US-Präsident Donald Trump hat gerade die ersten 100 Tage seiner zweiten Amtszeit abgeschlossen. Ohne zu übertreiben, lässt sich sagen: Seine erneute Präsidentschaft hat bereits tiefe Spuren hinterlassen - weltweit. Für den Historiker Manfred Berg ist Trumps zweite Amtszeit einmalig - in mehrfacher Hinsicht. Er sagt: "Trump ist der einzige US-Präsident, der einen Putschversuch unternommen hat. Er gehört ins Gefängnis – nicht ins Weiße Haus."

Ein Interview

Am 29. April 2025 überschreitet die zweite Amtszeit von US-Präsident Donald Trump den Meilenstein der ersten 100 Tage. Eine historisch wichtige Marke und Zeit um Bilanz zu ziehen. Unsere Redaktion hat mit dem Historiker und Professor für Amerikanische Geschichte an der Universität Heidelberg, Manfred Berg, über die bisherige zweite Amtszeit von Donald Trump gesprochen.

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Donald Trump ist 100 Tage im Amt seiner zweiten Präsidentschaft. Was ist generell das Besondere an den ersten 100 Tagen eines US-Präsidenten?

Manfred Berg: Das geht zurück auf die ersten 100 Tage der Präsidentschaft von Franklin D. Roosevelt im Jahr 1933. Damals hatte Roosevelt sein ambitioniertes Krisenbewältigungsprogramm mit Namen "New Deal" gestartet. Er brachte zahlreiche Gesetze in den Kongress ein, um möglichst schnell auf die Weltwirtschaftskrise zu reagieren. Seither hat es sich eingebürgert, dass der US-Präsident in den ersten 100 Tagen seine ersten programmatischen Maßnahmen durchführt und dabei auch mit einem gewissen Wohlwollen rechnen kann.

"Er ist völlig erratisch, ändert ständig seine Politik. Er hat jede Menge Vertrauen zerstört, das man nicht mehr zurückgewinnen kann"

Manfred Berg über die bisherige zweite Präsidentschaft von Donald Trump

Wie lassen sich Trumps ersten 100 Tage in diesem Rahmen bewerten?

Donald Trump ist kein gewöhnlicher Präsident. Wir kennen ihn bereits aus seiner ersten Amtszeit. Trotzdem: Das, was wir jetzt erlebt haben, ist in höchstem Maße ungewöhnlich. Er hat in vieler Hinsicht mit dem gebrochen, was bisher US-amerikanische Politik war, etwa in der Außen- und Sicherheitspolitik. Er hat Europa und die Nato im Stich gelassen und sich Moskau zugewandt. Wie schnell das ging, ist schlicht atemberaubend. Im Bereich der Innenpolitik regiert er so wie er versprochen hatte zu regieren – nämlich wie ein gewählter Diktator. Er unterzeichnet ständig Dekrete, deren Verfassungskonformität zweifelhaft ist. Die Gerichte kommen nicht nach mit den vielen Klagen. Er ist völlig erratisch, ändert ständig seine Politik. Er hat jede Menge Vertrauen zerstört, das man nicht mehr zurückgewinnen kann.

Eine einzigartige zweite Amtszeit

Gibt es US-Präsidentschaften, die sich vergleichen lassen mit dem, was Trump tut?

Ich würde sagen, nein. Die aktivistische Präsidentschaft ist ohnehin ein Phänomen des 20. und 21. Jahrhundert und war früher nicht üblich. Er selbst sieht Andrew Jackson und William McKinley als Vorbilder. Letzterer war Ende des 19. Jahrhunderts im Amt und vor allem für seine Hochzollpolitik und die Annexion der Philippinen bekannt. In dieser Hinsicht gibt es Ähnlichkeiten, aber ein echtes Vorbild gibt es nicht. Als Trump 2017 Präsident wurde, war er ein kompletter Außenseiter, verfügte über keine Erfahrungen, weder in Politik noch Militär. Dazu kam sein narzisstisches, übersteigertes Selbstbild. Daran hat sich in der zweiten Amtszeit nichts geändert. Das ist schon einzigartig in der US-amerikanischen Geschichte. Das ist aber noch nicht einmal der wichtigste Punkt.

Welcher wäre das?

Donald Trump ist der einzige US-Präsident, der einen Putschversuch unternommen hat. Er gehört ins Gefängnis – nicht ins Weiße Haus. Es ist ein großes Versäumnis, dass er dafür nicht in Verantwortung genommen wurde. Seit 220 Jahren ist es Konsens in den USA, seit dem Wahlkampf zwischen John Adams und Thomas Jefferson, dass es einen friedlichen Machtwechsel gibt. Den hat Donald Trump infrage gestellt.

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Wird das etwas sein, das von Donald Trump in den Geschichtsbüchern bleiben wird?

Das wird mit Sicherheit Bestandteil sein, die Frage ist nur wie. Wenn die USA eine liberale Demokratie bleiben, dann wird Trumps Putschversuch in den Geschichtsbüchern verdammt werden. Wenn die Vereinigten Staaten aber den Weg der Autokratie gehen, dann wird es wohl ganz anders dargestellt werden. Was nun aber von Trumps zweiten Amtszeit bleiben wird, können wir nach 100 Tagen noch nicht sagen, sondern müssen abwarten, wie sich diese weiterentwickelt. Und ob es bei den zwei Amtszeiten bleiben wird, denn auch das hat Donald Trump noch nicht eindeutig bestätigt. Er spricht regelmäßig von einer dritten Amtszeit, die übrigens verfassungswidrig wäre.

