Die USA wenden sich unter Trump vom transatlantischen Bündnis ab und Moskau zu. Dabei zeigen Umfragen, dass die Mehrheit der Amerikaner Russland als Feind betrachtet. Wo stehen die USA und was folgt daraus für Europa?

Eine Analyse
Dieser Text enthält eine Einordnung aktueller Ereignisse, in die neben Daten und Fakten auch die Einschätzungen von Marie Illner sowie ggf. von Expertinnen oder Experten einfließen. Informieren Sie sich über die verschiedenen journalistischen Textarten.

Eine UN-Resolution, die Russland nicht als Aggressor nennt. Ein Eklat im Weißen Haus, nachdem Geheimdienstinformationen ausgesetzten und Militärhilfen an die Ukraine eingestellt werden. Waffenstillstandsverhandlungen mit Putin, bei denen fast ausschließlich von Seiten der Ukraine Zugeständnisse gefordert werden. Und Keith Kellog, Sondergesandter für die Ukraine und Russland, der die Ukraine als "Maultier" bezeichnet, dem man mit dem Kantholz auf die Nase hauen müsse.

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Das sind nur einige Beispiele, die zeigen: Das transatlantische Verhältnis ist nicht mehr das, was es einst war. Amerika als großer Bruder, der einen Schutzschirm spannt, unter dem sich die EU verstecken kann – das ist vorbei. Stattdessen haben deutsche Medien Trump zuletzt als "Bewährungshelfer" Putins und das Verhältnis der beiden als "Bromance" bezeichnet.

Amerikaner sehen Russland-Nähe mehrheitlich kritisch

Dabei zeigen die jüngsten Umfragen von "Reuters/Ipsos", dass mehr als die Hälfte der Amerikaner (56 Prozent) findet, dass sich Trump "zu eng" an Russland – dem einstigen Feind im Kalten Krieg – ausrichtet. Von den Demokraten halten sogar 89 Prozent Trump für "zu nah an Moskau", bei den Republikanern sind es immerhin einer von vier (27 Prozent).

Die Bewertung von Trumps Ukraine-Politik verläuft entlang des Risses, der durch die amerikanische Gesellschaft geht: So findet Trump beispielsweise bei der Hälfte der Befragten Zustimmung für die Verknüpfung von US-Militärhilfe an die Ukraine mit der Ausbeutung dortiger Bodenschätze. In einer Umfrage von "CNN" bewertet wiederum die Hälfte der Amerikaner Trumps Ansatz im Ukraine-Krieg als "schädlich" für die USA.

Deutlicher ist das Bild, wenn man den Blick der Amerikaner auf die Ukraine und Russland unabhängig von Trump betrachtet. Dann sagen laut CNN-Umfrage nämlich 72 Prozent der US-Amerikaner, die Ukraine sei "freundlich" oder "verbündet", wohingegen 81 Prozent Russland als "unfreundlich" oder "feindlich" sehen.

Cremer (SPD): Nicht aus Angst vor dem Tod Suizid begehen

Das betont auch der außenpolitische Sprecher der SPD, Tobias Cremer. "Nach wie vor sind in der innenpolitischen Debatte Russland und China die Gegner, und die Europäer Trittbett fahrende Verbündete", sagte er bei einem Pressegespräch des EU-Parlaments vergangene Woche im Beisein unserer Redaktion.

Er bleibe Transatlantiker, so Cremer weiter, "auch wenn die amerikanische Administration gerade eines anderen Geistes Kindes ist." Europa dürfte jetzt nicht "aus Angst vor dem Tod Suizid begehen" und das Bündnis mit den USA von sich aus kappen, sagte er. "Ich glaube, wir haben da noch eine Chance."

Abhängigkeit ist ungesund – so oder so

Hoffnung dürfe nicht zum Nichtstun führen, warnt indes der Politikwissenschaftler Tobias Fella. Europa müsse die Abhängigkeit von den USA abbauen – egal, wie viel Hoffnung noch besteht, dass die USA wieder einen anderen Kurs einschlagen, sagt er im Gespräch mit unserer Redaktion. "Das gilt für die Verteidigung, für die Rüstungsindustrie, die Rüstungskontrolle, den digitalen Bereich und sollte auch im Nuklearwaffenbereich zumindest angedacht werden."

Natürlich gebe es zahlreiche Amerikaner, die Trump nicht gewählt hätten. "Aber selbst, wenn in vier Jahren wieder die Demokraten regieren, ist die Abhängigkeit von den USA ungesund", erklärt der Experte. Diese Abhängigkeit sei in wichtigen Feldern zu einseitig, beispielsweise sei Europa ohne die Vereinigten Staaten kaum zu größeren Militäroperationen fähig.

Über den Gesprächspartner

  • Dr. Tobias Fella ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Friedens- und Sicherheitsforschung an der Universität Hamburg (IFSH).
  • Er hat zur amerikanischen Außenpolitik promoviert und befasst sich mit Großmachtbeziehungen im Kontext des Ukrainekriegs.

"Europa muss sich von den USA sukzessive, aber nicht planlos, abkoppeln. Es ist höchste Zeit", macht Fella deutlich. Konkret heiße das: "Es kann sein, dass ein demokratisches Europa zukünftig in bestimmten Szenarios nicht nur Russland, sondern auch die USA eindämmen und abschrecken muss. Das muss nicht zwangsweise militärisch sein."

US-Akteure würden unter anderem über die sozialen Medien schon heute stark in die europäische Innenpolitik eingreifen und Politiker und Parteien fördern, die ihnen genehm sind. Dabei griffen sie auch auf Falschaussagen zurück. "Das sind leider Anzeichen eines zumindest in einzelnen Politikbereichen feindlichen Akteurs", so der Experte.

Experte mahnt abgestimmtes Handeln Europas an

In Europa und Deutschland komme es nun darauf an, den Weg aus der Abhängigkeit überlegt und sozial abgefedert zu gehen. "Sonst kann das Ganze im Inland zum Bumerang werden und Demagogen und Populisten stärken."

Ob der Bruch Amerikas mit der westlichen Wertegemeinschaft auch Europa spaltet, hängt aus seiner Sicht von mehreren Faktoren ab. "Die USA wollen ein anderes Europa – ein rechtes, neoliberales", sagt er. Am liebsten würde Washington zudem bilaterale Beziehungen zu den einzelnen Hauptstädten pflegen, sodass es sein Machtübergewicht besser ausnutzen kann.

"Hier kommt es darauf an, dass die Europäer abgestimmt handeln und nicht kurzfristige Deals mit Trump bevorzugen und dabei das große Ganze aus den Augen verlieren", sagt Fella. Dabei käme es letztlich auch auf die Wahlergebnisse in den europäischen Ländern an. Kommen Rechtspopulisten an die Macht, lassen sich wohl schneller zumindest oberflächliche Gemeinsamkeiten mit Trump finden.

Aber letztlich sollte Fella zufolge auch hier klar sein: "Trumps Amerika ist eine Weltmacht, die für sich bestimmt, wo die Souveränität der anderen endet. Zu glauben, dass einzelne Handreichungen zu Beziehungen auf Augenhöhe führen, ist ein Irrglaube."

Verwendete Quellen