Soll Deutschland Geflüchtete nach Syrien zurückschicken? Beim Innenministertreffen in Erfurt steht die Frage erneut zur Diskussion. Ein vertraulicher Bericht des Auswärtigen Amts allerdings beschreibt die Zustände in dem Bürgerkriegsland als grauenhaft.
Keine Region des Bürgerkriegslands Syrien ist nach Einschätzung des Auswärtigen Amts sicher für Rückkehrer. Das geht aus dem vertraulichen Bericht des Amtes für die Innenministerkonferenz hervor, die diese Woche in Erfurt über eine sechsmonatige Verlängerung des Abschiebestopps für Syrer entscheiden soll. Das Papier liegt der Deutschen Presse-Agentur in Berlin vor.
Menschen- und Völkerrechtsverletzungen in Syrien
Unter Berufung auf die Vereinten Nationen (VN) schreiben die Diplomaten: "Laut den VN kommt es in allen Teilen Syriens weiterhin zu massiven Menschen- und Völkerrechtsverletzungen. Weiterhin besteht in keinem Teil des Landes ein umfassender und langfristiger Schutz vor willkürlicher Verhaftung und Repression durch die zahlreichen Sicherheitsdienste, Milizen und sonstige regimenahe Institutionen."
Das gelte auch für Landesteile im Westen sowie die Hauptstadt Damaskus, wo traditionell Menschen lebten, die dem Regime von Machthaber Baschar al-Assad nahe stehen. "Selbst bis dahin als regimenah geltende Personen können aufgrund allgegenwärtiger staatlicher Willkür grundsätzlich Opfer von Repressionen werden."
Weiter heißt es: "In allen Provinzen Syriens, einschließlich der Hauptstadt Damaskus, sind Personen diversen Risiken ausgesetzt, die eine Gefahr für Leib und Leben darstellen können." Verschwindenlassen, Entführungen und willkürliche Verhaftungen seien weit verbreitet. Das gelte besonders für vom Regime kontrollierte Gebiete.
Abschiebestopp nach Syrien seit 2012
Seit 2011 herrscht in Syrien Krieg. Deutschland hat 2012 erstmals einen Abschiebestopp verhängt, der seither regelmäßig verlängert wird. Bei früheren Treffen der Innenminister gab es zuletzt heftige Diskussionen um eine mögliche Aufweichung des pauschalen Abschiebestopps.
Während SPD-Vertreter ihn beibehalten möchten, drängen manche Unions-Minister auf Aufweichungen, etwa für schwere Straftäter oder Assad-Anhänger. Knapp 630 000 Syrer suchten seit Beginn des Bürgerkriegs Asyl in Deutschland. Der überwiegende Teil hat hierzulande Schutz erhalten.
Armut sei weit verbreitet, es mangele an Wasser, das Gesundheitssystem habe nur geringe Kapazitäten, heißt es in dem Papier weiter. "Die humanitäre Lage bleibt in der Gesamtschau anhaltend katastrophal." Von einer hohen Dunkelziffer bei der Zahl der durch das Coronavirus ausgelösten COVID-19-Erkankungen sei auszugehen. Im Falle einer exponentiell ansteigenden Ausbreitung des Virus wäre das Gesundheitssystem vollständig überfordert."
Corona-Pandemie verschlimmert humanitäre und wirtschaftliche Lage
Auch die Wirtschaftslage beschreiben die Diplomaten als verheerend "Die COVID-19 Krise verschärft auch die ohnehin desaströse Wirtschaftslage." Der Währungsverfall des syrischen Pfunds lasse die Einkommen dahinschmelzen, zugleich stiegen Lebensmittelpreise stark. In diesem wie schon in Vorjahren seien durch die Kämpfe in der nördlichen Provinz Idlib mehr Menschen vertrieben worden als in ihre Heimatregionen zurückkehren konnten.
"Syrische Flüchtlinge, unabhängig von politischer Ausrichtung, müssen Berichten zufolge vor ihrer Rückkehr weiterhin eine Überprüfung durch die syrischen Sicherheitsdienste durchlaufen. Kriterien und Anforderungen, um ein positives Ergebnis zu erhalten, sind nicht bekannt. Es gibt Berichte, denen zufolge Rückkehrer trotz positiver Sicherheitsüberprüfung Opfer willkürlicher Verhaftung, Folter oder Verschwindenlassen geworden und vereinzelt in Haft ums Leben gekommen sein sollen."
Keine Fortschritte im Krisengebiet Syrien
Die "Fortschreibung des Berichts über die Lage in der Arabischen Republik Syrien vom November 2019" ist auf den Mai datiert. Eine grundsätzliche Veränderung der Lage im Vergleich zum letzten Bericht vom November 2019 sei nicht festzustellen, heißt es in der Vorbemerkung.
Deutschland hat nach wie vor keine diplomatische Vertretung in Syrien. Grundlage für die das siebenseitige Papier seien deshalb in erster Linie Berichte von Menschenrechtsorganisationen, vor Ort vertretenen westlichen Staaten und internationalen Organisationen sowie deutschen Diplomaten in der Region. © dpa
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