Während Österreich debattiert, ob das Pensionsplus nicht ein überteuertes Wahlzuckerl ist, staunt Deutschland über das "Rentenparadies". Der große Nachbar kassiert deutlich weniger Rente - was läuft bei uns in Österreich besser?

Eine Analyse
Dieser Text enthält eine Einordnung aktueller Ereignisse, in die neben Daten und Fakten auch die Einschätzungen von Christian Bartlau sowie ggf. von Expertinnen oder Experten einfließen. Informieren Sie sich über die verschiedenen journalistischen Textarten.

Wenn sich SPÖ und ÖVP dieser Tage einig sind, dann kann eigentlich etwas nicht stimmen. Doch inmitten des Wahlkampfs hat sich die schon geschiedene Große Koalition noch einmal zusammengerauft und eine satte Pensionserhöhung beschlossen.

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Für über 1,7 Millionen Pensionisten, die weniger als 1.500 Euro monatlich zum Leben haben, gibt es ein sattes Plus von 2,2 Prozent, die Bessergestellten kassieren immer noch den gesetzlich vorgesehen Inflationsausgleich von 1,6 Prozent, ab 3.355 Euro Monatspension schmilzt der Aufschlag schrittweise ab.

Angemessen oder doch ein Wahlzuckerl?

Eine frohe Nachricht so kurz vor den Wahlen am 15. Oktober. Das legt den Verdacht nahe, dass die beiden Volksparteien ein Wahlzuckerl an ihre treueste Wählergruppe ausgegeben haben.

Darauf angesprochen, grantelte Bundeskanzler Christian Kern Richtung Journalisten, sie sollten in ihrer Debatte "ein bisschen aufpassen". Komisch nur, dass Sozialminister Alois Stöger die Einigung völlig ungeniert mit einer Abwandlung von Kerns Wahlkampfslogan kommentiert hatte: "Ein guter Tag für die Pensionisten. Sie haben bekommen, was ihnen zusteht", sagte der SPÖ-Mann.

Und wer kein allzu schlechtes Gedächtnis hat, kann sich auch noch an den "Pensionshunderter" erinnern, den die Große Koalition Ende 2016 allen Pensionisten zusteckte. Der Chef des Fiskalrats, Bernhard Felderer, geißelte die Einmalzahlung damals als "Populismus, den Jörg Haider erfunden hat."

Ob Populismus, Wahlzuckerl oder "angemessen" (Zitat Christian Kern) – den österreichischen Pensionisten geht es im internationalen Vergleich blendend. So blendend sogar, dass die Nachbarn aus Deutschland neidisch herüberschauen und Politiker der Linken fordern, sich am österreichischen Modell zu orientieren.

Deutscher Rentner bekommt 500 Euro weniger

1.560 Euro kassieren Österreichs Pensionisten im Durchschnitt pro Monat, das rechnete die deutsche Hans-Böckler-Stiftung basierend auf Daten von 2013 aus.

Einem deutschen Rentner bleiben bei einer ähnlichen Arbeitsbiografie im Durchschnitt nur 1.050 Euro – und von der 13. und 14. Monatsrente, die in Österreich noch obendrauf gezahlt wird, hat er wahrscheinlich noch nie etwas gehört, genauso wie von der Mindestpension von 1.000 Euro.

Wenn deutsche Rentner zu wenig Rentenpunkte erworben haben, müssen sie Hartz IV beantragen. Brutto erhalten sie in der Regel nur unter 40 Prozent ihres Durchschnittseinkommens, in Österreich liegt diese Rate bei 78 Prozent.

"Wie machen die Österreicher das?", fragt Deutschland

"Rentnerparadies Österreich", so betitelte die ARD jüngst einen Bericht über die Finanzen der Pensionisten. Und als die Talkshow-Moderatorin Maybrit Illner ihren Gästen Ende vergangenen Jahres einmal die enormen Unterschiede zwischen österreichischen und deutschen Rentnern aufzeigte, waren selbst die Wirtschaftsexperten in der Runde überfragt, was die Nachbarn denn so viel besser machen.

Dabei ist die Antwort relativ einfach: Österreich macht mehr Geld locker für unsere Pensionäre. Schon jetzt sind es insgesamt rund 14 Prozent des Bruttoinlandsproduktes, in Deutschland rund 8 Prozent, der OECD-Durchschnitt liegt bei 8,7 Prozent.

So werden die höheren Pensionen finanziert

Dafür sind die Abgaben allerdings auch höher: Während in Österreich ein Beitragssatz von 22,5 Prozent gilt, sank er in Deutschland seit 2012 von 19,9 auf 18,7 Prozent. Dort zahlen auch nicht alle in die gesetzliche Rentenkasse ein, viele Selbstständige und Beamte etwa sind ausgenommen.

