Zwischen Österreich und der Türkei herrscht Eiszeit. Die Regierung in Wien sieht keine Chance für weitere EU-Beitrittsgespräche. Ankara fühlt sich brüskiert. Das politische Poltern hat strategische Gründe.

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In einer Schule für angehende Diplomaten gäbe es für solche Äußerungen ein glattes "ungenügend". Auf Twitter bezeichnete Burhan Kuzu, Chefberater des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan, Bundeskanzler Christian Kern (SPÖ) als "Ungläubigen" und spottete obendrein: "Die EU geht sowieso unter."

Zuvor hatte schon der türkische Außenminister Mevlüt Cavusoglu Wien als "Hauptstadt des radikalen Rassismus" bezeichnet.

Austro-Türken springen Kern bei

Die "Türkische Kulturgemeinde in Österreich" (TKG) hat die Beschimpfungen aus der Türkei indes scharf kritisiert. und sie "nicht nur bedenklich, geschmacklos und zum Fremdschämen, sondern vor allem auch gefährlich" genannt.

"Ob uns die Aussagen des Bundeskanzlers Kern gefallen oder nicht, wir wollen uns trotzdem nicht von der Sprache der Vernunft, des Verstandes entfernen. Wir wollen auch nicht unter dem Vorwand der emotionalen Sprache eine bedenkliche, hetzende Geisteshaltung von den verantwortlichen Politiker/-innen akzeptieren, sondern scharf verurteilen," teilte die TKG mit.

Kern: Türkischer EU-Beitritt "diplomatische Fiktion"

Die brüsken Formulierungen waren die Reaktion auf Kerns Ansage, dass die EU die Beitrittsgespräche mit der Türkei sofort abbrechen sollte. Eine Mitgliedschaft sei wohl für Jahrzehnte "ein Ding der Unmöglichkeit", die aktuellen Kontakte eine "diplomatische Fiktion".

Der sozialdemokratische Kanzler stellt sich nach Ansicht von Politikexperten vor allem aus innenpolitischen Gründen an die Spitze der Anti-Ankara-Bewegung.

"Das ist geradezu ein Musterbeispiel politischer Psychologie", sagt Politologe Peter Filzmaier. Demonstrativ liegen der 50-jährige Regierungschef Kern und ÖVP-Außenminister Sebastian Kurz beim Türkei-Bashing auf einer Linie.

Kurz sieht Türkei-Deal vor dem Ende

So will Kurz beim EU-Außenministerrat sein Veto gegen weitere Schritte der EU im Beitrittsprozess einlegen. Den von der deutschen Kanzlerin Angela Merkel eingefädelten Türkei-Flüchtlingsdeal sieht der Minister ohnehin vor dem Ende. "Beide Regierungsparteien waren sich noch nie so einig wie bei dem Thema Türkei-Beitritt", findet Filzmaier.

Der Effekt: Ein bisher weitgehend von der FPÖ besetztes Gebiet wird nun von SPÖ und ÖVP streitig gemacht. "Regierung lässt FPÖ wenig Luft", titelte das Boulevardblatt "Kronen-Zeitung" jüngst und glaubt einen "Rechtsruck" der Regierung zu erkennen.

Heinz-Christian Strache lobt Christian Kern

FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache jedenfalls blieb nichts anderes übrig, als den Kanzler zu loben. Er sei erfreut, dass Kern "offenbar beginnt, mich zu kopieren".

Kritik aus der Türkei an Kern wies Strache zurück. Noch äußert er sich aus einer sehr starken Position: Seine FPÖ kommt in Umfragen auf 35 Prozent, die SPÖ auf 25 Prozent, die ÖVP auf 19 Prozent.

Sowohl die Türkei als auch Österreich nutzen laut Experten das Politik-Scharmützel, um bei ihren Landsleuten Punkte zu machen. "Das ist ein risikoloses Unterfangen", urteilt Filzmaier.

Vorgezogene Neuwahlen 2017?

Für den seit rund 100 Tagen regierenden Kern bricht die Zeit an, sich und seine SPÖ vor den nächsten Parlamentswahlen in eine einigermaßen aussichtsreiche Position zu bringen.

Inzwischen gehen viele Beobachter davon aus, dass es 2017 zu vorgezogenen Neuwahlen kommen wird. Die bisher für Herbst 2018 geplante Nationalratswahl harmoniert nicht recht mit dem EU-Ratsvorsitz Österreichs zu diesem Zeitpunkt.

Und auch die vier Landtagswahlen im Frühjahr 2018 sollten aus Sicht mancher Landesverbände eher nicht in zeitlicher Nähe zur Nationalratswahl über die Bühne gehen.

Auf Bundesebene gilt ein Duell Kern gegen Kurz als wahrscheinlich. "Es geht beiden um das eigene Standing und die persönliche Profilierung", beurteilt Filzmaier die Äußerungen von Kern und Kurz.

Kern macht es Norbert Hofer schwerer

Die nächste Wahl ist aber zunächst die des Bundespräsidenten am 2. Oktober. Auch hier dürfte es der FPÖ-Kandidat Norbert Hofer mit seiner EU- und Türkei-kritischen Haltung schwerer als bisher haben, wenn die rot-schwarze Regierung der FPÖ ein Lieblingsthema streitig macht.

Das Rennen um die Hofburg zwischen Hofer und dem Ex-Grünen-Chef Alexander Van der Bellen ist schon jetzt um eine Facette reicher. (dpa/ank)  © dpa

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