Beim Eritrea-Festival am vergangenen Wochenende ist Gießen Schauplatz eines eritreischen, innenpolitischen Konfliktes geworden. Wir zeigen, was dahintersteckt.

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Gegner des umstrittenen viertägigen Eritrea-Festivals haben sich am Samstag gewalttätige Auseinandersetzungen mit der Polizei geliefert. Dabei wurden mindestens 26 Polizisten durch Steinwürfe, Flaschenwürfe, Rauchbomben oder Schläge verletzt. Sieben von ihnen schwer.

Festival-Gegner, einige aus dem Ausland angereist, durchbrachen laut Agenturangaben Absperrungen und versuchten, auf das Festivalgelände an der Messe zu gelangen. Die Polizisten setzten Pfefferspray und Schlagstöcke ein. Auch in der Stadt kam es zu Zusammenstößen mit der Polizei. Wie die Nachrichtenagentur dpa berichtete, waren mehr als tausend Polizisten im Einsatz.

Eritrea ist international isoliert

Wie kam es zu den Gewaltszenen, in deren Folge 125 Strafanzeigen geschrieben, 131 Menschen in Gewahrsam genommen und etwa 1.800 Personen kontrolliert worden sind?

Dazu hilft ein Blick auf das weitgehend unbekannte und international isolierte Land im Nordosten von Afrika an der Küste des Roten Meeres, das an Äthiopien, den Sudan und Dschibuti grenzt. Die frühere italienische Kolonie mit knapp drei Millionen Einwohner wurde erst 1993 von Äthiopien unabhängig und ist kaum entwickelt. Außenpolitisch werden Eritrea gute Beziehungen mit der Volksrepublik China, aber auch mit dem Iran und Kuba, nachgesagt.

Dass Eritrea isoliert ist und auf wesentlichen politischen Indizes wie dem Demokratieindex, der Rangliste der Pressefreiheit, dem Fragile States Index, dem Freedom in the World Index sowie dem Korruptionswahrnehmungsindex schlecht dasteht, liegt vor allem an Langzeitherrscher Isayas Afewerki.

Der 77-Jährige herrscht seit der Staatsgründung 1993 und ist Generalsekretär seiner Einparteien-Regierung, der Volksfront für Demokratie und Gerechtigkeit. Zuvor leitete er im eritreischen Unabhängigkeitskrieg die Vorgängerorganisation Eritreische Volksbefreiungsfront (EPLF). Afewerki hat seither nie Wahlen stattfanden lassen.

Eritrea: Keine freie Presse, keine freie Meinung, keine freien Gerichte

Andere Parteien sind verboten, die Meinungs- und Pressefreiheit wird stark eingeschränkt. Es gibt weder ein Parlament noch unabhängige Gerichte oder zivilgesellschaftliche Organisationen. Zudem herrscht ein strenges Wehrdienst- und Zwangsarbeitssystem, vor dem viele Menschen ins Ausland fliehen, darunter auch nach Deutschland und nach Hessen beziehungsweise ins Rhein-Main-Gebiet. Denn dort lebt ein großer Teil dieser Gruppe.

Allein in Hessen sollen etwa 18.000 Menschen aus Eritrea leben; insgesamt sollen etwa 83.000 Eritreer in Deutschland leben. Das Regime in Eritrea versucht, auch im Ausland lebende Eritreer zu kontrollieren und bei ihnen Gelder wie etwa die „Diasporasteuer“ einzutreiben, berichtet die Bundeszentrale für politische Bildung (bpb).

Eskalation mit Ansage?

Afewerki geht, wie Amnesty International (AI) schreibt, gnadenlos gegen jegliche Kritik vor. Laut AI sollen auch Oppositionelle im Exil schikaniert werden. Journalisten und Journalistinnen, politisch Andersdenkende sowie hochrangige Persönlichkeiten und Mitglieder religiöser Gemeinschaften werden demnach willkürlich inhaftiert. Nachvollziehbar, dass viele Menschen in den vergangenen Jahrzehnten aus Eritrea geflüchtet sind.

