auch bei den Grünen stößt die Idee auf wenig Gegenliebe. Ein zentrales Lager, in dem die Geflüchteten bis zum Ende des Verfahrens blieben, sei aus ihrer Sicht falsch, sagte Grünen-Chefin Annalena Baerbock der dpa.
"Stattdessen schlagen wir vor, dass innerhalb der europäischen Außengrenzen wie in Spanien eine kurze Aufnahme, Registrierung und Erstversorgung stattfindet, auf deren Grundlage verteilt wird." Asylverfahren müssten dann aber in den einzelnen Staaten laufen. Sonst könnte sich das Zentrum "zu einem Massenlager mit katastrophalen Zuständen" entwickeln.
AfD-Chef Alexander Gauland betonte: "Gemeinsame Aufnahmezentren lösen das Problem nicht, sondern verwalten lediglich den aktuellen unhaltbaren Zustand."
Die migrationspolitische Sprecherin der FDP-Fraktion im Bundestag, Lina Teuteberg, forderte "ebenso seriöse wie zügige Asylverfahren und funktionierende Abkommen für eine schnelle, zuverlässige Rücknahme abgelehnter Asylbewerber durch ihre Herkunftsländer". Ob europäische Asylzentren in Spanien und Italien dazu beitragen könnten, solle zügig mit den europäischen Partnern erörtert werden.
Die "Aquarius", die im südfranzösischen Marseille liegt, will derweil am Mittwoch wieder zu einem Einsatz vor der Küste Libyens auslaufen, wie eine Sprecherin der Hilfsorganisationen SOS Méditerranée und Ärzte ohne Grenzen sagte.
Ob das Schiff das Kommando zum Retten bekommt und Spanien im Falle einer neuen Blockadehaltung Italiens womöglich erneut aushelfen muss, ist derzeit noch unklar. (tfr/dpa)
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