Zahlreiche Intellektuelle, auch der Faschismus-Forscher Timothy Snyder, sprechen bereits von Faschismus in Hinblick auf Donald Trump. Ist das korrekt?

Über solche historischen Begriffe kann man streiten. Es gibt immer gewisse Ähnlichkeiten. Faschismus ist ein Begriff, der mehr Hitze als Licht erzeugt, weil er ein Empörungsbegriff ist. Donald Trumps MAGA-Bewegung weist einige Merkmale einer faschistischen Bewegung auf. Er selbst strebt erkennbar eine Art plebiszitär legitimierte Diktatur an. Es gibt insofern Ähnlichkeiten. Aber ich halte einen Vergleich mit autoritären Regimen wie dem von Victor Orban in Ungarn für angebrachter. Dort wird autoritär regiert, es finden aber weiter Wahlen statt, bei denen die Opposition aber keine wirkliche Chance hat, weil die Regierung die Medien kontrolliert.

"Das heutige Präsidentenamt ist wie maßgeschneidert für jemanden wie Donald Trump, der diese Macht so weit wie möglich ausnutzen will. Die Frage ist nun, ob ihm irgendwer Grenzen zieht."

Manfred Berg

Nach diesem Vorbild geht der US-Präsident aktuell vor, er erlässt Dekrete und schränkt die Freiheit der Wissenschaft ein. In ihrem Buch, "Das gespaltene Haus. Eine Geschichte der Vereinigten Staaten" beschreiben Sie unter anderem, wie sich die USA in den vergangenen Jahrzehnten immer mehr polarisiert haben. Ist es für eine Nachfolgeregierung überhaupt noch möglich umzukehren, was Donald Trump aktuell tut?

Die USA sind seit vielen Jahrzehnten eine hoch polarisierte Gesellschaft. Das kann keine Regierung und kein Präsident rückgängig machen. Die Institution der US-amerikanischen Präsidentschaft ist außerdem seit Jahrzehnten in eine Richtung gelaufen, die dem US-Präsidenten immer mehr Macht gegeben hat, auch deshalb, weil ihm der Kongress und der Supreme Court diese Macht zugestanden haben. Das war in der Verfassung von 1787 weder beabsichtigt noch ist es im Text erkennbar. Das heutige Präsidentenamt ist wie maßgeschneidert für jemanden wie Donald Trump, der diese Macht so weit wie möglich ausnutzen will. Die Frage ist nun, ob ihm irgendwer Grenzen zieht.

Trump als Symptom einer größeren Entwicklung

Wer könnte das sein?

Der Kongress oder der Supreme Court. Der Kongress ist aber von den Republikanern dominiert, die Wachs in den Händen von Donald Trump sind. Und der Supreme Court ist weitestgehend mit konservativen Richtern besetzt. Ändern kann sich das, wenn die Republikaner unter dem Eindruck einer schwindenden Mehrheit bei den kommenden Wahlen ihren Präsidenten unter Druck setzen, seine Politik zu ändern. Aber aktuell ist Donald Trump dabei, Tatsachen zu schaffen.

Können wir in Europa hoffen, dass sich nach Donald Trumps Präsidentschaft alles wieder ändern wird, wenn die Demokraten etwa die Präsidentschaftswahl gewinnen?

Dieser Illusion sollten wir uns nicht hingeben. Diese extrem nationalistischen Kräfte werden so schnell nicht verschwinden. Die transatlantische Kooperation, wie wir sie aus dem Kalten Krieg oder den vergangenen 30 Jahren kannten, wird nicht wiederkommen.

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Inwiefern ist der Politikstil von Donald Trump entscheidend für seine Politik? Ist das etwas, das Schule machen könnte?

Trump weist Anzeichen eines pathologischen Narzissmus auf, aber es ist schwierig für Außenstehende, solche Diagnosen abzugeben – besonders, wenn man nicht vom Fach ist. Allerdings gibt es wenig Zweifel daran, dass Trump zum Größenwahn neigt, nach Schmeicheleien und Anerkennung giert und kaum über Impulskontrolle verfügt. Seine Aufmerksamkeitsspanne ist sehr, sehr gering. Er ist sehr wechselhaft in seiner Meinung. Er ist ein Unikat unter den Präsidenten der US-amerikanischen Geschichte.

Inwiefern ist Donald Trump ein typisches US-amerikanisches Phänomen? Müssen wir uns darauf einstellen, dass auch in Deutschland in einigen Jahren US-amerikanische Zustände ausbrechen werden?

Er ist natürlich ein Produkt der US-amerikanischen Gesellschaft. Er ist einmal als die Verkörperung des American Dream bezeichnet worden, als der Kerl, der sich von niemandem etwas sagen lässt und Erfolg damit hat. Donald Trump ist so amerikanisch wie Apfelkuchen. Aber wir wissen, dass der Blick nach Amerika immer auch einen Blick in die eigene Zukunft ist. Trump ist die amerikanische Variante der nationalistisch-populistischen Welle, die die politische Kultur der westlichen Demokratien erschüttert hat. Viele Dinge, die in den USA kulturspezifisch sind, haben wir hier nicht, etwa die Oligarchie der Tech-Bros. Trotzdem haben wir hier ähnliche Probleme mit Rechtspopulisten, die immer stärker werden. In Deutschland gibt es jedoch bislang keine unangefochtene Führungspersönlichkeit wie Trump.

Verwendete Quellen:

  • Gespräch mit Manfred Berg.

Über den Gesprächspartner:

  • Manfred Berg ist Professor für Amerikanische Geschichte an der Universität Heidelberg.