Die Europawahl hat die K-Frage in der CDU heimlich entschieden. Friedrich Merz ist die Kanzlerkandidatur nicht mehr zu nehmen. Selbst sein innerparteilicher Dauerkritiker Daniel Günther ruft ihn zum Kandidaten aus. Warum Wüst und Söder zurückziehen müssen.
Friedrich Merz hat mit der Europawahl einen doppelten Sieg errungen - einen offensichtlichen und einen verborgenen. Der offensichtliche Sieg liegt im starken Abschneiden der Union, die spektakulär mehr als doppelt so groß geworden ist wie die Kanzlerpartei SPD. Die Union wirkt nach dieser Wahl wie ein großer Fels der mittigen Stabilität, wie die letzte Volkspartei in einem verunsicherten Deutschland.
Der Wahlsieg der Union ist auch wegen seiner Breite verblüffend, denn die CDU ist selbst bei den 16- bis 24Jährigen die beliebteste Partei geworden, weit vor Grünen und SPD. Und sogar unter den Arbeitern schneidet die CDU derzeit doppelt so stark ab wie die vermeintliche Arbeiterpartei SPD.
Der verborgene Sieg von
Selbst sein größter innerparteilicher Kritiker, der schleswig-holsteinische Ministerpräsident
Das inoffizielle Rennen in der CDU um die Kanzlerkandidatur war vor einem Jahr noch spannend offen.
CDU hat sich unter Friedrich Merz erholt
Erstens hat Merz als CDU-Vorsitzender Erfolg. Als Merz im Herbst 2021 ankündigte, er werde für den Parteivorsitz kandidieren, da lag die CDU in den Umfragen zeitweise unter der Marke von 20 Prozent. Analysten sagten der CDU einen Zerfall wie bei der Democracia Cristiana in Italien oder den Republikanern in Frankreich voraus.
Doch die zuweilen blutleer wirkende Partei hat sich unter seiner Führung vom historischen Wahldebakel 2021 bemerkenswert erholt, wichtige Landtagswahlen von NRW bis Hessen, von Schleswig-Holstein bis Berlin und eben jetzt die Europawahlen wurden überraschend klar gewonnen. Die zerstrittenen Flügel haben unter Merz wieder einigermaßen zusammengefunden und sogar relativ harmonisch ein neues Parteiprogramm jenseits der Merkel-Denke formuliert.
Die Umfragewerte signalisieren die Breitenwirkung des Comebacks: Seit Monaten ist die Union stabil die mit Abstand stärkste politische Kraft in Deutschland.
Der Kanzler in Reserve
Zweitens hat Merz in der Rolle des Oppositionsführers Statur gewonnen. Er ist ein brillanter Parlamentsredner und führt die Bundestagsfraktion leidenschaftlich nach außen und integrativ nach innen, selbst starke Charaktere und einstige Konkurrenten wie Jens Spahn arbeiten kollegial mit. Merz hat machtpolitisch das Glück, dass die Ampel sich in einer beispiellosen Dauerregierungskrise zerstreitet und er daneben seit Monaten wirken kann wie ein Kanzler in Reserve.
Diese Rolle inszeniert er systematisch, unternimmt Staatsbesuche wie in Skandinavien, trifft Emmanuel Macron in Paris und Benjamin Netanyahu in Israel. Er wendet sich bewußt den großen Themen zu. Damit wächst die Aura des Kanzlerkandidaten. Und so versammelt sich die CDU immer sichtbarer hinter Merz.
Je mächtiger Merz wird, desto mehr entfaltet das eine Eigendynamik der Zustimmung. Auf dem jüngsten Ludwig-Erhard-Gipfel drängten sich auch die Wirtschaftsführer der Republik zu ihm wie noch nie. Überall wird er plötzlich als gefühlter Kanzler der Zukunft wahrgenommen.
Söder verblasst, Wüst erfährt Widerstand
Drittens schwächeln die beiden Merz-Konkurrenten. Söder ist seit seinem schwachen Wahlergebnis bei der Bayernwahl im Oktober aus dem Rennen. In der CDU gibt es seit seinem Machtkampf mit Laschet ohnehin große Vorbehalte gegen Söder, er hätte bei seiner Bayernwahl ein überragendes Ergebnis gebraucht, um das zu konterkarieren.
Doch das Gegenteil ist passiert. Nun hat Söders CSU auch bei Europawahl nur 39,7 Prozent geholt und damit weniger als die 40,7 Prozent beim letzten Mal. Söders Siegeraura ist verblasst. Tatsächlich muss Söder sich inzwischen Fragen gefallen lassen, ob er denn interessiert sei, unter einem Kanzler Merz Verteidigungsminister zu werden.
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Wüst wiederum bekommt medial noch gute Resonanz; in der CDU aber erfährt er wachsenden Widerstand. Die Landesverbände in Ostdeutschland, Hamburg und Baden-Württemberg, aber auch die mächtige Mittelstandsvereinigung verbreiten in der Union das Narrativ, Wüst stehe für eine "Rückkehr zur Merkelpolitik", vor der sich die CDU gerade erfolgreich emanzipiert habe.
Die neue Wüst-Biografie der Journalisten Tobias Blasius und Moritz Küpper untermalen das Merkelhafte an ihm. Er sei kontrolliert bis zur Unkenntlichkeit. "Bloß nicht provozieren", "nur Reden halten, die man schnell vergisst", "sterile Konsensfähigkeit" - solche Attribute werden dem "Samtigen" zugeschrieben wie weiland Angela Merkel. Für sonnige Zeiten sind das beste Talente für breite Akzeptanz.
In bewegten Zeiten aber wirkt Wüst als Mann ohne Eigenschaften neben dem kantigen Klartexter Merz zusehends blass. Wüst hält sich instinktiv aus den großen politischen Schlachten der Republik heraus, um keinen medialen Schaden zu nehmen. Doch mit jedem Monat, in dem er Merz weiter die große Bühne überlässt, sinken seine Chancen auf die Kandidatur.
Wüst hat die Gelegenheit verpasst, sich bundespolitische Ambition oder außenpolitische Kompetenz zu erarbeiten. Aus seinem Umfeld ist in Düsseldorf zu hören, dass er "Zeit habe" und mit erst 48 Jahren auch gut noch Jahre "abwarten könne", ehe er nach Berlin wechsele.
Merz ist das Symbol der CDU-Renaissance
Fazit: Merz wird durch die CDU-Erfolge immer mächtiger. Er verkörpert für viele Wähler wieder CDU-Pur und den gefühlten Kanzler der Zukunft. Gerade in der jetzigen Krise wird nach den politischen Weichspülern wie Kramp-Karrenbauer und Laschet eine gestandene Leitfigur mit Kanten, Willen und Wirtschaftskompetenz geschätzt. Sein eigenes Comeback wirkt so wie eine Blaupause für das Comeback der Partei und womöglich Deutschlands.
Zugleich ist Merz konzilianter und integrativer geworden. Er macht weniger Fehler, wirkt altersreifer, ausgeglichener. Nach dem Europawahlsieg vom Sonntag wird ihm die Kanzlerkandidatur nicht mehr zu nehmen sein, zumal er Fraktionschef, Parteichef und nun auch Serien-Wahlsieger in Personalunion ist - und als CDU-Vorsitzender erstmals in der Geschichte auch noch von der Parteibasis direkt gewählt. So einen schickt die CDU nicht mehr nach Hause, sondern direkt ins Kanzleramt.
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