Mit Christian Kern steht, so viel ist unbestritten, ein Charismatiker an der Spitze Österreichs. Doch was genau macht den Bundeskanzler eigentlich aus, und steht er wirklich für einen Neuanfang? Der Lebenslauf des Kanzlers ist bunt, schon früh engagierte er sich politisch - privat ist er ein glühender Fußballfan.

Mehr aktuelle News

Er spricht geschliffen und schreitet elegant und gut gekleidet durch das Land. Man könnte durchaus annehmen, der österreichische Bundeskanzler hat seine Wurzeln in den Wiener Bezirken Hietzing oder Döbling. Weit gefehlt! Christian Kern wuchs als Sohn einer Sekretärin und eines Elektroinstallateurs im Wiener Arbeiterbezirk Simmering auf. Er maturierte am Gymnasium Gottschalkgasse und absolvierte im Anschluss daran ein Studium der Publizistik und Kommunikationswissenschaft an der Universität Wien, das er 1997 abschloss.

Dass er schon in jungen Jahren einen Zug nach vorne hatte, darauf deutet seine Funktion als Schulsprecher hin, die er im Gymnasium innehatte. Während des Studiums fungierte Kern als Chefredakteur der "rotpress – Zeitschrift für Hochschule, Politik und Kultur". Heute wohnt er in zeitgemäßem Patchwork-Gefüge in Wien-Neubau.

Karriereleiter: Vom Journalisten zum Bundeskanzler

Seine Karriere startete der 50-Jährige schon 1989 als Wirtschaftsjournalist. So ging Kern u.a. im "Wirtschaftspressedienst" sowie beim Wirtschaftsmagazin "Option" zu Werke. 1991 wurde er in der Bundesregierung Vranitzky III Assistent des Staatssekretärs im Bundeskanzleramt Peter Kostelka, von 1994 bis 1997 agierte er als Büroleiter und Pressesprecher des Klubobmannes der SPÖ-Parlamentsfraktion Kostelka, bevor er 1997 ins Management des Verbunds wechselte, in dessen Vorstand er 2007 Mitglied wurde. Drei Jahre später wurde Kern zum Vorstandsvorsitzenden der ÖBB-Holding-AG der Österreichischen Bundesbahnen ernannt. Die letzten beiden Sprosse der Karriereleiter erreichte Christian Kern kürzlich: Am 17. Mai wurde er österreichischer Bundeskanzler und am 25. Juni, nach einem nordkoreanisch anmutenden Abstimmungsergebnis (96,8 Prozent), obendrein auch Parteivorsitzender der SPÖ.

Internationale mediale Rückkopplung

"Christian Kern kenne ich nicht. Aber verdammt, so sollen Antrittspressekonferenzen sein", twitterte der deutsche Autor Sascha Lobo von den ersten Worten des Kanzlers beeindruckt. Lobos knappe Eloge fügte sich harmonisch in die internationale mediale Resonanz ein. "So forsch ist schon lange kein österreichischer Sozialdemokrat mehr aufgetreten", hämmerte man beim "Spiegel" in die Tastatur.

Auch in Slowenien war man ganz angetan. "Christian Kern ist exzellenter Manager und hervorragender Networker, der auch denjenigen zuhören kann, mit denen er nicht einverstanden ist." In der Redaktion der spanischen "El Mundo" nahm man wiederum Rekurs auf Kerns Background. "Als Journalist, der er war, hat er seinen Kollegen saftige Schlagzeilen über die österreichische Politik geliefert."

"Proletarischer als viele meiner Vorgänger"

Kern, der in jungen Jahren weiter links agierte, stellte sich, wie er dem "Kurier" erzählte, einst die Frage, wie man die Position des revolutionären Furors verlassen und einen pragmatischen Weg durch die Institutionen befürworten könne. "Mein Geschichtslehrer empfahl mir das Buch 'Realisten oder Verräter' von Günter Nenning. Das hat mich überzeugt."

Auf die Frage der Tageszeitung, wie teuer Uhren und Anzüge eines Sozialdemokraten sein dürften, antwortete Kern: "Sozialdemokraten müssen kein Armutsgelübde ablegen. Schauen Sie sich die früheren Parteiführer an: den Arzt Victor Adler, den Diplomaten Bruno Kreisky, den Juristen Karl Renner – er kaufte sich sogar einen Frack, bevor er den Kaiser besuchte. Ich bin von meiner Herkunft her proletarischer als viele meiner Vorgänger."

Laufbereiter Pedaleur mit Ledervorliebe

Dass Christian Kerns körperliche Erscheinung nicht nur einer genetischen Begünstigung geschuldet ist, sieht man. Der 50-jährige ist begeisterter Läufer, tritt mit seinem Mountainbike regelmäßig gegen Berge und Hügel an und kickt auch ab und an das runde Leder. Ja, er ist ein glühender Fußballfan, der Kanzler, weshalb er auch im Kuratorium der "Wiener Austria" sitzt, was man ihm einfach nachsehen muss.

Des Kanzlers Worte zum Brexit

"Das ist heute kein guter Tag für Großbritannien und Europa, aber es ist auch kein guter Tag für unser Land", so Christian Kern am Tag nach dem britischen Referendum über den EU-Austritt. Die Entscheidung der Briten habe man aber zur Kenntnis zu nehmen. Auf Nachfrage zu den Auswirkungen des Brexit auf Österreich führte Bundeskanzler Kern an, dass er vor allem für die Rolle Europas in der Welt eine Schwächung erwarte. "Ich befürchte keinen Dominoeffekt, wir werden in Österreich mit Sicherheit kein Referendum ansetzen. Es geht jetzt vielmehr darum, wie wir es schaffen, dass das europäische Projekt bei den Menschen ankommt. Unsere Aufgabe ist es, aus dieser Entwicklung zu lernen und klare Konsequenzen zu ziehen."

Hassreden, FPÖ und Selbstkritik

"Ich bin felsenfest davon überzeugt, dass der Weg von einer Hassrede, von einem Hassposting im Internet bis zu einem brennenden Flüchtlingsheim viel kürzer ist als wir befürchten müssen. Und wir müssen uns immer vor Augen halten, dass es aus der Geschichte bekannt ist, dass der Gewalt der Worte oft genug die Gewalt der Taten folgt", so Kern beim SPÖ-Parteitag, um danach gleich auf die FPÖ zu kommen.

"Es wäre ein großer Fehler, die 2,2 Millionen Menschen, die bei der Präsidentschaftswahl Herrn Hofer gewählt haben, in eine rechtsradikale Ecke zu stellen", seien doch deren Motive ganz andere gewesen. "Da ging es nicht um eine Ideologie, da ging es um Frust. Deshalb ist es für uns so wichtig, gerade denen zu sagen, was das eigentlich ist, was sie da gewählt und unterstützt haben."

Auch mit Selbstkritik sparte der Kanzler am Parteitag nicht: "Ich bin davon überzeugt, dass wir an der Stelle nicht die Haltung haben dürfen, dass diese Menschen etwas falsch verstanden haben und wir bloß unsere Politik besser erklären müssen. Sondern: Wenn die uns nicht richtig verstehen und nicht akzeptieren, was wir tun können, dann haben möglicherweise wir etwas falsch verstanden." Am Ende des Tages.

JTI zertifiziert JTI zertifiziert

"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.