Auf den Verfassungsgerichtshof kommt eine neuerliche Wahlanfechtung zu: Eine winzige Anti-EU-Partei will die Wahl in der Leopoldstadt für ungültig erklären lassen. Und ihre Chancen stehen gut.
An den Wahlurnen hatte die 2011 gegründete EU-Austrittspartei EUAUS bisher nicht den Hauch einer Chance. Doch an einer anderen Front könnte die winzige Truppe rund um den Wiener Unternehmer Robert Marschall (50) bald einen Prestigeerfolg landen – der das angekratzte Vertrauen in die österreichische Demokratie weiter beschädigen könnte.
In den kommenden zehn Tagen wird Marschall dem Verfassungsgerichtshof (VfGH) seine Anfechtungsschrift der bereits wiederholten Bezirksvertretungswahl in Wien-Leopoldstadt übermitteln. Wie bei der Bundespräsidentenwahl hatten die Höchstrichter aufgrund formaler Fehler bei der Auszählung einen neuerlichen Urnengang angeordnet.
Der zweite Durchgang Mitte September brachte eine Überraschung: Die Grünen überrundeten die SPÖ, der bisherige rote Bezirksvorsteher Karlheinz Horak muss seinen Hut nehmen. Marschalls EUAUS kassierte bei der Wahlwiederholung einmal mehr eine krachende Niederlage.
Minipartei wittert ihre Chance
Der Parteichef fordert den sofortigen Austritt Österreichs aus der Europäischen Union. Ginge es nach ihm, würden wir wieder mit Schilling zahlen und Grenzbalken zu den Nachbarländern errichten. Davon will kaum jemand etwas wissen: In der Leopoldstadt bekam seine Partei mickrige 0,3 Prozent der Stimmen.
Doch EUAUS ist immerhin angetreten - und hat damit vor dem Verfassungsgerichthof Parteienstellung. So kann Marschall behaupten, dass seine Partei ohne die Unregelmäßigkeiten bei der Wahl womöglich ein besseres Ergebnis erzielt hätte.
Dass es auch bei der Wahlwiederholung Unregelmäßigkeiten gab, bestreitet kaum jemand. So wurden insgesamt 3.170 schadhafte und damit ungültige Briefwahlkuverts verschickt. Fast 800 Wähler konnten ihre Stimme nicht abgeben. Der Stadt Wien ist dasselbe Missgeschick passiert wie dem Innenministerium bei der Bundespräsidentschaftswahl.
Innenminister Wolfgang Sobotka (ÖVP) hatte den Wahltermin deshalb auf 4. Dezember verschoben. Die Verantwortlichen in Wien waren hingegen weniger vorsichtig: Sie wollten die ohnehin blamable Wahlwiederholung rasch über die Bühne bringen – trotz Warnungen von Verfassungsexperten.
Neos sehen Chancen für Anfechtung
Auch die Wiener Neos überlegten eine Weile, ob sie die Wahl anfechten sollten. Sie verzichteten aus Staatsräson. Laut Parteichefin Beate Meinl-Reisinger hätte es dafür zwar durchaus Gründe gegeben. "Es wäre nicht ganz einfach zu argumentieren gewesen, aber möglich", sagt sie zu GMX.at.
Am Ende hätten sich die Liberalen dagegen entschieden, um das Vertrauen in den Rechtsstaat nicht noch mehr zu erschüttern. "Wir wollen der Demokratie einen Dienst erweisen, aber keinen Bärendienst."
Solche Skrupel sind Marschalls radikaler Anti-System-Partei fremd. "Durch die schadhaften Briefwahlkuverts war das Wahlgeheimnis nicht mehr gewährleistet. Damit war die Wahl rechtswidrig", sagt er zu GMX.at. Noch will er keine Details seiner Wahlanfechtungsschrift verraten.
Entscheidend wird auch sein, wie stichhaltig die Argumente vorgetragen werden. Im Gegensatz zu den Neos hat EUAUS beschränkte juristische Ressourcen. Marschalls Chancen, die Wahl zu kippen, sind dennoch intakt.
Mit einer Entscheidung der Verfassungsrichter ist frühestens zu Jahresbeginn zu rechnen. Die neue grüne Bezirksvorsteherin in der Leopoldstadt, Ursula Lichtenegger, wird Ende November angelobt. In den ersten Monaten ihrer Amtszeit wird sie auf jeden Fall zittern müssen.
"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.