Das Eritrea-Festival wird vom Zentralrat der Eritreer in Deutschland veranstaltet. Er veranstaltet das „Familienfest“ in Gießen seit mehr als zehn Jahren. Der Zentralrat ist aber auch berüchtigt für seine politische und ideologische Nähe zum Afewerki-Regime und gilt daher als umstritten.

Gegner bezichtigen das Festival laut "taz" als Propaganda-Veranstaltung, die die zweite Generation der in den Neunzigerjahren nach Deutschland gekommenen Flüchtlinge erreichen will. Das sagte zumindest Petros Zere, Bundesvorsitzender der Exilorganisation Yiakl, 2022 gegenüber der "taz". Eritrea habe eigens eine Organisation gegründet, mit dem Ziel, junge (Auslands-)Eritreerinnen und Eritreer zu indoktrinieren. Dies soll auch durch Festivals geschehen, berichtet die bpb. Die Regimegegner gehen davon aus, dass auf dem Eritrea-Festival überdies illegal Spenden zur Unterstützung des Regimes gesammelt würden, was ein Verstoß gegen internationale Embargos gegen Eritrea wäre.

Hohe Generäle, Musikgruppen und Propagandisten sollen in der Vergangenheit nach Deutschland geschickt worden sein – im Namen des eritreischen Diktators. Der Zentralrat de Eritreer widerspricht.

Die eritreische Diaspora in Deutschland ist tief gespalten

Gegen das Eritrea-Festival hatte sich etwa die oppositionelle Diaspora-Organisation "United4Eritrea" im Vorfeld engagiert. Sie wollte verhindern, dass mutmaßliche Propagandisten auftreten. Schlichtungsgespräche zwischen Zentralrat und seinen Anhängern sowie Oppositionsgruppen seien Medienberichten fruchtlos verlaufen. Vor dem Festival sei es auch zu Protesten vorwiegend junger Männer gekommen.

Es ist auch ein Generationenkonflikt, der am Wochenende brutal in Gießen eskaliert. Auf dem Festival feierten laut "FAZ" vor allem Eritreer, die ihr Heimatland nach der Machtübernahme Afewerki bereits vor mehr als 30 Jahren in Richtung Deutschland verlassen hatten. Sie würden die desaströse Menschenrechtslage in Eritrea nicht nachvollziehen können und mussten damals nicht mörderische Fluchtrouten auf sich nehmen. Viele von ihnen glorifizieren immer noch Eritrea. Sie wollen nicht wahrhaben, dass sich aus der nationalen Befreiungsbewegung, der sie angehörten, eine Diktatur gebildet hat. Manche profitierten gar vom Regime, das sie bezahlen soll, damit sie Propaganda für Eritrea machen.

Weil aus Sicht der Demonstranten die Festival-Besucher die Diktatur feierten, wollte sie das Festival stürmen und ihre Sicht der Dinge präsentieren. Das verhinderte allerdings die Polizei, auf die die Aggressionen dann übersprangen.

Bereits 2022 gab es Ausschreitungen

Es ist nicht der erste Vorfall während des Festivals, zu dem mehr als 2.000 Eritreer aus ganz Europa strömen. Bereits 2022 war es zu gewaltsamen Ausschreitungen mit verletzten Besuchern und Polizisten gekommen.

Politiker verurteilten die Gewaltszenen aus Gießen und fordern Konsequenzen. Hessens Innenminister Peter Beuth (CDU) forderte die Bundesregierung auf, den Botschafter des Landes einzubestellen. „Der eritreischen Regierung muss deutlich gemacht werden, dass eritreische Konflikte nicht auf deutschem Boden ausgetragen werden dürfen. Unsere Polizistinnen und Polizisten sind nicht der Prellbock für Konflikte von Drittstaaten.“

Verwendete Quellen:

  • amnesty.de: Land ohne Meinungsfreiheit
  • amnesty.de: Eritrea 2022
  • faz.de: Gießen stellt Zukunft des Eritrea-Festivals infrage
  • taz.de: Generäle und Propagandisten
  • taz.de: Nachspiel für Eritrea-Festival
  • taz.de: Gießen stellt Zukunft des Eritrea-Festivals infrage
  • bpb.de: Der lange Arm des Regimes – Eritrea und seine Diaspora
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