Das geplante Freihandelsabkommen zwischen der Europäischen Union (EU) und Kanada kann vorerst nicht unterzeichnet werden. Grund ist der Widerstand der belgischen Region Wallonien, ohne die Belgien dem Vertragswerk nicht zustimmen kann. Macht sich die EU zur Geisel solcher Mini-Regionen? Und warum kämpfen europäische Spitzenpolitiker trotz des Widerstands so erbittert um Ceta.

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Seit 2009 war das Comprehensive Economic and Trade Agreement, kurz Ceta, zwischen Kanada und der Europäischen Union verhandelt worden. Nach der Zustimmung durch das kanadische Parlament, das EU-Parlament sowie die 28 Europäischen Mitgliedsstaaten hätte das Freihandelsabkommen voraussichtlich 2017 in Kraft treten können.

Durch Ceta ist unter anderem der Abbau von Zöllen sowie die Angleichung von Normen und Vorschriften vorgesehen, um das Wirtschaftswachstum anzukurbeln. Zudem soll geistiges Eigentum besser geschützt werden. Doch nach dem vorläufigen "Non!" der französischsprachigen Wallonie steht das Vertragswerk vor dem Aus. Für die EU wäre dies eine Blamage.

Warum ist der Widerstand gegen Ceta in Wallonien so groß?

Die gerade 3,6 Millionen Einwohner zählende belgische Region ist von hoher Arbeitslosigkeit geprägt. Zuletzt kündigte der amerikanische Baumaschinenhersteller Caterpillar die Schließung eines großen Werks an. Die von Sozialdemokraten geführte Regionalregierung steht enorm unter Druck. Sie fürchtet durch Ceta Nachteile für die Landwirtschaft und die Senkung von Verbraucher- und Umweltstandards.

Außerdem hat Walloniens Ministerpräsident Paul Magnette Bedenken gegen das geplante Gericht zur Schlichtung von Streit mit Investoren. Ceta-Kritiker befürchten eine Stärkung der Rechte von internationalen Großkonzernen. Kritiker der Regierung in Wallonien behaupten, dass die Regionalregierung die Ceta-Debatte für den eigenen Wahlkampf instrumentalisiert.

Wie kann es überhaupt sein, dass eine Region wie Wallonien das Abkommen kippen könnte?

Dies hat mit der speziellen Organisationsform des belgischen Staates zu tun, der in die drei Regionen Brüssel, Flandern und Wallonien gegliedert ist. Der Föderalismus, das heißt die Eigenständigkeit der Regionen, ist in unserem westlichen Nachbarland sehr stark ausgeprägt. Damit Belgien auf EU-Ebene dem Abkommen zustimmen kann, ist ein Ja aller drei Gebiete nötig. Auch die Region Brüssel hat laut ARD mittlerweile ihre Zustimmung untersagt.

In Belgien gehört das Gezerre zwischen dem niederländischsprachigen Flandern und dem französischsprachigen Wallonien gewissermaßen zum Tagesgeschäft. In den Jahren 2010 und 2011 hatte es 541 Tage gedauert, bis eine neue Landesregierung gebildet werden konnte.

Was wurde in den Nachverhandlungen verbessert?

Am Sonntag präsentierte die EU-Kommission der wallonischen Regionalregierung neue Vorschläge, um deren Bedenken auszuräumen. Über deren Inhalt ist so gut wie nichts bekannt. In Brüssel fürchtet man, dass Nachverhandlungen künftigen Forderungen kleiner EU-Staaten oder Regionen Tür und Tor öffnen.

Ob die kanadische Regierung sich überhaupt dazu bewegen lässt, auf die Bedenken Walloniens einzugehen, ist laut Beobachtern eher unwahrscheinlich. Auch die EU wäre alles andere als begeistert, das Ceta-Paket noch einmal neu aufzuschnüren.

Warum halten die führenden Politiker das Abkommen trotz der großen Proteste für so wichtig?

Politiker der europäischen Mitgliedsstaaten und der EU-Kommission äußerten sich in der Vergangenheit immer wieder positiv über Ceta. Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel (CDU) sagte bei einem Besuch in Kanada, sie sehe "große Vorteile für Europa und gerade auch für Deutschland als Exportnation." Das Abkommen sei eine gute Chance, "das Wachstum gerade auch im Handel mit Kanada voranzubringen", so Merkel. Auch Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel hält Ceta für "ein gutes Abkommen".

EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker sagte: "Wir bleiben glühende Verfechter des Freihandels." Diese müsse jedoch fair sein. Juncker hält einen erfolgreichen Abschluss auch aus einem anderen Grund für bedeutend: Vom Scheitern würde eine negative Signalwirkung ausgehen. "Wenn wir dieses Handelsabkommen mit Kanada nicht abschließen können, sehe ich nicht, wie es möglich sein soll, Handelsabkommen mit anderen Teilen der Welt zu vereinbaren", erklärte Juncker.

Scheitert das Abkommen nun oder wird es – wie so oft in der EU – zu einer Hängepartie?

Führende Vertreter der Union geben sich weiter zweckoptimistisch. Ratspräsident Donald Tusk schrieb nach einem Gespräch mit dem kanadischen Premierminister Justin Trudeau zu Wochenbeginn auf Twitter. "Es ist noch Zeit. Wir fordern alle Parteien auf, eine Lösung zu finden." Die vorgesehene, feierliche Unterzeichnung beim eigentlich am Donnerstag beginnenden EU-Kanada-Gipfel fällt nach aktuellem Stand aus. Wie es nun weitergehen wird, ist unklar. Die EU-Kommission spielte das mögliche Scheitern bisher herunter.

Vermutlich gehen die Gespräche zwischen Kommission und wallonischer Regierung weiter. Ziel ist es, doch noch zu einer Lösung zu finden. Das könnte laut Walloniens Ministerpräsident Magnette bis Jahresende dauern. Wie die "FAZ" berichtete, wäre womöglich ein "schmutziger Deal" zwischen der südlichsten belgischen Region und der EU die Lösung. Wallonien würde Ceta zustimmen, wenn es großzügige Unterstützung aus Brüssel beim Erhalt des von der Schließung bedrohten Caterpillar-Werks erhielte.

So viel scheint sicher: Die kleine Region wird den Preis für die große EU möglichst hoch treiben.

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