Das Münchner Oberlandesgericht sieht Beate Zschäpe als Mittäterin in allen Verbrechen des NSU. Die Plädoyers der Verteidiger und die Appelle der Hauptangeklagten beeindruckten die Richter nicht. Doch noch ist die juristische Aufarbeitung nicht vorbei.
Beate Zschäpe zeigt keine erkennbare Reaktion. Ganz in Schwarz gekleidet, aber mit einem rot-lila-weißen Schal, lauscht sie den Worten des Vorsitzenden Richters Manfred Götzl.
Höchste Spannung herrscht am Mittwoch im proppenvollen Gerichtssaal 101, als Götzl das Urteil im NSU-Prozess verkündet.
Zschäpe hat den Kopf der Richterbank zugewandt, als der Richter zur Sache kommt: Die 43-Jährige ist schuldig des zehnfachen Mordes und vieler weiterer Verbrechen und Straftaten - und wird zu lebenslanger Haft verurteilt.
Nach mehr als fünf Jahren, über 430 Verhandlungstagen und der Anhörung Hunderter Zeugen verurteilt das Oberlandesgericht (OLG) München Beate Zschäpe als Mittäterin an den Morden und Anschlägen des "Nationalsozialistischen Untergrunds" (NSU).
Verurteilt als Mörderin - obwohl sie vielleicht nie am Tatort war
Zschäpe wird als Mörderin, als Attentäterin, als Bombenlegerin verurteilt - auch wenn es bis heute keinen Beweis gibt, dass sie an einem der vielen Tatorte war.
Doch das Gericht folgt der Argumentation der Bundesanwaltschaft.
Auf deren Maximalanklage folgt nahezu die Maximalverurteilung: Das Gericht stellt auch die besondere Schwere der Schuld fest, verzichtet lediglich auf die Anordnung von anschließender Sicherungsverwahrung.
Gleichberechtigtes Mitglied des Terror-Trios
Der Vorsitzende Richter Götzl redet schnell, sowohl bei der Urteilsverkündung als auch in der anschließenden Urteilsbegründung. Und macht immer wieder deutlich, dass das Gericht Zschäpe als gleichberechtigtes Mitglied eines eingeschworenen Terror-Trios sieht.
Die vom Bundesgerichtshof aufgestellten Hürden für eine Mittäterschaft sind hoch. Deshalb formuliert Götzl hier akribisch genau.
Zschäpe und ihre Freunde Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt seien übereingekommen, als zusammengeschlossener Verband Menschen aus antisemitischen oder anderen Gründen zu töten, sagt Götzl. Er spricht von ideologisch motivierten Zielen, an denen alle drei gleich großes Interesse gehabt hätten.
Die Taten seien nur unter Mitwirkung Zschäpes durchführbar gewesen. Deren Aufgabe sei etwa gewesen, für eine harmlose Legende nach außen zu sorgen, um die Entdeckung zu erschweren. "Sie unterwarf sich willentlich dieser gemeinsam gewollten Gesamtkonzeption."
Richter Götzl betont "gemeinsam gefassten Tatplan"
Immer wieder, bei der Schilderung jeder einzelnen Tat, jedes Mordes, jedes Anschlags, benutzt Götzl diese Formulierung: Böhnhardt und Mundlos hätten "aufgrund eines gemeinsam gefassten Tatplans und im bewussten und gewollten Zusammenwirken mit Frau Zschäpe" gehandelt, Menschen erschossen, Bomben deponiert, Raubüberfälle begangen.
Der Senat ist davon überzeugt, dass Zschäpe und ihre beiden Freunde alles vorab geplant hatten - und zwar bis zum bitteren Ende. Es habe zum Konzept des NSU gehört, im Fall eines Scheiterns ein Selbstbekenntnis zu veröffentlichen. Deshalb die Fotos, deshalb das Bekennervideo.
Die drei hätten dafür gesorgt, dass sowohl die "mobile Einheit" - also Mundlos und Böhnhardt auf Tour - wie auch Zschäpe in der "Zentrale" daheim in der Lage gewesen seien, an die Öffentlichkeit zu gehen.
Nachdem Mundlos und Böhnhardt mit einem Überfall in Eisenach am 4. November 2011 gescheitert seien, habe Zschäpe nur umgesetzt, was 1998 schon vereinbart und geplant gewesen sei.
Aus naheliegender Annahme musste Gewissheit werden
Von Beginn an lag die Annahme nahe, dass Zschäpe alles gewusst haben müsse: bei einem befreundeten Trio, das gemeinsam in den Untergrund ging, in gemeinsamen Wohnungen lebte, gemeinsam Urlaube an der Ostsee machte.
