- Die USA verhandeln mit Russland über den Austausch von Gefangenen. Während die Amerikaner vor allem die Basketballspielerin Brittney Griner und den Ex-Soldaten Paul Whelan freibekommen wollen, fordert der Kreml den Tiergarten-Mörder Vadim Krasikov und den Waffenhändler Viktor Bout.
- Hier erklärt der Diplomat Hans-Jakob Schindler, warum die Forderung nach dem Tiergarten-Mörder so absurd wie bedenklich ist, welchen Zweck die öffentliche Diskussion über einen möglichen Gefangenenaustausch erfüllt und warum Europäer und Amerikaner, die nach Russland reisen, extrem vorsichtig sein sollten.
Nach der Verurteilung der US-Basketballerin Griner hat der russische Außenminister Lawrow einen möglichen Gefangenenaustausch mit den USA angedeutet. Warum steht gerade Griner dabei im Fokus?
Hans-Jakob Schindler: Der Kreml ist mehr und mehr in die Fußstapfen von Nordkorea und dem Iran getreten: Er nimmt regelrecht Staatsgeiseln, um politische Ziele in der Außenpolitik zu erreichen. Dabei sind Menschen, die öffentlich Aufmerksamkeit erregen, besonders geeignet. Die beste Basketballspielerin der Welt, die in gleichgeschlechtlicher Ehe lebt, - ein Superstar - passt ins Bild.
Bei der Sportlerin wurden bei einer Gepäckkontrolle im Moskauer Flughafen Scheremetjewo sogenannte Vape-Kartuschen und Haschisch-Öl gefunden. Es soll sich um 0,5 Gramm gehandelt haben. Aus Sicht des Kremls illegaler Drogenbesitz und versuchter Schmuggel. Überzogen?
Ja, sie ist für eine Nichtigkeit zu neun Jahren Haft verurteilt worden. Medizinisches Marihuana ist in Russland zwar verboten, aber die Haftlänge ist extrem absurd. Griner scheint vergessen zu haben, es aus der Tasche zu nehmen – in den USA sind medizinische Haschischprodukte schließlich legal.
Neben Griner wollen die Amerikaner auch den Ex-Soldaten Paul Whelan freibekommen, dem die Russen Spionage vorwerfen. Er wurde in Russland zu 16 Jahren Haft verurteilt. Wieso aber steht beispielsweise nicht der Amerikaner Mark Fogel, der ebenfalls wegen des Besitzes von medizinischem Marihuana verhaftet wurde, auf der US-Liste für einen möglichen Gefangenenaustausch?
Das wissen wir nicht mit Sicherheit. Moskau und Washington stehen erst am Anfang der Verhandlungen. Ich gehe davon aus, dass die amerikanische Regierung versucht, alle ihre Staatsbürger freizubekommen, wenn das Verhältnis zwischen Vergehen und Haftlänge so exorbitant auseinanderklafft. Man hat den Eindruck, dass dieses Missverhältnis einen politischen Hintergrund hat.
Mehreren US-Medien zufolge könnten Griner und Whelan gegen den in den USA inhaftierten Russen Viktor Bout ausgetauscht werden. Was muss man über ihn wissen?
Bout ist Waffenhändler und fällt in eine ganz andere Kategorie. Er ist ein richtig schwerer Brocken und hat nicht umsonst den Spitznamen "Händler des Todes". Über mehrere Jahre hat Bout so ziemlich jeden afrikanischen Diktator mit Waffen beliefert, ungeachtet jeglicher Embargos. Er hat dabei Tausende von internationalen Gesetzen gebrochen und konnte letztendlich in Thailand festgenommen werden. Das FBI hatte vorgetäuscht, selbst Waffen kaufen zu wollen. Bout ist weltweit für viele Tode verantwortlich.
Offenbar hat Russland auch die Auslieferung des wegen des Tiergarten-Mordes in Deutschland verurteilten Russen Vadim Krasikov gefordert. In welche Situation bringt Russland Deutschland damit? Krasikov ist schließlich wegen Mordes und illegalen Waffenbesitzes zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilt worden.
Selbst, wenn die Bundesregierung es wollte: Sie kann nicht anordnen, dass der Tiergarten-Mörder entlassen wird. Hier herrscht Gewaltenteilung. Der Tiergarten-Mörder soll daher nur den Preis für die zwei gefangenen US-Amerikaner in die Höhe treiben. Die US-Regierung kann schließlich nicht liefern: Sie hat keine Kontrolle über die deutsche Regierung – und die wiederum kann nicht in laufende Gerichtsverfahren eingreifen oder Entscheidungen von Gerichten revidieren. Es ist ein Schachzug, absurde, nicht lieferbare Dinge zu fordern.
Was bezwecken die Russen dann genau damit?
Der Verhandlungszug soll das Ganze für die Amerikaner schwieriger machen und ihre Zugeständnisse erhöhen. Vielleicht wollen die Russen auch Finanzsanktionen fallen sehen.
Wie sinnvoll ist es, das alles öffentlich zu debattieren?
Im Regelfall geht es nicht anders. In diskreten Gesprächen wird selten etwas erreicht, man braucht den öffentlichen Druck. Das bedeutet auch, die Gegenseite bis zu einem gewissen Grad öffentlich zu blamieren. Sonst kommen die Fälle nicht voran. Für Staaten wie Russland ist das Leben ihrer gefangenen Bürger letztlich nachrangig, aber die westlichen Staaten sind im Zugzwang, etwas für ihre Staatsbürger zu tun.
Was könnte aus Ihrer Sicht bei den Verhandlungen herauskommen?
Sicher ist: Der Tiergarten-Mörder wird nicht freikommen. Bundeskanzler Olaf Scholz kann nicht entscheiden, dass das Gerichtsurteil aufgelöst wird. Der Mann ist nachweislich wegen Mord verurteilt, die Bundesregierung hat hier einfach keinen Spielraum. Das ist das Prinzip der Gewaltenteilung, auch, wenn das in Russland selbst anders aussieht. Es ist ein bedenkliches Signal, dass die Russen signalisiert haben, den Tiergarten-Mörder haben zu wollen.
Wieso?
Es zeigt: Wir müssen in der Krise weiter mit so einem erpresserischen Verhalten von Russland rechnen. Nicht nur Amerikaner müssen vorsichtiger sein, auch deutsche Staatsbürger kann es treffen, wenn sie nach Russland einreisen. Deutsche sollten vorsichtig sein, etwa, wenn sie Verwandte in Russland besuchen wollen. Sie könnten für Kleinstvergehen schwer verurteilt werden, nur, damit der Kreml seine eigenen Staatsbürger freipressen kann.
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