Die EU-Kommission will der Vermüllung der Ozeane nicht länger tatenlos zusehen: Ein Verbot von Einwegprodukten aus Plastik wie Geschirr, Strohhhalme, Getränkerührstäbchen, Wattestäbchen und Halterungen für Luftballons soll die Umweltverschmutzung eindämmen. Wie sinnvoll das ist, erklärt Dr. Sven Bergmann, Wissenschaflter an der Universität Bremen.
Herr Dr. Bergmann, können wir die Weltmeere retten, indem wir nur noch Strohhalme aus Bambus und Keramikgeschirr bei Festen benutzen?
Dr. Sven Bergmann: Das reicht natürlich bei Weitem nicht. Aber der Strohhalm hat für die Europäische Kommission symbolischen Charakter - ähnlich wie die Plastiktüte, für die vor gut zwei Jahren die Bezahlpflicht eingeführt wurde.
Auftragsstudien fanden heraus, welche zehn Einwegartikel aus Plastik am häufigsten an Stränden angespült werden. Dazu gehören in gigantischer Anzahl auch Strohhalme, die jeder kennt und schon mal benutzt hat - und über die sich trefflich streiten lässt.
Auf politischem Feld braucht man scheinbar etwas so Klares und Fassbares, um die Öffentlichkeit zu erreichen und wachzurütteln. Im Rahmen dieses aktuellen EU-Vorstoßes wundere ich mich jedoch, dass Zusatzstoffe kein Thema sind.
Denn viele Plastikprodukte enthalten die bedenkliche Chemikalie Bisphenol A, wie die Beschichtung der Kassenzettel in Supermärkten und von Konservendosen.
Ist das Verbot von Einwegplastik also sinnvoll?
Eine umfassendere Lösung, die viel mehr und größere Plastikverpackungen einschließt, wäre natürlich besser. Aber es ist zumindest ein kleiner Anfang, wenn man mit den zehn Einwegartikeln beginnt.
Mit diesem ersten Schritt wird die Diskussion angeschoben und führt hoffentlich dazu, dass man weiter über das komplexe Thema nachdenkt. Dazu gehört auch Mikroplastik, das aus Abrieb von Autoreifen, aus Fasern von synthetischen Textilien und dem Zerfall von Plastikmüll in den Ozeanen entsteht und sich wie eine dünne Schicht über die Meeresböden legt.
Es müssen dringend Fragen behandelt werden wie: Braucht es die vielen Plastikverpackungen wirklich? Beispiel Bücher: Warum schweißt man neue Bücher in Plastikfolie ein? Wir müssen unbedingt auch darüber nachdenken, welcher Kunststoff für unser Weiterleben sinnvoll ist.
Sie sprachen den Plastikverpackungswahn bei Lebensmitteln und Alltagsgütern an. Würde ein generelles Plastikverbot helfen?
Nein. Ein totaler Stopp ist auch nicht möglich, denn Plastik ist massiv mit der Infrastruktur unseres Lebens verbunden. Jede Stromleitung ist beispielsweise ummantelt von Kunststoff.
Und in der Medizin haben Kunststoffe ja auch viele gute Seiten, wie Beatmungsschläuche. Was die Verpackung von Lebensmitteln betrifft, findet bereits ein Umdenken statt, weil viele Verbraucher es so wünschen.
Aber in vielen Supermärkten sind selbst Bio-Gurken in Plastik eingeschweißt und Bio-Zitronen im Kunststoffnetz. Hat der Verbraucher eine echte Wahlfreiheit?
In großen Städten schon, wenn er viel Zeit und Geld hat. Momentan passiert viel auf der Lifestyle-Ebene, was man an den vielen Unverpackt-Läden sieht, die sich an eine urbane Mittelschicht richten, welche sich das auch leisten kann.
Aber auch Supermarkt-Ketten bieten offenes Obst und Gemüse an, wobei man da nicht weiß, ob das vorher auf großen Paletten lag, die schichtweise mit Polyethylenfolie umschlagen waren. Beim Beispiel Strohhalm finde ich es aber nicht schlimm, wenn es keine Wahlfreiheit mehr und nur noch nachhaltige Materialien gibt.
Sollte man den Verpackungsmüll nicht endlich durch recycelte Kunststoffe reduzieren?
Hierbei stellt sich für mich die Frage, warum man sich gesellschaftlich nicht entscheidet, welches Plastik sinnvoll ist und welches nicht, also was nur produziert wird, um es wegzuwerfen, wie die Deckel für "Coffee to go"-Becher.
Geht die Kunststoffproduktion so weiter, gibt es auch immer mehr recyceltes Plastik. Wer will das haben? Man sollte mal ausrechnen, wie lange man die Kunststoffproduktion stoppen könnte, bis allein das recycelte Plastik verbraucht ist.
"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.