Weil in Österreich alle zahlen, und das schon ab einem Monatseinkommen von 425 Euro, steckt mehr Geld in der Pensionskasse. Zusätzlich stopfen die österreichischen Steuerzahler mit aktuell rund 10 Milliarden Euro pro Jahr die riesige Lücke - bei einem Gesamthaushaltsvolumen von nicht einmal 80 Milliarden Euro. Das höhere Pensionsniveau ist also schlicht politisch gewollt und wird dementsprechend finanziert.

Auf Kosten der jungen Generation?

Deutschland hat mit der sogenannten Riester-Rente ab 2002 versucht, das Rentensystem über die kapitalgedeckte Rente zu stabilisieren, der dritten Säule neben der gesetzlichen und der Betriebsrente.

"Die machen in Österreich einen sehr geringen Anteil aus", erklärt Thomas Url, Rentenexperte beim Österreichischen Institut für Wirtschaftsforschung. Nur 3,5 Prozent der Pensionen erwirtschaften Österreicher aus privaten Versicherungen, der niedrigste Wert der westlichen OECD-Staaten.

In Deutschland liegt der Wert bei 17 Prozent. Für einen sinnvollen Pensions-Vergleich müsse man sich deswegen alle drei Säulen anschauen, sagt Wifo-Experte Thomas Url. Auch das hat die Böckler-Stiftung gemacht: Selbst mit der sogenannten Riester-Vorsorge kommen die deutschen Rentner nur auf eine Bruttorente von ca. 50 Prozent ihres Durchschnittseinkommens.

Die kapitalgedeckte Rente gilt als Rohrkrepierer, der Wirtschaftsweise Peter Bofinger forderte jüngst eine Konzentration auf die gesetzliche Rente – nach dem österreichischen Modell.

Doch das steht in Österreich aktuell mal wieder unter Verdacht, nicht mehr lange finanzierbar zu sein. Der Ökonom Michael Christl vom liberalen Think Tank Agenda Austria wetterte im "Standard", die Pensionserhöhung gehe auf die Kosten der jungen Generation, die das immer teurere System stützen muss.

Er fordert eine Anpassung des Rentenalters von derzeit 65 (Männer) bzw. 60 Jahren (Frauen) auf 67 Jahre, wie in Deutschland. Faktisch gehen die Österreicher mit 61 (Männer) bzw. 59 Jahren (Frauen) in die Pension, in Deutschland sehen die Zahlen bei Männer ähnlich, bei den Frauen (62) anders aus.

Probleme durch Überalterung

Die Überalterung schafft in beiden Ländern Probleme. Im Jahr 2050 werden schon halb so viele Menschen über 65 in Österreich leben wie Personen zwischen 15 und 64.

Ein ungünstigeres Verhältnis sagt die OECD nur einem europäischen Land voraus: Deutschland. "Das ist eine Belastung für das Pensionssystem", erklärt Thomas Url, Rentenexperte beim Wifo. Trotzdem hält er die Pensionen für zukunftssicher.

Momentan wendet der Staat drei Prozent des Bruttoinlandsproduktes allein für Zuschüsse auf. Laut Berechnungen des Wifo werden es bis 2040 zwei bis drei Prozentpunkte mehr sein. Ein möglicher Ausweg: ein höheres Renteneintrittsalter. Das birgt laut Thomas Url "Einsparungspotenzial", das die Aufgabe "bewältigbar" mache.

Kurz ändert seine Meinung

An anderer Stelle hat der Staat schon eingespart: Die Sonderrechte der Beamten laufen langsam aus, 2004 hat eine große Reform dafür die Grundlage gelegt. Auch die Berechnungszeiten wurden geändert, das durchschnittliche Pensionsniveau wird deswegen sukzessive sinken.

"Bis 80 Prozent des durchschnittlichen Lebenseinkommens, das ist ein Idealfall. Aber schon durch längere Ausbildungszeiten oder eine Karenz werden sich in Zukunft hohe Verluste ergeben", sagt Url. Ein weiterer Hebel wäre die vorzeitige Anhebung des Frauenpensionsalters, das erst ab 2024 schrittweise an das Männerniveau angeglichen werden soll.

Doch das will weder die SPÖ noch die ÖVP unter Sebastian Kurz, der genau das noch 2012 gefordert hatte. Aber damals war er nur Chef der Jungen ÖVP. Nun muss er einen Wahlkampf führen.

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