Köln ist derzeit Schauplatz einer Auseinandersetzung von Drogenbanden. Mehrfach ist es bereits zu Explosionen in Wohn- und Einkaufsvierteln gekommen. Oberstaatsanwalt Ulrich Bremer erläutert, was man über die Drahtzieher weiß – und wo die Ermittler noch im Dunklen tappen.

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Köln kommt nicht zur Ruhe: In den vergangenen Wochen haben immer wieder Meldungen über Explosionen und Schüsse Schlagzeilen gemacht. Die Liste der Vorfälle ist inzwischen zweistellig. Sie reicht von einer Explosion vor einem Modegeschäft in der Kölner City und im Eingangsbereich der Wohnsiedlung "Kölnberg" über Sprengsätze in den Stadtteilen Köln-Mühlheim und Buchforst bis hin zu Schussabgaben in Nippes und Porz.

Auch zwei Geiselnahmen im Juni und Juli, die in Hürth und Rodenkirchen endeten, hielten die Stadt in Atem. Zuletzt flog in einem Café in Köln Pesch ein Brandsatz in die Luft.

Offene Rechnungen im Drogenmilieu

"Unseren Ermittlungen zufolge gehen die Taten nicht alle auf das Konto ein und derselben Gruppierung", erklärt Oberstaatsanwalt Ulrich Bremer von der Kölner Staatsanwaltschaft im Gespräch mit unserer Redaktion. Der größte Komplex drehe sich um ein Cannabis-Geschäft, bei dem es offene Rechnungen gebe.

"Vor Juli 2024 sollen aus den Niederlanden rund 700 Kilogramm Cannabis an eine in Köln ansässige Bande geliefert worden sein", sagt Bremer. Die Drogen seien in einer Lagerhalle in Hürth versteckt worden, woraus bei einem Überfall 300 Kilo verschwunden sein sollen. Warenwert: rund 1,5 Millionen Euro. Dieser Vorfall hat aus Sicht der Ermittler die Serie von Explosionen ausgelöst.

"Die Drogendealer verdächtigen sich offenbar untereinander, hinter dieser Aktion zu stecken", sagt Bremer. Man versuche, das Cannabis zurückzubekommen oder Schadensersatz zu erhalten. "Es wurden Leute entführt und malträtiert. Dafür hat man sich offenbar auch Personen aus den Niederlanden als Helfer bedient."

Bezüge in die Niederlande

Denn Bezüge in die Niederlande gibt es aus Sicht der Behörden unzweifelhaft. Nicht nur, weil die 700 Kilogramm Cannabis ursprünglich aus dem Nachbarland kamen, sondern auch, weil bei den Entführungen in Hürth drei Personen mit niederländischer Staatsangehörigkeit festgenommen wurden.

"Bei der Entführung in Rodenkirchen, die zeitlich etwas später stattfand, sind sieben Personen festgenommen worden. Diese waren keine Niederländer, aber drei Personen sind vom Tatort geflohen, von denen wir annehmen, dass sie niederländische Staatsbürger sind. Denn das Fluchtauto wurde in der Nähe von Amsterdam gefunden", sagt Bremer.

Ist es die "Mocro-Mafia"?

Von der "Mocro-Mafia" will Bremer allerdings nicht sprechen. Das Slangwort "Mocro" wurde von den niederländischen Medien geprägt und steht als Abkürzung für Marokkaner. Viele Mitglieder der niederländischen Drogenbanden sollen marokkanischer Herkunft sein.

"Staatsanwaltschaft und Polizei halten den Begriff im Zusammenhang der Kölner Vorfälle für verfehlt. Er steht für ein kriminelles Netzwerk unterschiedlicher Gruppierungen in den Niederlanden, die sich vorwiegend aus marokkanisch-stämmigen Mitgliedern zusammensetzen – aber eben auch aus anderen", erläutert Bremer. Der Begriff sei daher juristisch wenig fassbar.

Bei dem größten Komplex der Ereignisse in Köln gehen die Ermittler auch nicht von einer kriminellen Vereinigung aus, die über eine Bandentätigkeit hinausgeht. "Wir haben aber derzeit keine Anhaltspunkte dafür, dass so etwas dahintersteckt. Alle Beschlüsse, die wir bislang beim Amtsgericht Köln beantragt haben, sind nicht auf das Bestehen einer kriminellen Vereinigung gestützt, sondern auf ein bandenmäßiges Begehen zum gewinnbringenden Weiterverkauf von Cannabis", erklärt Bremer.

Mehr als zehn Personen in Haft

Es handle sich bei den Akteuren nach Erkenntnis der Ermittler weder um Personen aus dem Rockermilieu noch um Clankriminalität. Es sei unklar, ob es weitere Größen der Organisierten Kriminalität in den Niederlanden im Hintergrund gebe.

Alle Erkenntnisse seien noch vorläufig und noch nicht in Abschlussentscheidungen gegossen. "Die Ermittlungen dauern erst drei Monate an, das ist für eine Ermittlung in so einem umfangreichen Komplex sehr kurz", betont Bremer.

"Wir sind nicht unerfolgreich, im Gegenteil: 13 Personen sitzen mittlerweile in Untersuchungshaft. Einige Verfahrensbeteiligte reden auch mit uns", sagt der Staatsanwalt. Die Ermittler seien weiter, als sie in der Öffentlichkeit preisgeben könnten. Es gebe dabei auch einen regen Austausch zwischen Polizei und Staatsanwaltschaft in den Niederlanden und Deutschland.

Vergangenen Freitag gelang den Ermittlern dann ein weiterer Fahndungserfolg: Am Pariser Flughafen Roissy wurde ein 22-Jähriger festgenommen, der mit internationalem Haftbefehl gesucht wird. Er gilt als "Schlüsselfigur" in dem Drogenkrieg.

Mordversuche im Rockermilieu

"Parallel zu diesen Vorgängen erleben wir Taten, die ganz anders begangen werden, nämlich durch Schussabgaben auf Wohnungen. Geschehen ist das beispielsweise in Hürth und in Köln", sagt Bremer. Die Taten seien zum Teil als versuchter Mord gewertet worden. "Diese Taten ordnen wir eher dem Rockermilieu zu, wissen aber noch nicht, worum es im Kern geht", sagt der Staatsanwalt.

Hinzukämen zwei weitere Sprengstoff-Explosionen in der Innenstadt, einmal vor einer Diskothek am Hohenzollernring und einmal in der Ehrenstraße in Köln – mitten im Einkaufsviertel. "Diese können wir den beiden genannten Komplexen nicht zuordnen. Eine Explosion in einem Café in Köln-Pesch wiederum hatte möglicherweise familiäre Streitigkeiten zum Hintergrund", sagt Bremer.

Dass sich so viele Taten parallel ereigneten, lasse Köln nicht zur Ruhe kommen. "Den Bürgern ist vermutlich egal, warum irgendwo etwas in die Luft fliegt. Es gibt eine Unruhe in der Stadtbevölkerung, auch, wenn unterschiedliche Gruppierungen dahinterstecken", sagt er. Niemand könne deshalb prognostizieren, ob es weitere Explosionen geben werde. Bremer: "Die Polizei zeigt jedoch verstärkte Präsenz in der Stadt."

Über den Gesprächspartner

  • Ulrich Bremer ist Oberstaatsanwalt und Leiter der Abteilung für Presseauskünfte und Medienanfragen bei der Staatsanwaltschaft Köln.

Verwendete Quellen

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