Wenn am Mittwoch der Nationale Volkskongress in China beginnt, wird sich die Regierung in Peking als stabile Führung inszenieren, angeführt vom mächtigen Xi Jinping. Aber wie fest sitzt der Mann an der Staatsspitze wirklich noch im Sattel?

Eine Analyse
Dieser Text enthält eine Einordnung aktueller Ereignisse, in die neben Daten und Fakten auch die Einschätzungen von Felix Lill sowie ggf. von Expertinnen oder Experten einfließen. Informieren Sie sich über die verschiedenen journalistischen Textarten.

In China könnten die Zeiten gerade besser sein. Seit der Pandemie, die die Menschen immer wieder in strenge Lockdowns drängte, hat die Wirtschaft nicht mehr ihr altes, hohes Wachstumstempo erreicht. Banken sind Pleite gegangen, große Bauprojekte gestoppt worden, so dass Menschen ihre gekauften Wohnungen nicht beziehen können. Die Jugendarbeitslosigkeit erreichte mit gut 20 Prozent zuletzt ein Rekordhoch. Über das Land verteilt gibt es immer wieder Proteste. Menschen sind unzufrieden.

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Kein sonderlich gutes Umfeld für das jährliche Treffen der Kommunistischen Partei Chinas, das seit Dienstag (4. März) in Peking läuft. Die chinesische Regierung wird daher versuchen, alle Zeichen, die auf Krise deuten, beim Nationalen Volkskongress zu unterdrücken. Bei dem Treffen gibt der Ein-Parteienstaat seine Marschrichtung für das folgende Jahr vor. Erwartet wird, dass die KP einmal mehr die "Wiedervereinigung mit Taiwan" verspricht, eine Stärkung der industriellen Fertigung in Aussicht stellt - und sich viel selbst lobt.

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Xi Jinping – Inszenierung und Macht

Vor allem dürfte der Volkskongress als Bühne für die Inszenierung von Xi Jinping herhalten, dem seit 2012 mächtigsten Mann im Staat, der nicht nur Präsident ist, sondern auch KP-Generalsekretär und Oberbefehlshaber der Volksbefreiungsarmee. Bis 2032 wird Xi wohl noch so weiter regieren. Der Autokrat mag die Show in eigener Sache: Seine Porträts hängen überall, die staatlich kontrollierten Medien kritisieren ihn mit keinem Wort.

Nur: Wie fundiert ist diese Selbstinszenierung? Wie mächtig ist der 71-Jährige wirklich noch?

Tatsächlich hat das Ein-Parteien-System Festlandchinas über die vergangenen Jahre an vielen Stellen Risse bekommen. Nicht allein wegen der schwierigen ökonomischen Lage: Im kommenden Jahr geht die Regierung nurmehr von knapp fünf Prozent Wachstum des Bruttoinlandsprodukts aus. Für einen Industriestaat wäre das viel, für ein Schwellenland wie China mit immer noch verbreiteter Armut ist es nicht genug. Das Ziel, die Armut auszulöschen, rückt so in weite Ferne.

Interne Spannungen in der Partei

Darüber, wie unangefochten Xi an der Spitze steht, wird daher längst spekuliert. Ende 2023, als die Wirtschaftslage ähnlich kritisch war wie heute, befragte der britische Thinktank Council on Geostrategy mehrere Expertinnen. Die Einschätzungen variierten stark. Geremie Barmé vom Institut China Heritage sah Xi wie dessen Amtsvorgänger und Revolutionsführer Mao Tse-tung in einer "dialektischen Falle des Unvereinbaren", zwischen "revolutionärer Begeisterung und politischer Stabilität; wirtschaftlichem Überschwang und egalitärer Umverteilung."

Andrew Peaple, Host des Fachpodcasts The Wire China, erkannte in diesem Spannungsfeld kein grundsätzliches Problem: Xis Herrschaft sei ziemlich sicher, auch dank des tief verwurzelten Strebens der KP nach Stabilität, gab er zu Protokoll. Ungeplante Führungswechsel seien selten, zumal es gar keine offensichtliche Alternative zu Xi gebe.

Tatsächlich wurden Konkurrenten in der Partei über die Jahre systematisch beseitigt. Xi, so ein weit verbreiteter Eindruck, ist inzwischen umgeben von Ja-Sagern.

Damit dies so bleibt, muss er aber offenbar immer wieder aktiv werden. Ende vergangenen Jahres sorgte Xi für eine Rundumsanierung des Militärs. Im Dezember wurde bekannt, dass Miao Hua, der in der Parteikommission für Militärfragen das Personalressort verantwortete und eigentlich als Vertrauter Xis galt, seinen Platz räumen musste. Kurz zuvor hatte es Berichte gegeben, denen zufolge gegen Verteidigungsminister Dong Jun Untersuchungen eingeleitet worden waren.

Wie stabil also ist Xis Herrschaft?

Diese Entwicklungen sind auch deshalb interessant, weil sowohl Miao als auch Dong durch Xi selbst gefördert worden waren. Wenn er sich nun von ihnen distanziert, zeugt dies von Fehlern in der Personalauswahl oder gar wachsender Kritik gegen ihn selbst. Was insbesondere im Verteidigungssektor zu Problemen führen kann, da es die Abschreckungswirkung gegenüber geopolitischen Rivalen wie den USA oder Japan schmälert. So einig, wie sie sich nach außen gibt, scheint die KP offenbar nicht immer zu sein.

Roger Garside, ehemaliger britischer Diplomat in China, hält es für eine Frage der Zeit, bis Xis Niedergang beginnt: "Der Zusammenbruch des Immobiliensektors treibt viele Lokalregierungen in eine Finanzkrise; dies wird zu einem Zusammenbruch der lokalen Regierungsdienste, der lokalen Finanzinstitute und Unternehmen und zu Massenunruhen auf den Straßen führen. Dann werden Xis Gegner, die derzeit noch auf ihre Zeit warten, gegen ihn vorgehen." Aber wann genau ist dieser Zeitpunkt?

Claus Soong, Sicherheitsexperte am Mercator Institute für China Studies (Merics), warnt vor allzu voreiligen Schlüssen. Ja, es gebe eine wachsende Frustration im Land über Xis strengere Kontrolle der Gesellschaft und die Wirtschaftspolitik, aber seine Autorität werde bisher kaum in Frage gestellt. "Die Proteste im Land sind eher lokaler Natur, beziehen sich meist auf ökonomische Probleme wie niedrige Löhne oder unvollendete Bauprojekte. Bis jetzt haben sie sich nicht zu einer nationalen Bewegung zusammengeschlossen", so Soong.

Alles entscheidend sei dafür die wirtschaftliche Lage. Und die sei einfach "noch nicht schlecht genug".

Verwendete Quellen