Doch aus einer naheliegenden Annahme musste das Gericht in den vergangenen fünf Jahren Gewissheit machen, Zweifeln nachgehen, diese ausräumen. Denn: Eine Mittäterschaft muss für jede einzelne Tat begründet werden.
Deshalb hat dieser Prozess ja so lange gedauert: weil das Gericht, einem Mosaik gleich, ein großes Bild zusammensetzen musste.
Am Ende stand die Frage: Reicht das, was Zschäpe in all den Jahren getan hat, zur Begründung einer Mittäterschaft aus? Kann sie als Mörderin bestraft werden, als hätte sie selbst den Abzug jener Waffe gedrückt, mit der ihre Freunde mordend durchs Land zogen?
Richter machen deutlich: Sie glauben Zschäpe nicht
Die Richter haben diese Frage mit einem Ja beantwortet - und damit deutlich gemacht: Sie glauben Zschäpe nicht. Die 43-Jährige hatte ja vergangene Woche noch ans Gericht appelliert, sie wolle nicht für etwas bestraft werden, was sie weder gewollt noch getan habe.
In ihren schriftlichen Einlassungen hatte sie erklärt, sie habe von den Morden und Anschlägen immer erst im Nachhinein erfahren, sie habe sich von den beiden Freunden nicht lösen können, sei abhängig gewesen, geschlagen worden.
Zschäpes Verteidiger hatten argumentiert, ihre Mandantin sei keine Mörderin, keine Attentäterin. Doch bei Götzls OLG-Senat sind sie damit in keiner Weise durchgedrungen.
Jede einzelne Tat geht Götzl in der Urteilsbegründung durch, mit allen grauenvollen Details.
Alle Mordopfer des NSU werden noch einmal namentlich genannt. Alle, die nur knapp mit ihrem Leben davonkamen - etwa der beim Mord an der Polizistin Michèle Kiesewetter lebensgefährlich verletzte Beamte oder jene junge Deutsch-Iranerin, die beim Anschlag auf den Laden ihrer Eltern in Köln verletzt wurde.
Angehörige der Mordopfer verfolgten Urteil mit
Viele Angehörige der Mordopfer sind am Mittwoch noch einmal nach München gekommen, um das Urteil mitzuverfolgen.
Dem Vater des in Kassel ermordeten Halit Yozgat, Ismail Yozgat, gehen die Nerven durch.
"Es gibt keinen Gott außer Gott", ruft er immer wieder auf Arabisch in den Saal. Laut, sehr laut.
Die Worte sind Teil des islamischen Glaubensbekenntnisses. Es dauert einige lange Momente, bis Yozgat Götzls Aufforderung folgt, bitte leise zu sein.
Die Angehörigen bekommen auch die Strafen für die anderen vier Angeklagten mit, etwa die zehn Jahre, zu denen das Gericht Ralf Wohlleben als Waffenbeschaffer für den NSU verurteilt.
Aber auch die lediglich zwei Jahre und sechs Monate für André E. Die Anklage hatte zwölf Jahre Haft wegen Beihilfe zum versuchten Mord gefordert.
Hartes Urteil - doch viele Fragen bleiben offen
Das harte Urteil gegen Zschäpe dürfte für die Angehörigen eine gewisse Genugtuung bedeuten. Sie hofften auf eine hohe Strafe, hatten einige von ihnen zuvor gesagt.
Andere beklagen, unabhängig vom Urteil, dass ihre Fragen in dem Mammutprozess nicht beantwortet worden seien.
Beispielsweise die, warum gerade ihr Angehöriger sterben musste. Wie es aussieht, werden viele solcher Fragen unbeantwortet bleiben. Es bleibt auch die Frage nach dem teils eklatanten Behördenversagen.
"Wenn das Gericht ehrlich ist, wird es auch noch sagen, dass Lücken geblieben sind. Solange diese Lücken bleiben, können meine Familie und ich nicht abschließen", sagt Gamze Kubasik, die Tochter des in Dortmund ermordeten Mehmet Kubasik, nach der Urteilsverkündung.
Nächste Instanz ist der BGH
Der jetzt gezogene juristische Schlussstrich ist beileibe nicht endgültig: Die Verteidigung hat bereits angekündigt, Revision einzulegen.
Damit ist der Bundesgerichtshof am Zug - genau der Senat, der in der Vergangenheit hohe Hürden für Verurteilungen wegen Mittäterschaft aufgestellt hatte.
Bis die Richter in Karlsruhe entscheiden, wird es noch lange dauern - allein bis zur Vorlage der schriftlichen Urteilsbegründung des OLG München könnten viele Monate vergehen. (ank/dpa)
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